Khameneis Dilemma ist Joe Bidens Ruhe

Donald Trump ist zwar weg, aber seine lähmenden Sanktionen wirken weiter. Erdölexporte, die diesen Namen verdienen, kann der Iran nicht tätigen. Die Staatskassen sind leer und die Coronakrise verschärft sich. Präsident Rouhanis Zeit geht im Juni zu Ende, ihm solle ein „junger Revolutionär“ folgen, verkündete Staatsoberhaupt Ali Khamenei wiederholt. Mit wem aber soll der neue US-Präsident verhandeln?

Von Ali Sadrzadeh

Ist die Wahl des Datums zufällig? Immerhin markiert der 21. Februar (im Iran der 3. Esfand) in der iranischen Geschichte eine Zäsur, manche sagen, eine Zeitenwende. An diesem Tag fand vor genau 100 Jahren die Qajarendynastie durch einen Militärcoup ihr Ende. Es begann die Ära der Pahlewis und der Eintritt des Iran in die Moderne. Vor der Islamischen Revolution feierte man deshalb den 3. Esfand als Tag der nationalen Wiedergeburt. Das ist lange her, 42 Jahre.

Nun soll am kommenden 3. Esfand wieder Geschichte geschrieben werden, wenn auch eine andere, makabre. Laut einem Beschluss des von Hardlinern kontrollierten Parlaments soll die iranische Regierung an diesem Tag das Zusatzprotokoll des Atomsperrvertrags kündigen, es sei denn, die USA heben ihre Sanktionen gegen den Iran bis dahin auf.

Dieses Protokoll sieht unter anderem die unangemeldete Kontrolle und den freien Zugang internationaler Inspektoren zu allen gewünschten Atomanlagen vor. Auch Aus- und Einfuhren von Nuklearausrüstung dürfen sie inspizieren.

Gefahr für Joschka Fischers Erbe

Wann und warum die Islamische Republik diesem Vertrag beitrat, ist eine dramatische Geschichte. Es war eine aufregende Zeit, jener Herbst 2003, als drei europäische Außenminister gemeinsam eilig nach Teheran reisten, um den dort Herrschenden klarzumachen, warum sie dieses Protokoll unbedingt unterzeichnen müssten, wenn sie einen bevorstehenden Krieg vermeiden wollen.

Das war keine leere Drohung. Die Welt war in jenen Tagen gerade aus dem Trauma des 11. September erwacht und wurde Zeugin von zwei Kriegen, die die USA in den Nachbarländern des Iran führten. Nach Afghanistan und dem Irak könne bald auch der Iran an der Reihe sein, der sich auf der „Achse des Bösen“ befinde, warnte wiederholt der damalige deutsche Außenminister Joschka Fischer (Grüne). Die Mission des EU-Triumvirats wurde am Ende zu einem Etappensieg. Der Iran unterzeichnete am 18. Dezember 2003 das Protokoll. Ein Aufatmen ging durch die Welt, es entstand eine vorübergehende Pause und die Voraussetzung für jenes Atomabkommen, das 2015 unterzeichnet wurde, dessen Fortbestand aber inzwischen dank Donald Trump ungewiss ist.

Khamenei will keine Verhandlung

Nun will der neue US-Präsident Joe Biden zurück zu diesem Abkommen. Eine solche Rückkehr soll aber für Biden zu einer Art Canossagang werden, so propagieren es jedenfalls die Hardliner in Teheran. So merkwürdig und widersprüchlich es auch klingen mag: Der ominöse Parlamentsbeschluss in Teheran dient nur dazu, dass sich Biden schleunigst und reuig auf den Weg macht.

