Warum Irans Wirtschaftskrise (geo-)politisch ist
Was sollte getan werden?
Unter den gegenwärtigen Umständen ist es sehr schwierig, eine angemessene Wirtschaftspolitik zur Lösung der Probleme umzusetzen, da Iran im Rahmen der Sanktionen keinen Zugang zu Währungsreserven und internationalen Finanzmitteln hat. Kurzfristig bestünde die wichtigste Maßnahme darin, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, indem der fiskalische Spielraum genutzt wird, wie es die Regierung auch mit direkten Bargeldauszahlungen und Subventionen in einigen gefährdeten Sektoren tut, was etwa 6 Prozent des iranischen BIP ausmacht.
Die Regierung hat jedoch gravierende Defizite auf der Einnahmenseite und finanziert ihren Haushalt durch Offenmarktgeschäfte,iv da sie keinen internationalen Gläubiger hat, der Infrastruktur-Investitionsprojekte finanziert. Wie bereits erwähnt, führte die Ausgabe von Geld zur Finanzierung des Staatshaushalts zu hoher Inflation und makroökonomischen Instabilitäten sowie zu einer Abwertung des Wechselkurses. Wenn die Regierung ihre Fiskalpolitik weiterhin über die Zentralbank umsetzt, kann das sog. „Helikoptergeld“ die Wirtschaft weiter destabilisieren. Mit anderen Worten, die „Widerstandswirtschaft“ Irans funktioniert möglicherweise nicht mehr, was auch erklären mag, dass das Regime stärker auf Repression setzt, um den nächsten Aufstand abzuwenden.

Die Aussichten
Da ein Großteil der derzeitigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten Irans eine Folge des Rückzugs der USA aus dem JCPOA und der Wiedereinführung sekundärer US-Sanktionen gegen das Land ist, könnte eine Verringerung der Spannungen im nächsten Jahr mit einer US-Regierung unter Joe Biden Teheran eine Atempause verschaffen. Zumindest bis Biden im Januar nächsten Jahres ins Weiße Haus einzieht, wird die Islamische Republik mit ihrer „Widerstandswirtschaft“, die sehr stark von ihrem geschäftstüchtigen Militärapparat gesteuert wird, Washingtons Politik des „maximalen Drucks“ widerstehen müssen. Ein großer Teil der wirtschaftlichen Aktivitäten in Iran wird von sehr großen halbstaatlichen Unternehmen – die Wirtschaftsimperien der Bonyads (sog. religiöse Stiftungen) – und der Setad betrieben, deren Leiter vom Obersten Führer ernannt werden. Diese Unternehmen sind in der Regel von Umsatz- oder Mehrwertsteuern befreit, und sie haben mehrere an der Teheraner Börse aktive Holdinggesellschaften, deren Leiter meist ehemalige Kommandeure der Revolutionsgarden sind. Es wird erwartet, dass diese Unternehmen die „Widerstandswirtschaft“ durch die anhaltende Krise steuern, was die Korruption auf den höchsten Machtebenen fördern könnte.
Gleichzeitig hat Teheran seine innere Sicherheit gestärkt, da es befürchtet, dass es eine weitere Welle noch stärkerer Straßenproteste geben könnte. Die Pandemie hat hier als Katalysator gewirkt, denn diejenigen, die arm und arbeitslos waren, haben miterlebt, wie sich ihr Zustand sogar noch verschlechtert hat. Das bringt sie tatsächlich in eine Situation, in der sie das Gefühl haben, nichts mehr zu verlieren zu haben. Die Demonstrant*innen der letzten beiden landesweiten Proteste in Iran stammten zumeist aus ärmeren Schichten der Gesellschaft, und dies ist zu einer der größten Sicherheitsbedrohungen für die Islamische Republik geworden.
Abschließend muss festgestellt werden, dass die Wirtschaftskrise der Islamischen Republik eng und unausweichlich verbunden ist mit der Feindschaft zu den USA. Die zukünftige US-Regierung unter Joe Biden, sofern sie Washington wieder an das Iran-Atomabkommen bindet und Sanktionen abbaut, könnte Teheran einen Ausweg aus dieser wirtschafts- und geopolitischen Sackgasse eröffnen. Angesichts der Komplexität der Lockerung eines sehr umfassenden Sanktionsregimes und einiger Unsicherheiten über die genauen Modalitäten einer Iran-Politik unter Biden besteht für Teheran die beste Lösung natürlich darin, die vier Jahrzehnte währende Feindseligkeit gegenüber Washington zu beenden, damit seine diversifizierte Wirtschaft mit ihrem enormen Potential und seinem Humankapital einen Weg der nachhaltigen Entwicklung einschlagen kann. Doch eine signifikante Überbrückung dieser beidseitigen Feindschaft wird auch im nächsten Jahr eine Schimäre bleiben, so dass mit einer eventuellen Lockerung der US-Sanktionen Irans Wirtschaftskrise bestenfalls gemildert werden kann.♦
Übertragen aus dem Englischen von Christiane Zschunke
© Iran Journal
Zu den Autoren:
Mahdi Ghodsi: Ökonom am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Promotion in Wirtschaftswissenschaften an der Katholischen Universität Mailand und Promotion in internationalen Wirtschaftswissenschaften an der Universität Warschau.
