Über einen Theoretiker des asymmetrischen Kriegs

Gerade hatte Ali Shamkhani, der bisherige Generalsekretär des nationalen Sicherheitsrats des Iran, die spektakuläre Annäherung an den Erzrivalen Saudi-Arabien gemanagt. Nun musste er gehen. Ihm folgt Ali Akbar Ahmadian, ein Theoretiker und Praktiker des asymmetrischen Kriegs. Warum er, warum jetzt?

 Von Ali Sadrzadeh

 Sein Metier und Fachgebiet ist der asymmetrische Krieg. Seit fünfzehn Jahren ist Ali Akbar Ahmadian Chefstratege der iranischen Revolutionsgarde, lehrt an Militärakademien das Kriegshandwerk und kommandiert die Marine des Landes. Nun fungiert er auch als Generalsekretär des Nationalen Sicherheitsrats des Iran. Der Werdegang des 61-Jährigen liest sich wie die Geschichte des Teheraner Machtgefüges, das sich Republik nennt. Ahmadians neue zusätzliche Aufgabe sagt zudem auch viel aus über die Gegenwart sowie die Zukunft dieses sonderbaren Staates.

Ein alter Gedichtvers als Paukenschlag

Am frühen Morgen des 22. April 2023 veröffentlichte Nur-News, die Webseite des Sicherheitsrats des Iran, den Vers eines Dichters aus dem 17. Jahrhundert. Sinngemäß lautet er: „Was im Verborgenen immer angedeutet wird, geschieht oft geräuschlos.“ Und es war ein geräuschvoller Paukenschlag erster Ordnung. Denn wenige Stunden später war das Schicksal von Ali Shamkhani, dem Generalsekretär des Sicherheitsrats, besiegelt.

Warum dieser Wechsel bei der wichtigsten Position, die Ali Khamenei, der mächtigste Mann des Iran, zu vergeben hat – und warum jetzt? Shamkhani war gerade erst ein Meisterstück der Diplomatie, das von der internationalen Presse unisono als Wendepunkt im Nahen Osten bezeichnet wurde, gelungen: die Versöhnung mit dem Erzrivalen Saudi-Arabien.

Chinas Verdienst?

Nachdem diese folgenreiche Annäherung in Peking entsprechend laut verkündet worden war, war Shamkhani sofort in die Hauptstädte der arabischen Nachbarländer gereist, um den Scheichs, den Regierungschefs und den jeweiligen Warlords dort die neue Marschroute des Irans zu erläutern. Kündigte sich damit eine völlig neue Außenpolitik der islamischen Republik an? Wollen die Teheraner Machthaber in den regionalen Bürgerkriegen eine andere Richtung einschlagen? Hat China mit seiner Vermittlung zwischen Riad und Teheran die USA für immer aus dem Mittleren Osten verdrängt?

Die Debatten und Kommentare über diese und ähnliche Fragen dauerten noch an, als der alte Gedichtvers der Diskussion ein Ende setzte. Ganz verschwinden wird Shamkhani sicherlich nicht, nicht völlig in Vergessenheit versinken wie etwa die Ex-Präsidenten Mohammad Khatami, Mahmoud Ahmadinejad oder Hassan Rouhani, deren Namen und Bilder die offiziellen Medien nicht veröffentlichen, weil sie nicht dürfen.

Denn Shamkhanis weit verzweigter Familienclan ist mächtig genug, um weiterhin agieren zu können. Um seinen Posten und seine Person entstanden in den vergangenen vierzig Jahren zahlreiche Firmen und Holdings: alles Unternehmen, die auf das Umgehen der Sanktionen spezialisiert sind. Ihre Connections nach Russland sind sehr stabil und seit dem Ukrainekrieg und den Sanktionen gegen Russland noch stabiler. Shamkhanis Stellung im politischen Labyrinth und in den Revolutionsgarden, seine Präsenz in den Medien und seine dunklen Geschäfte gehören zu den üblichen Konstanten dieser „Republik“.

China vermittelte zwischen Riad und Teheran
China vermittelte zwischen Riad und Teheran

 Ein Macher der ersten Stunden

Ganz anders, für die Teheraner Machthaber sogar ungewöhnlich anders, verhält es sich bei seinem Nachfolger Ahmadian. Für die breite Öffentlichkeit ist dieser ein unbeschriebenes Blatt. Zufällig oder absichtlich meidet er Mikrofone und Kameras. Nur Eingeweihte wussten, welche tragende Rolle er für die Entstehung und die Stabilität der Islamischen Republik gespielt hat. Auch die Amerikaner wussten sehr früh, wer Ahmadian ist.

