„Ich werde ihnen immer helfen“

Professor Amir M. Parasta behandelt in seiner Münchener Augenklinik junge Iraner:innen, die nach Augenverletzungen durch Schüsse bei den landesweiten Protesten im Iran 2022 erblindeten. Wie sie zu ihm nach Deutschland kamen und wie es ihnen derzeit geht, beschreibt er im Gespräch mit dem Iran Journal. Auch für den Facharzt für Augenheilkunde und Augenchirurgen steht fest: Die Schüsse in die Augenregion erfolgten mit Absicht.

Laut iranischen Menschenrechtsorganisationen wurde bei den Protesten nach dem gewaltsamen Tod von Jina Mahsa Amini im Iran im September 2022 Hunderte Menschen gezielt von Sicherheitskräften in die Augen geschossen. Ebenso wie die Proteste im Iran geht die Behandlung der Opfer weiter, auch in Deutschland: Professor Amir M. Parasta hat in seiner Augenklinik in München mehrere von ihnen immer noch in Behandlung.

Iran Journal: Herr Professor Parasta, wie viele erblindete Protestierende haben Sie bisher behandelt?

Seit dem Beginn der Aufstände im Iran wurde ich über verschiedene Kanäle in über 100 Fällen konsultiert. In einigen Fällen konnten mein Team und ich “telemedizinisch” weiterhelfen oder die Betroffenen an spezialisierte Kolleg:innen im Iran vermitteln. Fünfzehn Augenverletzte sind in meiner persönlichen Behandlung.

In welchem Zustand waren die Personen, die zu Ihnen gekommen sind? Haben sie auch Verletzungen an anderen Organen?

Prof. Amir M. Parasta
Prof. Amir M. Parasta

Eine isolierte Augenverletzung ist sehr selten vorgekommen. Bei Paintball-Verletzungen gibt es häufig weitere Prellungen an den Extremitäten und am Rumpf durch Mehrfachbeschuss, in einigen Fällen auch Knochenbrüche im Bereich der Augenhöhle und des Schädels. Beim Einsatz von Schrotmunition liegen in der Regel Dutzende Metallfremdkörper im Bereich des Kopfes und des Gehirns sowie in Hals und Oberkörper vor. In einigen Fällen liegen auch direkter Beschuss im Bereich der Arme, Beine oder Genitalien vor, die in allen Fällen zum Funktionsverlust des jeweiligen Organs geführt haben, also zu Blindheit, Lähmungen und Verstümmelungen. Die größten Narben sind aber die nicht sichtbaren: die seelischen Narben.

Wie können Sie bei solchen Verletzungen helfen?

Was die Augenverletzungen angeht, ist das primäre Ziel der Erhalt des Augapfels. Eine Sehfunktion ist bei nahezu keinem der Verletzten mehr vorhanden. Die meisten von ihnen haben bereits im Iran eine exzellente medizinische Versorgung erhalten und schon mehrere Operationen hinter sich. In vielen Fällen musste dann das Auge doch noch entfernt werden, weil entweder ein dauerhaft schmerzhaftes erblindetes Auge vorlag oder die Sehleistung des zweiten Auges “in Feuer” stand, wenn man das erste Auge nicht entfernt hätte. Tatsächlich sind die inneren Verletzungsmuster jedoch sehr verschieden, und jeder Patient braucht ein individuelles Therapieprogramm. Für viele stehen Hornhauttransplantationen an, für einige auch komplexe Netzhautoperationen. Bei einigen ist die Versorgung mit einer kosmetisch und medizinisch akzeptablen Augenprothese das Therapieziel, was oft auch nicht minder komplex ist.

Sind manche von ihnen noch in der Behandlung?

Ja, tatsächlich alle. Diese Behandlungen sind langwierig und ziehen sich oft über Jahre.

Wie kam es, dass sie zur Behandlung zu Ihnen kamen?

Mit dem Beginn der Aufstände im Iran haben meine engsten Freunde und ich uns gefragt, welchen Beitrag wir leisten können. Die Überlegungen führten zur Gründung einer NGO für politische Bildung und Hilfe für Gewaltopfer im Kampf für eine Demokratie: The Munich Circle e.V.. Wir haben alsbald mit der Öffentlichkeitsarbeit begonnen und uns durch meinen beruflichen Hintergrund speziell der Thematik der Augenverletzten angenommen. Mein Team bei MUNICH EYE hat eine Notfall-Hotline über WhatsApp eingerichtet, die über einige TV-Sender bekanntgegeben wurde. So haben sich mehr und mehr Verletzte gemeldet. Einige dieser Gewaltopfer konnten meine Mitstreiter bei MUNICH CIRCLE in sehr enger Zusammenarbeit mit dem deutschen Außenministerium mit einem humanitären Visum nach München bringen, wo wir uns dann persönlich und medizinisch um sie kümmern konnten.

