Warum Irans Wirtschaftskrise (geo-)politisch ist

Die Rolle der Geopolitik

Der zweite Grund für die schwierige wirtschaftliche Lage Irans sind die zunehmenden geopolitischen Spannungen. Neben dem Devisendefizit aufgrund fehlender Exporteinnahmen kann man als einen weiteren entscheidenden Faktor für die Abwertung des Rial auch an die Sitzung des Gouverneursrates der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) denken, der am 19. Juni eine Resolution gegen Teheran bezüglich des Sicherungsabkommens des Atomwaffensperrvertrags (NVV) verabschiedete. Die Resolution war die erste kritische Resolution gegen Iran seit 2012 und beklagte die „Verweigerung des Zugangs zu zwei von der IAEO im Rahmen des Zusatzprotokolls festgelegten Standorten und den anhaltenden Mangel an Klärung von Fragen der IAEO im Zusammenhang mit möglichem nicht deklariertem Nuklearmaterial und nuklearbezogenen Aktivitäten in Iran.“ Wenige Tage nach dieser Resolution beobachteten wir auf dem Markt eine weitere starke Abwertung des Rial gegenüber dem USD. Die Resolution der IAEO sendete ein negatives Signal an den iranischen Markt, das eine Kapitalflucht in Form einer Dollarisierung auf dem zweiten Markt auslöste. Diese Entwicklung erinnert an eine ähnliche, die im Anschluss an eine frühere IAEO-Resolution – jener vom Oktober 2002 – zu beobachten war. Damals lag im Mai 2012 der Marktwechselkurs bei etwa 15.750 Rial pro USD und verdoppelte sich nach der Oktober-Resolution auf etwa 33.000 Rial pro USD. Dies war eine der stärksten Abwertungen der iranischen Währung in den vergangenen Jahrzehnten.

Am Wochenende des 19./20. September 2020 hat der Rial in seinem Wert gegenüber dem USD einen weiteren Negativrekord erreicht. Ein Dollar wurde auf dem inoffiziellen Markt für 273.000 Rial gehandelt. Am 19. September hatte US-Präsident Donald Trump angekündigt, dass alle UN-Sanktionen gegen Iran wieder in Kraft gesetzt würden. Dies zeigt, dass der Wertverlust des Rial in engem Zusammenhang mit geopolitischen Ereignissen steht. Allein in diesem Jahr hat der Rial ungefähr die Hälfte seines Wertes verloren.

Am 1. Oktober hat die iranische Währung ein neues Rekordtief erreicht: mit 300.000 Rial gegenüber dem US-Dollar. Der Gouverneur der iranischen Zentralbank Abdolnaser Hemmati bestätigte den engen Zusammenhang zwischen der Abwertung des Rial und geopolitischer Ereignisse. Er sagte, dass die Ankündigung der Trump-Regierung vom 29. September, „das iranische Finanzsystem vollständig abzuschneiden“, mit einer neuen Reihe von Sanktionen (dabei wurden 14 Banken auf eine schwarze Liste gesetzt und der gesamte Finanzsektor Irans mit Ausnahme des humanitären Handels als tabu eingestuft, zumindest laut US-Außenministerium) eine „psychologische Wirkung“ auf den Devisenmarkt des Landes habe. Darüber hinaus äußerte sich Hemmati aber auch optimistisch hinsichtlich der Rückführung eines Teils der eingefrorenen iranischen Vermögenswerte (insbesondere 3 Milliarden Dollar aus dem Irak für Strom- und Gasexporte sowie 7 Milliarden Dollar aus Südkorea für Rohölexporte), ohne jedoch konkrete Einzelheiten zu nennen.

Protest der Iraner im November 2019, Internationales Tribunal über Unruhen im Ira, November 2019
Im November 2019 gingen landesweit Menschen auf die Straße, um gegen die Preiserhöhungen  und Untätigkeit der Regierung zu demonstrieren

Umgekehrt gibt es auch geopolitische Ereignisse – insbesondere in jüngster Zeit –, die sich positiv ausgewirkt haben. Am 18. Oktober wurde das UN-Waffenembargo gegen den Iran aufgehoben, wie im JCPOA vorgesehen. Obwohl seine Auswirkungen wahrscheinlich mehr Kontinuität als Veränderung erkennen lassen, wurde dieses Datum von Iran als politischer Sieg gegen die US-Politik des „maximalen Drucks“ gefeiert, wodurch sich die Erwartungen auf dem iranischen Markt verbesserten. Unmittelbar legte der iranische Rial gegenüber dem USD um etwa 10 Prozent zu (siehe die äußerste rechte vertikale Linie in Abb. 1). Darüber hinaus hatte die Niederlage von Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen Anfang November einen zusätzlichen positiven Einfluss auf den iranischen Markt: Der Rial wurde kurz darauf um weitere 10 Prozent aufgewertet. Wer Devisen als Investition gehalten hatte, brachte diese sofort auf den Markt, um weitere Verluste durch eine weitere Aufwertung des Rial zu vermeiden. Auch die Exporteure brachten mehr von ihren ausländischen Einnahmen auf den Markt. Diese Situation ist jedoch nicht stabil, da Iran nach wie vor ein Handelsdefizit aufweist, solange die sekundären US-Sanktionen andauern.

Schlechte hausgemachte Politik

Der dritte Faktor, der den wirtschaftlichen Abschwung in Iran verursacht, ist ein inflationärer Druck als Ergebnis schlechter Politik. Seit dem Rückzug der USA aus dem JCPOA sind die Preise in Iran in die Höhe geschnellt. Der Preis für importierte Waren ist aufgrund der Abwertung des Rial und wegen der Importbeschränkungen durch sekundäre US-Sanktionen rapide gestiegen. Darüber hinaus kann die Regierung ihre fiskalischen Anreize nicht finanzieren, da ihre Öleinnahmen durch die Sanktionen blockiert werden. Zur Finanzierung ihrer Ausgaben gab die Regierung Anleihen über Offenmarktgeschäfte (open-market operations) aus. Diese Anleihen können zu früheren Staatsschulden addiert werden, die von öffentlichen Institutionen wie der Sozialversicherungsorganisation eingefordert werden.

Der übrige Staatshaushalt und die zur Bekämpfung der Pandemie eingeführten fiskalischen Anreize sollten jedoch durch eine Erhöhung der Geldmenge finanziert werden. Da das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sinkt und das in der Wirtschaft zirkulierende Geld zunimmt, führt das höhere Geldvolumen direkt zu höheren Preisen. Folglich werden in einer Wirtschaft mit steigender Inflation und einem Nominalzinssatz, der niedriger als die Inflation ist, die Ersparnisse nicht in Banken investiert, während das Kapital in unproduktive und spekulative Investitionen auf dem Devisenmarkt und an der Teheraner Börse abfließt. Dies ist eine Situation, in der Staatsanleihen für Banken und Einzelpersonen nicht rentabel sind und der fiskalische Spielraum der Regierung immer enger wird.
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