Dieses Treffen keimte die Hoffnung auf eine Erholung der iranischen Wirtschaft - Irans Außenminister M. Javad Zarif und sein US-amerikanischer Amtskollege John Kerry nach der Einigung im Atomstreit
Dieser Handschlag keimte die Hoffnung auf eine Erholung der iranischen Wirtschaft – Irans Außenminister M. Javad Zarif und sein damaliger US-amerikanischer Amtskollege John Kerry nach der Einigung im Atomstreit 2015 

Diese Ouvertüre hat Ayattolah Khamenei lange vorbereitet. Es werde weder einen Krieg geben noch Verhandlungen – das wiederholte er in den vergangen Monaten so oft, bis jeder im Land wusste: Khamenei werde hartnäckig bleiben und trotzdem brauche niemand Kriegsangst zu haben. Bei seinem letzten öffentlichen Auftritt sagte er: „Ob die USA zu dem Abkommen zurückkehren möchten oder nicht, ist nicht unser Problem. Wir haben keine Eile. Was wir wollen, ist das Ende der ungerechten Sanktionen.“

Khameneis Satz ist mehrdeutig, für Eingeweihte ebenso wie für Ausstehende. Übersetzen könnte man ihn so: Er will eine schnelle Aufhebung der Sanktionen, Joe Biden möge seine Rückkehr zum Atomabkommen selbst organisieren. Doch alle, einschließlich Khamenei, wissen, dass das Ende der Sanktionen ohne Verhandlungen nicht denkbar ist.

Heldenhafte Biegsamkeit“

Eine lautlose Rückkehr zum Atomabkommen, am besten eine Vereinbarung hinter verschlossenen Türen, wie Khamenei sie sich wünscht, wird Biden weder können noch wollen. Also wird der Iran öffentlich verhandeln müssen. Und wenn der Tag kommen sollte, wird das Khamenei auch die dazu notwendige Flexibilität zeigen – allen verbalen Attacken und öffentlichen Dementis zum Trotz. Denn „die Rettung des Systems ist das Gebot aller Gebote, dafür kann, ja muss man sogar das tägliche Gebet oder das Fasten hintenan stellen“. Dieser Satz von Ayatollah Ruhollah Chomeini, dem Gründer der Islamischen Republik, ist für Khamenei und für alle Zeiten wegweisend.

Heldenhafte Biegsamkeit“ nannte er 2015 seine Flexibilität zum Atomabkommen. Welchen Namen er seiner Beweglichkeit diesmal verleihen wird, ist wohl nur für Satiriker oder Sprachforscher interessant. Bald werden wir es erfahren. Aber wann?

Khamenei steckt in einem Zeitdilemma. Rouhani und sein Außenminister Mohammed Javad Zarif sind nur noch wenige Monate im Amt. Ihnen solle eine junge, revolutionäre Regierung folgen, sagt Khamenei seit einem Jahr immer wieder. Für ihn ist die Zeit der Reformer, der Moderaten oder wie immer sie sich nennen mögen, endgültig vorbei. Wie bei Justiz und Parlament will er auch an der Spitze der Exekutive einen Hardliner sehen, der ihm vollkommen ergeben ist.

Auf iranischen Webseiten sind es in diesen Tagen deshalb ausschließlich Namen von Kommandanten der Revolutionsgarde, die als präsidial präsentiert werden. Und sie alle geben sich prinzipientreu, entschlossen und revolutionär; manche betonen dazu ihre Managementerfahrung in den Wirtschaftsimperien der Garde, andere kokettieren mit ihrem Alter.

Wer auch immer es sein wird: In diesem Juni wird es im Iran einen neuen Präsidenten und einen neuen Außenminister geben, die die Verstellungskunst in höchster Perfektion darbieten müssen: entschlossen und „revolutionär“ nach innen, gesprächs- und kompromissbereit nach außen. Keine Signale der Zaghaftigkeit oder des Abwägens. Solch widersprüchliches Verhalten kann sich ein tief religiöser Schiit erlauben. Denn im Schiismus ist Verstellung Pflicht, wenn Höheres auf dem Spiel steht. Und gibt es etwa Höheres auf der Welt als den Schutz der Islamischen Republik? Wohl kaum.

Die Zeit arbeitet für Biden und gegen Khamenei
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