Uneins über Todesstrafe

Freiheits- statt Todesstrafe für Drogenschmuggler? Viele IranerInnen begrüßen den Gesetzentwurf, der das durchsetzen soll. Doch längst nicht alle Web-User möchten das neue Gesetz verabschiedet sehen. Auch ein viel diskutiertes Thema im Internet: Der offene Brief eines konservativen Zeitungschefs an Staatschef Hassan Rouhani.

Das iranische Parlament wird möglicherweise bald die Todesstrafe wegen Drogenkriminalität aufheben. So sieht es ein von 70 Abgeordneten unterzeichneter Gesetzentwurf vor, wonach Hinrichtungen künftig durch lebenslange Gefängnisstrafen ersetzt werden sollen.
Viele IranerInnen würden die Aufhebung der Todesstrafe befürworten – darauf deuten zumindest erste Reaktionen im Internet hin: „Die Todesstrafe ist keine zeitgemäße Strafe mehr“, schreibt Pirooz auf der Facebookseite von BBC Farsi. Es sei zu begrüßen, wenn der Iran Drogenschmuggel nicht mehr mit dem Tod bestrafe. „Bedauerlich“ sei jedoch, dass die Todesstrafe bei anderen Delikten aufrechterhalten werde, so der Web-User weiter. Zustimmung gibt es von Ladan: „Die Todesstrafe gehört ohne Wenn und Aber abgeschafft. Die Umwandlung für Drogenschmuggler in eine Freiheitsstrafe ist hoffentlich der erste Schritt zu einem generellen Verbot.“ Positiv äußert sich auch ein anonymer Besucher des Nachrichtenportals ISNA: „Es ist nur zu hoffen, dass dem Gesetzentwurf zugestimmt wird. Die meisten Drogenschmuggler sind junge und naive Menschen, die zwar eine Bestrafung, aber ganz sicher nicht den Tod verdient haben.“
Der internationale Druck und besonders die Berichte von Amnesty International hätten Wirkung erzielt, glaubt Sattar auf dem Webportal  Balatarin. „Ich finde den Gesetzentwurf richtig und gut, aber ohne den Druck von außen wäre er ganz sicher nicht entstanden, denn dem Regime sind die Menschen egal“, schreibt er weiter. Auch andere, wie der Balatarin-User mit dem Spitznamen Againday, sind der Überzeugung, dass der Gesetzentwurf nicht aus Menschlichkeit der iranischen PolitikerInnen entstanden ist: „Das Ganze ist ein politisches Manöver. Manche möchten sich bei den WählerInnen wieder beliebt machen. Immerhin sind im kommenden Jahr Parlamentswahlen“, schreibt der Web-Nutzer.

Kein Verständnis für Gesetzesentwurf
Doch im Internet scheiden sich die Geister. Ebenso viele IranerInnen lehnen den  Gesetzentwurf ab: „Na vielen Dank! Warum geben wir diesen Verbrechern nicht auch noch einen Preis als Belohnung für ihre Taten?“, fragt ein anonymer User des Nachrichtenportals Asr Iran offensichtlich ironisch. „Gott bewahre uns vor diesem miserablen Gesetzentwurf. So viele anstands- und gottlose Drogenschmuggler wurden schon durch die Hände des Staats hingerichtet, und trotzdem steigt die Zahl der Drogenabhängigen. Was würde erst passieren, wenn sie nicht mehr hingerichtet würden?“, fragt der Web-User Harfe Hesaab.

Am 26. Juni wurden 6 Tonnen Drogen, die in der Provinz Fars beschlagnahmt worden waren, vernichtet. Nach Angaben des Komitees zur Bekämpfung von Drogen in der Islamischen Republik werden im Iran jährlich bis zu 600 Tonnen Rauschgift konsumiert. Betroffen sind vor allem junge Menschen zwischen 25 und 29 Jahren. Nach offiziellen Angaben soll es im Gottesstaat im Jahre 2011 etwa 1,2 Millionen Drogenabhängige gegeben haben, darunter 400.000 Heroinsüchtige. Diese Statistik wird von Experten jedoch angezweifelt, da die Angaben seit mehreren Jahren konstant bleiben.
Jährlich werden im Iran mehrere Tonnen Drogen beschlagnahmt und zum Teil vernichtet.

