Staatsausverkauf gegen die Wirtschaftskrise

Beobachter und Experten stehen diesen Maßnahmen sehr skeptisch gegenüber. Die Regierung will mit der Privatisierung der Firmen kleine und große Investoren anlocken und so frisches Geld in den Markt pumpen. Doch laut Medienberichten sollen am 17. April, einen Tag vor der offiziellen Freigabe der staatseigenen Aktien, Aktienmakler ihre Anteile an privaten Unternehmen veräußert haben, um den Erlös in Shasta-Aktien zu investieren. So wird ein beachtlicher Teil dieser Aktien unter Maklern gehandelt werden und keine Kleinanleger an die Börse locken.

Ein anderer Kritikpunkt der Experten ist die verheerende Korruption innerhalb der staatlichen Organe des Iran. Ein Wirtschaftsexperte und Professor einer renommierten Universität im Iran – nennen wir ihn Professor Dawar – sagt im anonymen Interview mit dem Iran Journal: „Vor Jahrzehnten dachten wir, Privatisierung, wie sie in Deutschland und später in Großbritannien stattfand, würde auch im Iran zu Wirtschaftswachstum führen und langfristig gegen die Sanktionen wirken. Aber unter den derzeitigen Bedingungen kann das kein vernünftiger Wirtschaftsexperte im Iran empfehlen.“ Es sei nicht klar, welche „Wirtschaftsriesen“ gerade darauf lauerten, sich an den günstigen Staatsaktien zu bereichern. Als größter „Wirtschaftsriese“ wird im Iran die Revolutionsgarde bezeichnet.

Erfahrungen aus der Vergangenheit

Nach Paragraph 44 der iranischen Verfassung basiert die Wirtschaft der Islamischen Republik auf drei Säulen: staatlichen Firmen und Investitionen, Kooperativen und dem privaten Bereich. Laut der Verfassung gehören dem Staat unter anderem die Schlüsselindustrien, der Außenhandel, die Rohstoffminen, Banken, Versicherungen, Elektrizitätswerke, Staudämme und die Wasserversorgung sowie Funk und Fernsehen, Post und Telefondienste. Auch der Luft-, Schiffs- und Schienenverkehr gehört dem Staat.

2005 wurde der Paragraph zum Zwecke der Privatisierung geändert. 2006 wurden die ersten staatlichen Firmen auf Khameneis Befehl in private Hände übergeben. Vierzehn Jahre danach kann man mit Sicherheit sagen, dass diese Umwandlung misslungen ist.

Ex-Chefs der Organisation für die Durchführung der Privatisierung, Pouri Hosseini, gilt als enger Vertraute von Präsident Rouhani!
Ex-Chefs der Organisation für die Durchführung der Privatisierung, Pouri Hosseini, gilt als enger Vertraute von Präsident Rouhani!

„Vor 30 Jahren haben die Wirtschaftsberater der Regierung die Privatisierung vorgeschlagen, um zahlreiche Staatsunternehmen, die heruntergewirtschaftet waren, vor der bevorstehenden Insolvenz zu retten“, sagt Professor Dawar. Damals habe es viele Gegner der Privatisierung gegeben, doch aufgrund der Verstärkung der Wirtschaftskrise hätten die Hardliner um Khamenei ihren Widerstand aufgegeben: „Die Wurzel dieser Krise sind an erster Stelle Korruption und Vetternwirtschaft, und dann die lähmenden Sanktionen“, so der Wirtschaftswissenschaftler. Die Vetternwirtschaft habe auch dazu geführt, dass die staatlichen Firmen und Fabriken statt Privatinvestoren den „eigenen Leuten innerhalb der Revolutionsgarde und anderer Machtzirkel überlassen wurden“.

Seitdem ist „khossulati“, eine Kombination der Worte privat und staatlich, ein feststehender Begriff im iranischen Wirtschaftsvokabular.

Die bekanntesten Fälle solcher Schiebungen innerhalb der Machtelite und ihren Verbündeten sind die Fluggesellschaft Air-Tour, die Zuckerfabrik Hafttapeh, die Maschinenfabrik Täbriz und die Aluminiumfabriken Almehdi und Hormozal.

Zuständig für die Privatisierung ist die staatliche Organisation für die Durchführung der Privatisierung (ODP). Sie geriet in den vergangenen Jahren immer wieder wegen ihrer Misserfolge in die Kritik. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Organisation eine der korruptesten Institutionen der Islamischen Republik war und ist.

2010 verkaufte sie etwa die Fluggesellschaft Air-Tour an eine offenbar private Firma namens Hassayar. Die in Wirklichkeit dem Verteidigungsministerium zugehörige Firma gab die Fluggesellschaft nach ein paar Jahren an die ODP zurück. 2015 wurde die Air-Tour dann für 34 Milliarden Toman an einen privaten Investor namens Majid Shekari-Beyragh verkauft. Die den islamischen Hardlinern nahestehende Tageszeitung Keyhan gab den Wert der Firma allerdings mit einer Billion Toman an.

Shekari-Beyragh ist laut iranischen Medien ein Vetter des Chefs der Organisation für die Durchführung der Privatisierung, Pouri Hosseini. Die Kritik an Pour Hosseini häufte sich derart, dass die Justiz den engen Vertrauten von Präsident Rouhani festnahm. Ihm wird nun „mutwillige und zügellose Privatisierung von Staatseigentum“ und „Veruntreuung“ vorgeworfen.♦

© Iran Journal

Übertragen aus dem Persischen und überarbeitet von Omid Shadiwar.

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