Warum ein Gebäudesturz im Iran zum Politikum wird
Der Sturz eines Hochhauses in der Stadt Abadan führte zu tagelangen Protesten in mehreren Städten des Iran. Warum ein derartiger Vorfall in der Islamischen Republik zu einem Politikum wird, erklären Rahman Bouzari und Ali Fathollah-Nejad.
Am 23. Mai 2022 stürzte der Metropol-Turm, ein zehnstöckiges Geschäftsgebäude in der Stadt Abadan in Irans ölreicher südwestlicher Provinz Khuzestan, ein. Dabei kamen nach umstrittenen offiziellen Angaben mindestens 43 Menschen ums Leben und Dutzende weitere wurden unter den Trümmern verschüttet. Obwohl die unteren Stockwerke für die Öffentlichkeit zugänglich waren, befand sich das Gebäude noch im Bau. Einem unbestätigten Augenzeugenbericht zufolge befanden sich zum Zeitpunkt des Einsturzes etwa 150 Bauarbeiter im Keller. Die Tragödie erinnerte auf unheimliche Weise an den Brand im Januar 2017, bei dem das bekannte Plasko-Gebäude in Teheran in Flammen aufging und 26 Menschen, darunter auch Feuerwehrleute, ums Leben kamen.
Innerhalb einer Stunde nach dem Einsturz des Metropol-Turms überschwemmte die Anti-Aufruhr-Polizei, getreu ihrem Krisenmanagement-Drehbuch, die Region. In krassem Gegensatz dazu dauerte es jedoch mehr als 24 Stunden, bis Feuerwehrleute, Notfallpersonal und Rettungskräfte aus Teheran eintrafen. Und als sie schließlich Abadan erreichten, fehlte ihnen die notwendige Ausrüstung für schnelle Rettungsmaßnahmen. In Ermangelung einer verantwortungsvollen und reaktionsschnellen Regierung arbeiteten einfache Bürger, die nur mit einfachen Kochtöpfen ausgerüstet waren, Tag und Nacht mit, um Überlebende aus den Trümmern zu bergen.
Für einen außenstehenden Beobachter mag dies wie ein tragischer, aber zufälliger Unfall erscheinen, der überall hätte passieren können. In Wirklichkeit ist er ein krasses Beispiel für ein Land, das in Korruption und Misswirtschaft versinkt. In den vergangenen vier Jahrzehnten sind die für solche tödlichen Tragödien verantwortlichen Kriminellen dank ihrer Verbindungen zur herrschenden Klasse der Islamischen Republik immer wieder der Justiz entgangen. Auch dieses Mal scheinen die Schuldigen dabei zu sein, ihre Hände in Unschuld zu waschen.
Ein Hochhaus in der Stadt Abadan / #Iran stürzte am Montag teilweise ein. 16 Menschen getötet, Dutzende liegen unter Trümmern. In sozialen Netzwerken wird von Verwesungsgeruch im Zentrum der Stadt gemeldet. Die Bürger*innen demonstrieren gegen "unfähige Verantwortliche". pic.twitter.com/jE4x4tiMus
— Iran-Journal (@iran_journal) May 26, 2022
Ermittlungen an einem Tatort
Das Metropol-Gebäude, das aus zwei Türmen besteht, von denen einer bereits gebaut war, gehörte zu einer Holdinggesellschaft, die von Hossein Abdolbaghi gegründet und geleitet wurde und nach ihm benannt ist. Sie gehört zu den vielen Holdinggesellschaften, die in den letzten zwei Jahrzehnten mit der Unterstützung der religiösen und sicherheitspolitischen Organe der Islamischen Republik, insbesondere der Armee der Wächter der Islamischen Revolution (IRGC), gewachsen sind. Mit solch mächtigen Mäzenen können diese Unternehmen auf Transparenz verzichten.
Vor einem Jahrzehnt war der 41-jähriger Entwickler Abdolbaghi ein Niemand, wurde aber durch seine mächtigen Kontakte zu einem Baumagnaten. Er ist das Aushängeschild für Hunderte von Personen, die in Irans politischer Wirtschaft nach der Revolution erfolgreich sind. In den letzten zehn Jahren ist es Abdolbaghi und seiner Holdinggesellschaft gelungen, riesige Bauprojekte in Khuzestan zu übernehmen – Berichten zufolge durch Vetternwirtschaft und Bestechung. Vor neun Jahren stürzte ein Gebäude des Unternehmens ein, nachdem es glücklicherweise evakuiert worden war. Obwohl sie sich nicht an die Sicherheitsvorschriften hielten, wurden Abdolbaghi und seine Mitarbeiter für ihr Handeln nicht zur Rechenschaft gezogen.
Die Einsturzgefahr des Metropol-Gebäudes war allgemein bekannt, dennoch verhinderte ein tief verwurzeltes Korruptionsnetz, dass wirklich etwas unternommen wurde. Ein lokaler Journalist hatte bereits vor einem Jahr vor der drohenden Katastrophe gewarnt. Der iranische Verband der Bauingenieure hatte seinerseits sechs Warnungen über die potenziellen Risiken verschickt, die durch die illegale Aufstockung des Gebäudes um zusätzliche Stockwerke zu den ursprünglich genehmigten sechs entstehen. Dennoch drückten die lokalen und nationalen Behörden ein Auge zu, als es um die eklatanten Verstöße gegen die Sicherheitsvorschriften ging. Leider war dieses Versäumnis der Behörden zu erwarten, da sie selbst von den Projekten der Holding profitierten.
Iranische Bauprojekte werden seit langem von Experten wegen Sicherheitsmängeln in einem erdbebengefährdeten Land kritisiert. Nach dem Einsturz des Teheraner Plasko-Gebäudes ermittelte der Bund der Bauingenieure, eine Organisation ohne Exekutivgewalt, mindestens 170 unsichere Gebäude in der Hauptstadt, die ihrer Meinung nach kurz vor dem Einsturz standen. Darüber hinaus hat der Leiter der iranischen Feuerwehr kürzlich 33.000 unsichere Gebäude in Teheran ermittelt. Von diesen wurden 360 als Gebäude bezeichnet, die „sofortiges Eingreifen“ erforderten, während sich 123 in einem Zustand befanden, der mit dem des Plasko-Gebäudes zum Zeitpunkt seines Einsturzes vergleichbar war.
Die Prioritäten der Regierung liegen jedoch eindeutig woanders. Während ihre Bürgerinnen und Bürger leiden, beschäftigt sich die Islamische Republik stattdessen mit ihrer Propagandamaschine und sendet Lobeshymnen auf den Obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei, um die Moral seiner Anhänger zu stärken, auch wenn aus allen Ecken des Landes regierungsfeindliche Rufe wie „Tod dem Khamenei“ zu hören sind.
Eine Korruptokratie in vollem Gange
Fortsetzung auf Seite 2