Wurden Sie dabei von anderen Kolleg:innen oder ärztlichen Organisationen unterstützt?

Gleichzeitig mit der Gründung von MUNICH CIRCLE organisierten sich iranstämmige Ärzte und Ärztinnen im Parsimed e.V..Über diesen Verein haben wir auch einige Fälle von Augenverletzten und Hilfesuchenden bekommen. Parsimed konzentrierte sich jedoch bald auf die Organisation von Demonstrationen. Wir hätten uns sehr gewünscht, dass wir auch in anderen Städten eine Versorgung und Betreuung von Augenverletzen realisieren könnten, aber es bleibt leider bei Einzelfällen.

Zaniar T. (li.) ist einer der erblindeten Protestierenden, die Prof. Parasta behandelt
Zaniar T. (li.) ist einer der erblindeten Protestierenden, die Prof. Parasta behandelt

Wer trägt die Kosten?

Die Patienten, die über ein humanitäres Visum nach Deutschland reisen konnten, werden sofort krankenversichert, so dass ein großer Teil der Behandlungskosten gesichert ist. Den Rest übernehmen in der Regel NGOs wie unsere und private Initiativen.

Viele Protestierende und Menschenrechtsorganisationen sagen, dass die Beamten der Sicherheitsorgane des Regimes gezielt auf die Augen der Demonstrant:innen geschossen hätten. Was meinen Sie, und was haben die Opfer Ihnen erzählt?

Dies kann ich auch aus medizinisch-forensischer Sicht in allen mir bekannten Fällen bestätigen. Die Verletzungsmuster haben alle eins gemeinsam: Beschuss aus einem kurzen Abstand, bei dem das Zielen in die Augenregion beabsichtigt und leider damit auch gesichert war. Die Häufigkeit, wie oft die Augen tatsächlich getroffen worden sind, ist erschreckend. Die Eindringtiefe bei Schrotgeschossen lässt sehr gut den kurzen Abstand herleiten.

Hatten Sie diesbezüglich Kontakt zu Ihren Kolleg:innen im Iran?

Ja, sehr häufig und intensiv. Die Hilfsbereitschaft der iranischen Ärztinnen und Ärzte war wirklich sehr beeindruckend, und zwar über alle Regionen des Landes und alle Fachrichtungen. In keinem Fall habe ich erlebt, dass ein Arzt im Iran nicht hilft, weil er Konsequenzen befürchtet oder nicht ausreichend dafür bezahlt werden kann.

Sie haben in einem Interview erwähnt, dass Sie Augenarzt geworden sind, weil Ihr Bruder durch einen Gewaltakt des iranischen Regimes erblindete. Können Sie uns erzählen, was genau passiert ist?

Mein Vater war im Iran politisch aktiv. Er war überzeugter Demokrat und der festen Überzeugung, dass Demokratie und Islam keine Gegensätze sind, solange die Prinzipien der Demokratie nicht von der Geistlichkeit unterminiert werden. Als Jurist und Politikwissenschaftler wollte er sich gerne in diese Entwicklung einbringen. Recht früh haben die Mullahs ihn aber verstehen lassen, dass sie dieses Gedankengut nicht gutheißen, und haben mit einem Attentat auf meinem Bruder ein Exempel statuiert. Eigentlich sollte er bei dem inszenierten Verkehrsunfall sterben. Er überlebte mit einem schweren Gehirnschaden und dem Verlust des Sehvermögens auf einem Auge.

Die Probleme, wegen derer die Menschen im Iran protestiert haben, sind nicht gelöst, die Proteste wurden nur gewaltsam unterdrückt. Wir dürfen also mit neuen Protesten wegen derselben Probleme rechnen. Das Regime wird sehr wahrscheinlich genauso reagieren wie bei den letzten Protesten. Sind Sie auf die Aufnahme neuer Regimeopfer vorbereitet?

Solange mein ärztlicher Eid gültig ist, ja. Also gerne und immer.♦

Interview: Farhad Payar

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