Nach dem Angriff auf Evin: „Bericht eines Verbrechens“

Am 24. Juni 2025 war das berüchtigte Evin-Gefängnis in Teheran Ziel der Luftangriffe Israels. Der iranische Staat ließ die Gefangenen trotz vorheriger Warnungen ungeschützt. In diesem Bericht aus dem Gefängnis beschreibt Reza Khandan, Ehemann der Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh, wie das Regime den Angriff nicht nur billigend in Kauf nahm, sondern die Insassen anschließend mit Gewalt in ein anderes Gefängnis verschleppte.

Khandan befindet sich seit Dezember letzten Jahres zum wiederholten Mal im Gefägnis, wegen seines Engagements gegen die Hijab-Pflicht.

Von Reza Khandan – Großgefängnis Teheran-Bozorg

Nachdem der Krieg begonnen hatte, übergab mir meine Frau Nasrin Sotoudeh ein Dokument: eine Verordnung des Obersten Justizrats aus dem Jahr 1986, die den Schutz von Gefangenen in Kriegszeiten regeln soll. Demnach müssten alle in Kriegsgebieten inhaftierten Personen umgehend freigelassen werden.

Am nächsten Tag schrieb ich einen Brief an den Justizchef mit der Forderung, die Gefangenen freizulassen. Auch mehrere Mitinsassen verwiesen auf diese Resolution und reichten formelle Anträge ein – mit Nachdruck auf die Umsetzung des Gesetzes.

Zwei Tage später gelang es uns nach zähem Ringen, ein Treffen mit dem Gefängnisdirektor, dem Vertreter der Staatsanwaltschaft und mehreren hochrangigen Beamten zu arrangieren. Wir schilderten ausführlich alle denkbaren Risiken und Szenarien, darunter die Gefahren eines Luftangriffs auf oder in der Nähe des Evin-Gefängnisses. Selbst wenn die Trakte nicht direkt getroffen würden, wären die Folgen – Ausfall von Wasser, Strom, Gas, toxische Gase, Brände – lebensbedrohlich.

Doch unsere Warnungen verhallten ungehört. Am Montag, den 24. Juni, wurde das Evin-Gefängnis bombardiert. Wir hatten unmissverständlich vor den katastrophalen Konsequenzen gewarnt. Nun tragen die Gefängnisleitung, die iranische Gefängnisbehörde und der Justizchef die Verantwortung für den Tod von Gefangenen, Personal und weiteren Personen – sie haben bewusst gegen geltendes Recht verstoßen. Die getöteten Inhaftierten arbeiteten zum Zeitpunkt des Angriffs im Hof oder in Verwaltungsbereichen.

Die Nacht der Ketten

Doch auf die Bombardierung folgte ein weiteres Verbrechen. In der Nacht nach demselben Tag erfolgte eine plötzliche Ankündigung: Alle Gefangenen würden sofort in das Großgefängnis Teheran-Bozorg verlegt. In manchen Trakten wurde nicht einmal der Zielort genannt. Über Jahre hinweg hatten wir uns mit enormem Aufwand und unter großen Opfern unserer Familien die nötigsten Dinge für den Alltag zusammengesammelt. Ein Umzug unter diesen Umständen war unmöglich. Der materielle Wert unserer Habseligkeiten belief sich auf mehrere Milliarden Toman.

Noch in derselben Nacht standen der Direktor von Evin, Herr Farzadi, und der Gefängnischef der Provinz Teheran, Herr Hayat Al-Gheyb, mit bewaffneten Beamten vor unserem Trakt. Die Gewehre auf unsere Brust gerichtet, befahlen sie, uns paarweise zu fesseln – mit Handschellen und Fußketten.

Keiner der Verletzten in unserem Trakt – weder leicht noch schwer – wurde in ein Krankenhaus gebracht. Statt Ruhe, Schutz oder medizinischer Versorgung fesselte man uns. Mit nur einer freien Hand mussten wir mehrere große Taschen und Pakete zu den weit entfernt parkenden Bussen schleppen. Es war nur ein Teil unseres Besitzes – schwerere Gegenstände wie Kühlschränke, Küchenutensilien und Vorräte blieben zurück, begraben unter dem Schutt von Evin.

Die Flucht durch die Nacht

Um 3 Uhr morgens erreichten wir die Busse. Eine Tasche musste ich unterwegs zurücklassen – ich konnte sie mit nur einer Hand schlicht nicht tragen. Die Behörden hatten es nicht geschafft, uns mit Wasser oder Medikamenten zu versorgen, aber innerhalb weniger Stunden Tausende Fesseln, Handschellen und Unterdrückungsinstrumente organisiert.

Wir standen auf einem Hügel, von dem aus die Trakte 7 und 8 auf Teheran blicken. Plötzlich eröffneten Flugabwehrkanonen das Feuer, die Luftangriffe gingen weiter. Panik brach aus. Mit gefesselten Gliedmaßen war es unmöglich, zu fliehen oder sich zu schützen.

Neben meinen eigenen Taschen trug ich auch die Sachen meines Zellengenossen, der im Hafturlaub war, sowie eine Gemeinschaftstasche unseres Raumes – alles sperrige, schwere Gepäckstücke. Nachdem ich die dritte Tasche zurückließ, schleppte ich zwei große Säcke mit meiner einen freien Hand, während ich an Händen und Füßen an meinen Zellennachbarn gekettet war. Bei jedem Schritt kamen wir aus dem Gleichgewicht, und die Ketten schnitten sich tiefer in unsere Haut.