Ähnliche Gedanken treiben RadioFarda-User Vazaghi um. Er schreibt: „Wenn die Schmuggler nicht hingerichtet werden, wird in nur zehn Jahren die gesamte iranische Jugend drogenabhängig sein.“

„Eigentlich bin ich absolut gegen die Todesstrafe“, schreibt Ahmad. „Aber wir sind nicht in Europa. Bei so vielen Millionen drogensüchtigen IranerInnen können wir uns die Aufhebung der Todesstrafe für Schmuggler nicht leisten. Soll etwa der Steuerzahler den lebenslangen Gefängnisaufenthalt dieser Verbrecher zahlen?“ Es bringe nichts, gegenüber Drogenschmugglern barmherzig zu sein, findet auch Deportee: „Mir scheint, dass meine MitbürgerInnen, die die Umwandlung der Todesstrafe für Drogenschmuggler in eine Freiheitsstrafe begrüßen, einem Irrtum erlegen sind. Man sollte mit den Drogenkonsumenten milde umgehen und versuchen, diese zu heilen. Die Schmuggler sind jedoch keine Opfer, sondern Täter. Ihnen sind Menschenleben gleichgültig. Sie gehören hingerichtet.“

Konservativer Zeitungschef contra Khatami-Medienzensur
Mahmoud Doayi, Geistlicher und Herausgeber der konservativen Tageszeitung Etelaat, hat sich vergangenen Mittwoch in einem viel beachteten Leitartikel, der sich an Präsident Hassan Rouhani richtete, gegen die Medienzensur gegen den ehemaligen reformorientierten Staatschef Mohammad Khatami gewandt. Die von der iranischen Justiz durchgesetzte Medienzensur sei „eindeutig gesetzwidrig und ein Verstoß gegen die Bürgerrechte jedes Iraners“. Rouhani solle als Regierungschef gegen die Justiz vorgehen und die Medienzensur aufheben, forderte Doayi.

Der reformorientierter Politiker Mohammad Khatami - sein Foto darf in den iranischen Medien nicht erscheinen!
Der reformorientierter Politiker Mohammad Khatami – sein Foto darf in den iranischen Medien nicht erscheinen!

Überwiegend lobende Worte gibt es von der iranischen Web-Community. Diese begrüßt größtenteils den Vorstoß Doayis: „Gott beschütze diesen Mann. Ihm gebührt Lob für seinen mutigen offenen Brief an den Präsidenten“, schreibt ein anonymer Besucher von ISNA. Die iranische Gesellschaft brauche mehr Menschen wie Doayi, die ihren „Mund aufmachen“, findet Ahmad. „Bravo, Herr Doayi“, schreibt ein anderer Web-User, „aber schade, dass Sie sich nicht schon früher getraut haben, gegen Unrecht aufzubegehren.“ Auch auf RadioFarda erfährt Doayi viel Zuspruch: „Lang lebe Doayi. Er ist einer der wenigen, die ihre Seele nicht verkauft haben“, schreibt ein anonymer Besucher der Webseite.
Für einige IranerInnen sind die Äußerungen des Etelaat-Herausgebers auch ein Anlass, an dem moderaten Präsidenten Rouhani Kritik zu üben: „Doayi überschätzt Rouhani. Der Präsident hat seine Versprechen an das Volk schon lange vergessen“, schreibt Soosan auf RadioFarda. „Es wäre wirklich wünschenswert, wenn Herr Rouhani sich endlich wieder daran erinnern würde, welche große Unterstützung er durch Khatami während seines Wahlkampfs erhalten hat, und gegen dieses Unrecht vorgehen würde“, schreibt ein Nutzer des Nachrichtenportals Khabar Parsijoo.
Wiederum andere sind der Ansicht, dass Mahmoud Doayi in seinem offenen Brief andere Themen hätte ansprechen müssen: „Solche unsinnigen Briefe füllen nicht die Teller der IranerInnen“, klagt Ebrahim auf Fararu. „Ein schöner Brief. Aber es wäre besser gewesen, wenn sich Doayi zu der hohen Zahl der Arbeitslosen, der Armut, den vielen Drogensüchtigen, der hohen Scheidungsrate und der Inflation geäußert hätte“, findet Bardia.
Auch von konservativer Seite gibt es Kritik an Doayi. So schreibt Moslem auf Khabar Parsijoo: „Weiß Doayi eigentlich, dass er in seinem offenen Brief gegen die Anordnung der Justiz verstößt, den Namen dieses Kopfes der Fitna zu erwähnen? Hat er denn vergessen, welche Rolle dieser Fitna-Anführer gespielt hat?“ Ähnlich äußert sich Masoud auf der Facebookpräsenz von BBC Farsi: „Unglaublich, dass dieser Mann, den wir all diese Jahre so sehr respektiert und geachtet haben, sich plötzlich zu einem Anwalt der Fitna aufspielt.“ Mit dem Begriff „Fitna“, deutsch „Aufruhr gegen die göttliche Ordnung“, werden im Iran die AnhängerInnen der oppositionellen Grünen Bewegung und deren AnführerInnen bezeichnet. Sie hatten dem Regime nach den Präsidentschaftswahlen 2009 Wahlfälschung vorgeworfen.

  JASHAR ERFANIAN