Die Präsidentenwahl als Totenglocke
Nie war das Desinteresse an einer Wahl in der Islamischen Republik Iran so groß. Die Bevölkerung ist frustriert – und durchschaut das Machtspiel der Herrschenden. Kritik kommt dabei nicht allein von Reformern und Gemäßigten.
Von Maziyar Roozbeh*
Am 14. Juni 2021 erklärte Irans Geheimdienstminister Heydar Moslehi, dass im Jahr 2013 durch seine Intervention beim Wächterrat Ayatollah Akbar Hashemi-Rafsandschani als Kandidat für die Präsidentenwahl disqualifiziert worden sei. Sein Ministerium sei aufgrund von Feldforschungen zu dem Schluss gekommen, dass Rafsandschani gewinnen würde. Dies wäre jedoch nicht im Interesse der Islamischen Republik gewesen.
Im Iran werden alle Kandidaten durch den Wächterrat auf ihre Treue zum System geprüft, erst dann dürfen sie sich zur Wahl stellen – oder eben auch nicht.
Damals erregte die Ablehnung des nach Staatsoberhaupt Ali Khamenei zweitmächtigsten Mannes der Islamischen Republik viele Gemüter. Doch wie immer wurde hinter verschlossenen Türen Einigkeit erreicht. Rafsandschani war bis zu seinem Tod im Januar 2017 Chef des iranischen Schlichtungsrats und durfte Streitigkeiten zwischen dem Parlament und dem Wächterrat schlichten.
Moslehi erklärte nicht, warum Rafsandschanis Wahl zum Präsidenten den Interessen des Regimes hätte schaden können. Das öffnet den Weg für Spekulationen: etwa, dass Ali Khamenei und der ihm treue Wächterrat beschlossen hätten, alle mächtigen Männer der Ära Ruhollah Khomeini von der Bühne abtreten und damit wissen zu lassen, dass die Zeit des „Imams“ vorbei sei und ab jetzt Khamenei die Geschicke des Landes und des Volkes bestimmen werde.
Keine Show mehr
Der Ex-Geheimdienstminister gibt diese Information nach acht Jahren ausgerechnet kurz vor einer Präsidentenwahl bekannt, die von fast allen unabhängigen Beobachter*innen und Expert*innen als „Schicksalswahl“ für die Islamische Republik bezeichnet wird. Für diese Wahl wurden mit Zustimmung Khameneis sieben Kandidaten ins Rennen geschickt, von denen nur einem, Ebrahim Raissi, gute Chancen eingeräumt werden. Er gehört zum engsten Kreis um Khamenei und wird diesem blind gehorchen.
Daher wird diese Wahl als Wendepunkt in der Geschichte des islamischen Gottesstaates gesehen: Die Republik soll zu einem Kalifat werden, mit einer Regierung, die dem Kalifen Khamenei dient.
Dass seit der Revolution von 1979 das Staatsoberhaupt in allen Belangen des Landes das Sagen hat, ist kein Geheimnis. Doch bisher hat man immerhin den Anschein einer Republik gewahrt: mal durch einen reformistischen Präsidenten, mal durch ein von Gemäßigten geführtes Parlament.
Gegensätze Islam und Republik
Fortsetzung auf Seite 2