Inmitten des Mülls

Unser Bus hatte innerhalb des Gefängnisses eine Panne. Da die Hauptstraße zerstört war, wurden wir über die Müllhalde des Gefängnisses umgeleitet. Inmitten des Abfallbergs mussten wir umsteigen – unter größten Mühen und mit ständigem Fallen unserer Taschen. Der Gestank war selbst für wenige Sekunden kaum auszuhalten, doch wir mussten über eine Stunde dort ausharren.

Um 4 Uhr morgens fuhren wir schließlich in Richtung des neuen Gefängnisses. Beim Passieren des zerstörten Haupttors von Evin wandte ich mich an meinen Freund und Zellengenossen Reza Valizadeh – nun an mich gekettet – und sagte: „Ich glaube, Evin ist Geschichte. Die Geier kreisen schon, um dieses wertvolle Stück Land in den grünen Nordhängen Teherans an sich zu reißen.“ Ein Gefängnis, dessen Geschichte nach Folter, Hinrichtungen und Unterdrückung riecht; ein Sinnbild staatlicher Gewalt und Grausamkeit.

Evin ist gefallen. Doch Verhaftung, Folter und Hinrichtungen gehen weiter – nur der Ort wechselt.

Menschen als Schutzschilde

Liebe Freund*innen, die Verantwortlichen, die uns inmitten eines Luftkriegs so schutzlos verschleppt haben, haben ein Kriegsverbrechen begangen. Während unser Konvoi nachts über die Autobahnen fuhr, lebten wir in ständiger Angst, dass die Busse für Truppentransporter gehalten und bombardiert würden. Militär- und Polizeifahrzeuge begleiteten unseren Transport.

Es war drei Uhr nachts. Der endlose Nachthimmel lag über Teheran. In der Ferne, dorthin, wo wir unterwegs waren, erhellte Flugabwehrfeuer den südlichen Horizont. Eine lange Schlange von Gefangenen, gefesselt und bepackt, stand regungslos da. Jeder Schritt entlockte uns ein Stöhnen. Bewaffnete Beamte zogen an uns vorbei, warfen uns Beleidigungen und Drohungen zu, kehrten zurück und begannen von vorn. Das Bild dieser gefesselten, verängstigten Gefangenen erinnerte an Szenen aus Nazi-Deutschland und Zwangsarbeitslagern. Niemals zuvor in der Geschichte wurden Menschen – bereits bombardiert, verletzt, traumatisiert – derart brutal gedemütigt statt medizinisch versorgt. Unsere Menschenwürde wurde mit Füßen getreten.

Wir traten in eine düstere Zukunft. Das Klirren unserer Ketten war das Glockenläuten für noch dunklere Tage. Wir waren Gefangene – unschuldige Gefangene der Ungerechtigkeit. Im Bruchteil eines Moments wurden wir zu Kriegsopfern. Dann zu menschlichen Schutzschilden. Dann zu Geiseln unserer eigenen Bewacher. Nun sind wir auch Kriegsgefangene.

Während dieses ganzen Martyriums waren wir Opfer eines Regimes, das die Träume einer Nation zerstört hat. Ein Regime, das einst sagte: „Wir kämpfen in Syrien, damit wir nicht auf eigenem Boden kämpfen müssen.“

Ich kann mit Gewissheit sagen: Kein Regime der Geschichte hat seine eigenen Bürger je auf diese Weise verraten. Sie haben die Grenzen von Barbarei, Unterdrückung und nackter Gewalt neu definiert. Gefangene, die eben noch Verwundete gerettet hatten, wurden plötzlich selbst zu Zielscheiben – mit Gewehren an ihren Köpfen.

Um zwei Uhr nachts wurden wir vor Trakt 8 gefesselt. Um acht Uhr morgens kamen wir im Großgefängnis Teheran-Bozorg an. Eine Strecke, die normalerweise eine Stunde dauert, verschlang sechs. Wir waren seit über 24 Stunden wach. Neun Stunden lang bekamen wir nicht einmal Wasser.

Der Anfang einer neuen Hölle

Seit einigen Tagen sind wir nun in diesem neuen Gefängnis. Noch unter dem Eindruck der Bombardierung und der traumatischen Verlegung erleben wir eine neue Hölle. Gewalt und Einschüchterung waren schon vor uns da – sie erwarteten uns. Das Chaos, der Schmutz, die Überbelegung, die hygienischen Zustände – all das hat uns schockiert. Die Räume sind voller Läuse, Fliegen und Ungeziefer. An Schlaf ist nicht zu denken.

Das Wasser schmeckt brackig, riecht nach Sumpf. Trinkwasser in Flaschen gibt es kaum in der Gefängniskantine – bei dieser Sommerhitze eine zusätzliche Qual. Die Wut in den Trakten kocht über. Und während der Krieg weitergeht, wird wohl auch dieses Gefängnis bald zum Ziel. Wieder einmal werden Gefangene als menschliche Schutzschilde und für Propagandazwecke herhalten müssen – während die Verantwortlichen taub für unsere Schreie bleiben.

Nachtrag

Nach unserer Ankunft im neuen Gefängnis fand der Busfahrer – ein städtischer Angestellter – ein kleines Blatt Papier, das aus der Tasche eines Mitgefangenen gefallen war. Darauf standen ein Name und eine Telefonnummer. Der gutherzige Fahrer rief die Nummer an und informierte die Familie, dass es dem Häftling gut gehe – obwohl er ihn gar nicht kannte.

Ich möchte mit diesem Bild enden: Selbst inmitten von Dunkelheit, Gewalt, Krieg und Hass leuchten Menschlichkeit und Mitgefühl auf.

Foto: Flickr

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