Er gehörte zu den ersten iranischen Militärfunktionären, gegen die die USA Anfang der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts Sanktionen verhängten, wegen Bombenattacken gegen Öltanker im Persischen Golf. Es waren die Jahre des Krieges gegen Saddam Hussein. Die Bombenanschläge des jungen Ahmadian gegen jene Schiffe, die die Meeresenge Hormoz im Persischen Golf passieren mussten, behinderten damals die internationale Ölversorgung so massiv, dass die USA sich für die Sicherung der freien Schifffahrt zum größten Marineeinsatz ihrer jüngsten Geschichte gezwungen sahen.

Die Karriere eines asymmetrischen Kriegers

Der gerade zwanzig Jahre alte Gardist kommandierte damals die Marine der Revolutionsgarde. Hier sammelte er die ersten praktischen und relativ erfolgreichen Erfahrungen, wie man mit wenigen Mitteln große militärische Ziele erreichen kann. Das hat er in seiner weiteren militärischen Laufbahn zum Schwerpunkt seiner Arbeit entwickelt. Ahmadian wurde schließlich Theoretiker des asymmetrischen Krieges, schrieb zu diesem Thema Bücher, als Dozent hält er darüber an der Imam Hossein-Universität, der Lehrakademie der Revolutionsgarden, Vorlesungen.

Revolutionsführer Ali Khamenei ernannte ihn zu Marineadmiral. Als er vor fünfzehn Jahren zum Leiter der Strategischen Kommission der Revolutionsgarden aufstieg, legte er ein Grundsatzpapier dazu vor, wie sich die Garden zur bestimmenden, praktisch einzigen tragenden Säule der islamischen Republik zu entwickeln haben – militärisch, wirtschaftlich, innen- und außenpolitisch. Seitdem marschieren die Revolutionsgarden auf diesem von ihm festgelegten Pfad.

Bei der sog. Grünen Bewegung bestand Ahmadians Strategie ihre erste ernsthafte Probe
Bei der sog. Grünen Bewegung bestand Ahmadians Strategie ihre erste ernsthafte Probe

Zwei Jahre nach der Festlegung dieser Strategie, bei der umstritten Wiederwahl Ahmadinedjads 2009, kam ihre erste ernsthafte Probe. Damals zeigte die Garde, wie und mit welcher Brutalität sie den beschriebenen Weg beschreiten will, um die politische Szene völlig zu beherrschen.

Die permanente Kulturrevolution

Die Islamische Republik befinde sich in einem immerwährenden Kampf bzw. Krieg mit dem Westen, die permanente Kulturevolution gegen das Eindringen der westlichen Moderne dürfe nie an Schwung verlieren. Das ist die Quintessenz von Ahmadians Thesen. Dafür schlug er eine umfassende Reorganisation der Revolutionsgarden vor, regte die Bildung eines eigenen Geheimdienstes an und übertrug sein Konzept des asymmetrischen Krieges auch auf die Innenpolitik. Regionale Verbände und Kommandanten sollen damit beinahe völlige Autonomie erhalten, um lokale Unruhen effektiv bekämpfen zu können.

Genau nach diesem Rezept wurden seitdem alle Proteste im Iran blutig niedergeschlagen, einschließlich jener nach dem Tod der kurdischen Studentin Mahsa Amini im letzten September im Polizeigewahrsam. Der Hijab sei wie die Berliner Mauer: Falle sie, falle das ganze System, wurde Ahmadian vor drei Jahren von der Nachrichtenagentur Fars zitiert.

Drei Tage nach seiner Ernennung zum Generalsekretär des Nationalen Sicherheitsrates empfing er seinen Kollegen aus dem Irak, Qassem al Aaradji, und fordert ihn ultimativ auf, der Anwesenheit iranischer Oppositionsgruppen, vor allem der Kurden im nordirakischen Autonomiegebiet, ein Ende zu setzen.

Ob dies geschieht, geschehen kann, ist eine andere, lange Geschichte. Alle personellen Rochaden, die Ali Khamenei in den letzten zwei Jahren an der Spitze seines Staates vorgenommen hat, zeigen eindeutig, dass der Vierundachtzigjährige ernsthaft die schwierige Übergangszeit nach seinem Ableben plant. Ahmadian ist einer seiner Vertrauten der ersten Stunde.♦

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