Ali Fathollah-Nejad: Non-Resident Senior Research Fellow, Afro–Middle East Centre (AMEC), Johannesburg. Ehemaliger Iran-Experte bei Brookings Institution in Doha (BDC) und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Promotion in Entwicklungsstudien an der SOAS (School of Oriental and African Studies) University of London.
Erklärungen und weiterführende Links:
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Die Handelsbedingungen sind definiert als die Menge der importierten Waren, die Iran pro Einheit eines exportierten Produkts kaufen kann. Mit verbesserten Handelsbedingungen kann ein Land durch den Export vielfältiger Waren mehr verdienen als es für seine Warenimporte bezahlt.
- Ali Fathollah-Nejad, Emerging pandemic-related triple crisis raises fears of protests in Iran, Washington: Brookings Institution, 21. Juni 2020.
- Für weitere Informationen über die asymmetrischen Auswirkungen der Abwertung des Rials auf die Handelsbilanz, vgl. Mahdi Ghodsi et al., Does Asymmetric Nonlinear Approach Explain the Relationship Between Exchange Rate and Trade of Iran?, wiiw Working Paper, Nr. 187 (September 2020), Wien: wiiw.
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Ali Fathollah-Nejad, Leicht entflammbar – Schwerste Unruhen seit 40 Jahren: Was die Proteste im Iran so außergewöhnlich macht, Der Tagesspiegel, 2. Dezember 2019, S. 6; ibid., Die nächste Protestewelle nur eine Frage der Zeit, Iran-Journal, 11. Dezember 2019.
- Trotz der US-Sanktionen ist es Iran im September 2020 gelungen, seine Ölexporte auf ein Niveau zu steigern, das seit eineinhalb Jahren nicht mehr erreicht wurde. Es wird angenommen, dass die Exporte (Rohöl sowie Kondensat) auf 1,5 Millionen Barrel pro Tag (b/d) angestiegen sind, während sie im Vormonat August schätzungsweise zwischen 600.000 und 700.000 b/d lagen. Im Vergleich dazu beliefen sich die iranischen Exporte vor der Wiedereinführung der US-Sanktionen Mitte 2018 auf 2,7 Millionen Barrel pro Tag, danach wurden sie dezimiert. Ölminister Zanganeh räumte vor dem iranischen Parlament ein, dass die Ölexporte „nicht im Namen Irans“ erfolgten, wobei „Exportdokumente und Versandspezifikationen immer wieder geändert werden.“ Obwohl die internationale Nachverfolgung solcher illegalen Tankeraktivitäten wesentlich verbessert wurde, war nicht klar, welche Routen und Bestimmungsorte diese Exporte hatten. Vgl. z.B. Iran Oil Exports on the Rise, Despite Sanctions, Radio Farda, 1. Oktober 2020.
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Iran’s rial hits record low as tension spikes with the U.S., Reuters, 20. September 2020.
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New U.S. Sanctions Hit Iran ‚Psychologically‘ Says CBI Governor, Radio Farda, 3. Oktober 2020.
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Bijan Khajehpour, Iran turns to bonds to solve budget crisis, Al-Monitor, 3. Juni 2020.
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Maziar Motamedi, Will open market operations signal new chapter in Iran’s financial leadership?, Al-Monitor, 24. Mai 2019.
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Borzou Daragahi, Iranian authorities ramp up repression over unrest fears: Surge in torture and abuse of activists as authorities fear renewed protests, The Independent, 4. September 2020, S. 67.
- Vasily Astrov, Mahdi Ghodsi, Richard Grieveson & Robert Stehrer, The Iranian Economy: Challenges and Opportunities, wiiw Research Report, Nr. 429 (Juli 2018), Wien: wiiw.
- Ali Fathollah-Nejad, COVID-19 nach einem Annus Horribilis: Die Coronakrise in Iran, in: Thomas Schmidinger & Josef Weidenholzer (Hg.) Virenregime: Wie die Coronakrise unsere Welt verändert, Wien: bahoe books, S. 443–457, Oktober 2020.
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Ali Fathollah-Nejad, The Islamic Republic of Iran Four Decades On: The 2017/18 Protests Amid a Triple Crisis, Washington: Brookings Institution & Doha: Brookings Doha Center (Brookings Doha Center Analysis Paper, Nr. 28), April 2020.
- Payam Ghalehdar & Ali Fathollah-Nejad, Die Mär vom Regime Change, Iran-Journal, 2. Dezember 2019.
worldbank.org , iaea.org , dw.com , cbi.ir , wsj.com , al-monitor.com