Khamenei erfindet sich neu
Heftige Stürme von allen Seiten
Khamenei sieht überall Feinde, die seine Macht bedrohen. Die unzufriedenen Massen im Inneren gehören ebenso dazu wie der „herrschsüchtige Westen“, der sein Regime mit Sanktionen in die Knie zwingen will. Deshalb sieht er keinen anderen Weg, als sich mit Getreuen wie General Nedjat zu umgeben. Die Unzufriedenheit des Volkes lässt sich nicht mehr kaschieren. Ein Lichtblick am Ende des Tunnels ist nicht zu sehen. Auch mit dem neuen US-Präsidenten Joe Biden nicht.
Khamenei drängt auf eine Aufhebung der Sanktionen, bevor er an den Verhandlungstisch zurückkehrt. Doch Biden lässt sich Zeit. Die harten Sanktionen seiner Vorgänger bleiben bestehen, in den letzten Tagen sind sogar einige hinzugekommen. Auf südkoreanischen Bankkonten liegen annähernd acht Milliarden US-Dollar iranisches Geld, und sie müssen wegen der US-Sanktionen einstweilen dort bleiben. In den vergangenen Wochen versuchte die Islamische Republik, mindestens eine Milliarde dieses Geldes in die Schweiz zu transferieren, um Medikamente und Nahrungsmittel zu kaufen. Vergeblich. Südkorea wartet auf eine Erlaubnis der USA, doch deren Außenminister lehnte die Transaktion ab. Selbst China zahlt das Geld für aus dem Iran geliefertes Öl nicht aus.
Als ob Trump weiterhin im Weißen Haus säße
Das Verhältnis zwischen den USA und dem Iran hat sich mit Biden nicht wesentlich geändert. Nur die Sprache der USA ist diplomatischer geworden – der einzige Unterschied zu Trumps Zeiten. Ob es einen neuen Atomdeal mit dem Iran geben oder der alte revitalisiert wird, ist ebenso ungewiss wie die Frage, wann, wie und worüber Khamenei mit den USA reden will.
Wendy Scherman ist eine der Architekt*innen des Atomabkommens mit dem Iran. Die US-Vizeaußenministerin saß unzählige Male dem iranischen Außenminister Mohammed Javad Zarif gegenüber. Sie gilt als Chefin der Einzelheiten jener komplizierten Vereinbarung, die 2015 zwischen dem Iran und den Supermächten der Welt (USA, China, Russland, Großbritannien, Frankreich und Deutschland) geschlossen wurde.
2021 sei nicht 2015, stellte Sherman Anfang Februar klar. Die Welt habe sich grundlegend verändert und brauche ein neues Abkommen: Man müsse sich mit dem Iran über vieles einigen, sagte sie in einem Zeitungsinterview. Aber worüber? Über Raketen und über das, was iranische Revolutionäre in der Region tun, lässt Khamenei nicht mit sich reden.

Wer im Iran Präsident ist, ist nicht wichtig
Und das in der Coronakrise und mit einer iranischen Regierung, die bald nicht mehr im Amt sein wird. Khamenei will einen jungen revolutionären Präsidenten am besten aus den Reihen der Revolutionsgarden installieren, der die vielfältigen Krisen energisch meistern soll. Dass in wenigen Wochen ein radikaler Gardist Präsident der Islamischen Republik sein wird, mag wie eine Drohung klingen, scheint aber ein ernster Plan zu sein. Die USA sollten sich beeilen und eine Einigung mit dem Iran erzielen, solange Rouhani und Zarif da sind, raten Kommentatoren der westlichen Presse.
Doch die neue US-Administration hat keine Eile. Auf Bidens To-do-Liste scheinen zunächst Corona, Klima, China und anderes zu stehen. Die Iran-Frage rangiert irgendwo ganz unten. Robert Malley leitet im neuen US-Außenminister den so genannten Iran-Desk. Er redet manchmal so empathisch über den Iran, dass iranische Oppositionelle ihn für trojanisches Pferd der Islamischen Republik halten. Auf den Präsidenten kommt es im Iran nicht an, das weiß Iran-Kenner Malley sehr gut. Wer die Geschicke des Landes bestimmt, sitzt nicht im Präsidentenpalast, sondern im Haus Khamenei.
Der Verfemte warnt
Irans Ex-Präsident Mohammad Khatami, dessen Namen iranische Medien nicht erwähnen und kein Bild von ihm veröffentlichen dürfen, hat Anfang Februar einen 37-seitigen Brief an Khamenei geschrieben. Über den Inhalt ist nicht viel bekannt, nur sporadisch kommen Sätze aus dem Brief an die Öffentlichkeit. Sie tun von einem bevorstehenden Drama kund.
Man erinnert sich an den legendären Brief des einst mächtigen Hashemi Rafsandschani an Ayatollah Khomeini, den ersten Revolutionsführer der Islamischen Republik. Solange er am Leben sei, solle er drei Schicksalsfragen klären, denn nach ihm habe niemand die nötige Autorität dazu, schrieb jener, der damals als zweiter Mann der Republik galt: die Beendigung des Krieges mit dem Irak, die Klärung der Beziehung zu den USA und die Nachfolgerfrage. Kurz vor seinem Tod verkündete Khomeini, er trinke den „Giftbecher“ und stimme dem Waffenstillstand mit dem Irak zu. Alles andere blieb offen. Die Nachfolgerfrage löste Rafsandschani auf seine Art und hob Ali Khamenei auf das Schild. Amerika blieb liegen. Nun mahnt der machtlose Khatami den kranken Khamenei, nur er könne zu Lebzeiten die Schicksalsfragen der Nation lösen.
In seiner letzten Rede am vergangenen Donnerstag stellte Khamenei klar, seine Herrschaft sei die Fortsetzung der Befehlsgewalt des Propheten Mohammad. Amerika bleibt der Feind, der Wirtschaftskrieg dauert an und die Regelung seiner Nachfolge überließ er weiter den Machtastrologen.♦
© Iran Journal
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