Die Präsidentenwahl als Totenglocke

Republikgründer Ruhollah Khomeini hatte unter dem Einfluss seiner „modernen“ Berater wie Sadegh Ghotbzadeh, Abolhassan Banisadr oder Ebrahim Yazdi die Form einer Republik für den Iran akzeptiert – nach Meinung vieler Expert*innen, um die Unterstützung der demokratischen Welt für den Kampf gegen das Schah-Regime zu gewinnen. Dem greisen Geistlichen schwebte aber schon damals ein absolutistischer islamischer Staat vor. Und nahezu die gesamte Nation, der Monarchie überdrüssig, hat das unbekannte System einer islamischen Republik gebilligt – nicht zuletzt deshalb, weil Khomeini ihr Paradiese im Dies- und Jenseits versprach. 

Doch der Schweiß der Revolutionäre war noch nicht versiegt, als der Widerspruch zwischen Republik und Islam deutlich wurde: Verschiedene gesellschaftliche Schichten und politische Gruppierungen erhoben den Anspruch auf Machtbeteiligung – wie nun mal in einer Republik üblich. Aber Khomeini und seine gewalttätigen Anhänger*innen exekutierten Tausende von Dissident*innen, verhafteten und folterten Zehntausende in den Kerkern und zwangen Millionen unzufriedene Iraner*innen ins Exil – um in Ruhe ihre islamische Herrschaft aufzubauen.

Im Zuge der „Reislamisierung“ wurden auch jene treuen Diener Khomeinis beseitigt, die auf republikanische Grundsätze mehr Wert gelegt hatten als auf die Scharia. Zuletzt wurden die moskautreuen Kommunisten, die Khomeinis Gottesstaat einer parlamentarischen Demokratie westlicher Prägung vorzogen und ihn deshalb aktiv unterstützen, niedergeschlagen.

Vertreter Gottes auf Erden

Khomeini herrschte als Vertreter Gottes auf Erden mit eiserner Hand, alle Staatsgewalten waren ihm untergeordnet. Sein Nachfolger Ali Khamenei setzte diesen Weg fort, hat aber nicht das Charisma und die Beliebtheit seines Vorgängers. Deshalb geriet er immer wieder mit den Regierungschefs – mal mit Rafsandschani, mal mit Mohammad Khatami, mal mit Mahmoud Ahmadinedschad – in Konflikte, die seiner Position als Alleinherrscher schadeten.  Und so kam es, dass Rafsandschani kaltgestellt wurde, Khatami Redeverbot bekam und Ahmadinedschad in den Hintergrund geschoben wurde. 

 

Bei der Wahl Hassan Rouhanis zum Präsidenten hatten die Menschen noch Hoffnung auf Veränderungen!
Bei der Wahl Hassan Rouhanis zum Präsidenten 2017 hatten die Menschen noch Hoffnung auf Veränderungen!

Der noch amtierende Präsident Hassan Rouhani war ein zahnloser Wolf, der seinem Führer dennoch latent Widerstand zu leisten versuchte. Markantes Beispiel: Als im November 2019 die Benzinpreise erhöht wurden und dies landesweite Proteste auslöste, beschwerte er sich darüber, von der Preiserhöhung erst aus den Medien erfahren zu haben. Auch ging sein Innenministerium damals nicht „konsequent“ genug gegen die Protestierenden vor. Deshalb wurden die meisten der 1.500 Opfer von Revolutionsgardisten oder nicht-uniformierten paramilitärischen Kräften getötet.

Die Reaktion des Volkes

Aber das Volk ist nicht so dumm, wie sich ein Diktator ausmalt. Das gilt auch für die iranische Bevölkerung. Seitdem Khamenei und sein Wächterrat eine Offensive zur Umgestaltung ihres „göttlichen“ Systems gestartet haben, werden kritische Stimmen in der Bevölkerung lauter. Diesmal sind nicht nur Laizist*innen oder islamische Reformer, sondern auch Teile der Hardliner mit der neuen Entwicklung unzufrieden. Sie wissen, dass dies erst der Anfang einer neuen „Säuberung“ im politischen System sein kann, wissen, dass der Kreis der Insider immer kleiner wird und dass sie bald entweder wie Rafsandschani kaltgestellt werden oder wie Millionen ihrer Landsleute ins Ausland flüchten müssen.

Es gibt eine gewaltige Strömung gegen die Wahlen, auf den Straßen, in den Büros und Fabriken, den sozialen Netzwerken. Das gibt mir Hoffnung auf eine bessere Zukunft für meine Heimat. Das gestiegene politische Bewusstsein der Bevölkerung und die Verkleinerung der Machtzirkel haben dazu geführt, dass das islamische System, das einst 99 Prozent Zustimmung hatte, jetzt um Wahlstimmen betteln muss.

Nach den neuesten Erhebungen regimetreuer Meinungsforscher, die Menschen auf der Straße und am Telefon befragt haben, wollen nur 42 Prozent der Iraner*innen an den Wahlen teilnehmen. Dabei muss man bedenken, dass der Polizeichef des Landes und Teherans Oberstaatsanwalt vor kurzem bekanntgegeben haben, mit aller Härte gegen jene vorgehen zu wollen, die die Wahlen boykottieren oder öffentlich gegen sie werben. Man kann deshalb davon ausgehen, dass ein beachtlicher Teil der Befragten aus Angst vor Repressalien angegeben haben, wählen zu wollen.  

Es scheint mir, dass die Präsidentschaftswahl 2021 die Totenglocke ist, die bald für die Islamische Republik läuten wird.♦

  *Um sich gegen staatliche Repressalien zu schützen, schreibt der im Iran lebende Autor unter diesem Pseudonym.

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