Zynisches Machtspiel um Corona

Und wie immer, wenn der Revolutionsführer eine „bahnbrechende“ Theorie aufstellt, meldete sich prompt eine Armee von „Theoretikern“, „Experten“, Publizisten und Predigern, die ihre weitergehenden Kenntnisse zur Bestätigung beisteuerten. Eine Zeitung berichtete, das Geheimdienstministerium habe eine Abteilung zur Bekämpfung von „Dschinns“, überirdischer Böser, gegründet, was eine andere Webseite jedoch dementierte.

Doch am ausführlichsten nahmen sich die „Experten“ der These von Corona als amerikanischer Biowaffe an. Molekularbiologen sprachen im Fernsehen, Militärexperten referierten über die Geschichte des Einsatzes von Biowaffen, der Zivilschutz informierte, wie die Menschen sich schützen können. Und die Revolutionsgarden starteten ein landesweites Manöver gegen Biowaffen, das noch andauert.

Der mächtige Leitartikler

Auch Hossein Schariatmadari, Chefredakteur der Tageszeitung Keyhan und Khameneis Lieblingspublizist, widmete seinen Leitartikel Khameneis Rede und nahm sich ausführlich die feindseligen Machenschaften vor, die die Franzosen in den vergangenen vierzig Jahren gemeinsam mit den USA gegen die Islamische Republik gerichtet hätten. Am Ende seines feurigen Artikels fragte der mächtige Journalist, wer sich denn eigentlich erlaubt habe, diese „dubiose Organisation“ aus Frankreich ins Land zu lassen, die unter der Bezeichnung Ärzte ohne Grenzen firmiere – frage sich denn niemand, ob sie nicht im Auftrag Amerikas gekommen sei?

Damit war es um die Helfer aus Frankreich geschehen. Nach diesem Artikel wusste jeder, dass die Ärzte ohne Grenzen ihre Arbeit im Iran nicht würden aufnehmen können. Nur Lacharité zeigte sich am Dienstag in Paris überrascht, dass die Genehmigung für den Hilfseinsatz widerrufen wurde: „Die Notwendigkeit unserer Arbeit war mit allen zuständigen Stellen des Landes besprochen worden.“ Offenbar aber nicht mit den wahren Zuständigen.

Zynisch und menschenverachtend

Die Affäre um den Einsatz der Ärzte ohne Grenzen im Iran zeigt wieder einmal den kalten und menschenverachtenden Zynismus, der den Mächtigen der Islamischen Republik stets eigen war. Es ging und geht immer nur darum, die Hirngespinste und Verschwörungstheorien des Revolutionsführers als Wahrheit zu preisen. Und dafür ist man jetzt sogar bereit, das Leben der eigenen Bevölkerung zu opfern. So einfach, so beängstigend ist die Macht der Herrschenden. Selbst machtlos gegenüber dem Virus, das inzwischen unkontrolliert im ganzen Land grassiert, predigen sie unentwegt, die ausländischen Sanktionen seien an der Ausbreitung der Krankheit und dem Elend der Bevölkerung Schuld.

Die iranische Mahan Air steht in der Kritik, bewusst oder fahrlässig zu lange in die chinesische Stadt Wuhan geflogen zu sein!
Die iranische Mahan Air steht in der Kritik, bewusst oder fahrlässig zu lange in die chinesische Stadt Wuhan geflogen zu sein!

Iran, gefährlicher Hotspot

Italien, Spanien oder China mögen das Coronavirus eines Tages im Zaum halten können. Der Iran jedoch wird sich zu einem gefährlichen Hotspot der Epidemie für die ganze Welt entwickeln, wenn die Teheraner Machthaber ihre bisherige Politik fortsetzen. Die im US-amerikanischen Baltimore ansässige Johns Hopkins Universität gab zur Zeit der Niederschrift dieser Zeilen (26. März, 18:00 Uhr) die Zahl der Infizierten im Iran mit 29.406, die der Toten mit 2.234 an. Doch das sind Angaben, die auf offiziell verfügbaren Zahlen beruhen. Wie viele Menschen im Iran tatsächlich an der vom Coronavirus ausgelösten Lungenkrankheit Covid-19 erkrankt oder gestorben sind, weiß niemand. Sicher ist nur, dass keiner den offiziellen Zahlen traut.

„Unsere Corona-Statistik ist Teil unserer Krankheit“, das Ausmaß der Epidemie im Iran sei noch viel größer als in China, sagt etwa Masoud Mardani von der Teheraner Beheshti-Universität für medizinische Wissenschaft. Der Professor für Infektionskrankheiten muss es wissen: Er ist Mitglied des Stabes für die Bekämpfung der Corona-Epidemie.

Bis zu 3,5 Millionen Iraner*innen könnten durch das Coronavirus sterben, haben Wissenschaftler der Teheraner Sharif-Universität für Technologie errechnet.

Hilfe ja – aber nur Cash

Irans Außenminister Zarif macht jedoch auf Twitter US-Präsident Donald Trump für alle Iraner*innen verantwortlich, die dem Virus zum Opfer fallen. Medizinische Hilfe aus dem Ausland brauche man nicht, schrieb auch er, der Iran habe die besten Spezialisten der Welt und könne diese sogar anderen Ländern zur Verfügung stellen. Allein finanzielle Probleme erschwerten die wirksame Bekämpfung der Epidemie. Und wer dafür verantwortlich ist, scheint klar: die USA.

Dennoch: Das Virus schafft offenbar eine internationale Atmosphäre, in der sich die Forderung nach einer Aufhebung der Sanktionen gegen den Iran legitim anhört. Teheran will internationale Hilfe – aber keine medizinische, sondern Cash.♦

© Iran Journal

Persischsprachige Quellen: Tasnim , Anadolu , RFI   , IRNABBC , Iranintl  , TRT , DW

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