Berlinale 2017: fast ohne den Iran
In den letzten 10 Jahren standen iranische Filme auf dem Internationalen Filmfestival in Berlin im Rampenlicht. Das Ergebnis waren neun Bären. Doch im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale glänzten iranische Spielfilme vor allem durch Abwesenheit. Hat das islamische Regime zu dieser Entwicklung beigetragen?
Nur ein einziger aktueller Spielfilmbeitrag aus dem Iran war bei der Berlinale 2017 zu sehen: „Tamaroz (Simulation)“, der Debütfilm des 28-jährigen Regisseurs Abed Abest, der im Forum gezeigt wurde. Daneben wurde eine restaurierte Fassung des 1990 gedrehten Films „Nama-ye Nazdik (Close Up)“ des verstorbenen Meisterregisseurs Abbas Kiarostami im „Berlinale Spezial“ gewürdigt. Und der Dokumentarfilm „No Land’s Song“ des in Deutschland lebenden iranischen Regisseurs Ayat Najafi über das Verbot weiblichen Gesangs im Iran – für den deutschen Filmpreis Lola 2017 in der Kategorie Dokumentarfilm nominiert – wurde dem Fachpublikum vorgeführt. Das war’s dann auch schon mit Beiträgen iranischer Filmschaffender zum diesjährigen internationalen Filmfest in Berlin.
Dabei gewannen in den neun Jahren von 2006 bis 2015 iranische Film gleich neun Bären: einen gläsernen, sechs silberne und zwei goldene. Iranische Regisseure und Filme aus dem Iran sind seit über 40 Jahren auf der Berlinale zu Hause. Den ersten silbernen Bären für die beste Regie gewann 1974 Sohrab Shahidsales für seinen Film „Tabiate Bijan (Stillleben)“. Und als der iranische Filmemacher Jafar Panahi 2010 zu sechs Jahren Haft und 20 Jahren Arbeitsverbot verurteilt wurde, würdigten ihn die Berliner Filmfestspiele bei der Eröffnungsveranstaltung mit einem leeren Stuhl und einem riesengroßen Bild auf der Bühne. 2013 wurde Panahis Film „Vorhang“ auf der Berlinale mit dem silbernen Bären für das beste Drehbuch ausgezeichnet. 2015 wurde seiner Fake-Doku „Taxi“ als bester Film der goldene Bär verliehen. Beide Filme wurde im Iran ohne Drehgenehmigung und trotz Panahis Arbeitsverbot produziert.
Berlinale-Filme am Teheraner Flughafen beschlagnahmt
Als am 27. November 2016 Anke Leweke, Delegierte für das iranische Kino bei der Berlinale, und ihre Beraterin und Übersetzerin Nooshafarin Dastouri von einer Reise in den Iran nach Berlin zurückfliegen wollten, berichtete die iranische Tageszeitung Shargh, „Lewekes Koffer voller Filme“ seien am Flughafen beschlagnahmt worden.
Die konservative Tageszeitung Keyhan schrieb daraufhin, die Berlinale gehöre zu „Kreisen“, die seit 2009 gezielt antiiranische Filme unterstützten und ein düsteres Bild des Iran zeichnen wollten, indem sie Filme zeige, die keine Drehgenehmigung iranischer Behörden haben, und diese wegen ihrer antiislamischen Positionierung auszeichne. In Anspielung auf die Berlinale-Aktion für den Regisseur Panahi schrieb die Zeitung: „Für drittklassige Regisseure lassen sie einen Stuhl frei, nur weil er gegen die nationale Sicherheit des Iran agiert.“ Es sei „verwunderlich“, so Keyhan weiter, dass Jahr für Jahr Gesandte der Berlinale nach Teheran kommen konnten, um Filme auszuwählen, die „ein negatives und beleidigendes Bild des Iran“ zeichneten, „bis in diesem Jahr endlich das Informationsministerium eingriff“, so das konservativ-fundamentalistische Blatt.
Die reformorientierte Tageszeitung Shargh hingegen wertete die Reise Lewekes in den Iran als „eine Ehrung iranischer Filme, die seit Jahren einen besonderen Platz bei der Berlinale einnehmen“.
Anke Leweke jedenfalls musste im vergangenen November ohne die ausgewählten Filme nach Berlin zurückkehren. Ihrer Übersetzerin Dastouri, die die deutsche und die iranische Staatsbürgerschaft hat, wurde dagegen die Ausreise verweigert. Ihr Reisepass wurde eingezogen und sie wurde ins Informationsministerium bestellt, um dort einige Fragen zu beantworten. Dastouri hatte Leweke zuvor vier Jahre lang in den Iran begleitet. Inzwischen soll sie auch den Iran verlassen haben.
Während dem islamischen Regime im Iran kritisch gegenüberstehende Onlinemedien die Ansicht vertreten, Druck der iranischen Regierung habe dazu geführt, dass bei der Berlinale 2017 iranische Filme unterrepräsentiert seien, schreibt die Pressesprecherin der Berlinale, Frauke Greiner, auf Anfrage: „Aus unserer Sicht kann nicht von einer Unterrepräsentation gesprochen werden. Auch in den letzten Jahren ist es immer wieder vorgekommen, dass lediglich ein iranischer Film auf der Berlinale gelaufen ist. Zudem können wir Ihnen versichern, dass wir trotz der aktuellen Ereignisse im Vorfeld alle Filme, die wir sichten wollten, gesehen haben.“
Abed Abest, der Regisseur des einzigen neuen Iran-Beitrags „Tamaroz“, bestätigte, dass sich eine CD mit seinem Film in Lewekes beschlagnahmten Koffer befunden habe. Er sei nun bei der Justiz. Es sei ein Witz, zu meinen, dass Filme die Berlinale nicht erreichen könnten, nur weil man Koffer beschlagnahme, so Abest: Ein Password reiche aus, um sämtliche Filme, die im Iran in Filehosting-Dienste gestellt werden, herunterzuladen.
Offen bleibt, warum Berlinale-Direktor Dieter Kosslick, der in den vergangenen Jahren gegen Strafmaßnahmen des Iran gegen iranische Filmschaffende protestiert hat, sich 2017 über Schikanen gegen eigene Mitarbeiterinnen in Schweigen hüllt.
NASRIN BASSIRI
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