Das Land der allmächtigen Garden

Die Revolutionsgarden haben nicht genug Geld, und das, was sie haben, brauchen sie für ihre Aktionen im Ausland. Ihnen fehlen Devisen, und das wird einstweilen so bleiben. Denn sie rechnen mit einer noch unruhigeren Welt, in der sie nicht nur überleben, sondern auch ihre Macht erhalten müssen. Eine Öffnung im Innern ist deshalb nicht in Sicht, auch ein Ende des Atomstreits nicht. Ohne eine Einigung darüber gibt es aber weder normale Wirtschaftsbeziehungen mit der Außenwelt noch einen geregelten Ölverkauf. Sie werden das Atomabkommen erst unterschreiben, wenn Putin nickt. Danach sieht es aber derzeit nicht aus.

Am vergangenen Montag sprach der russische Außenminister Lawrow von einem kommenden Eurasischen Bündnis aus Russland, Indien und dem Iran. Wie sich die Revolutionsgarden in einem solchen Club bewegen werden, lässt sich nur erahnen. Spätestens hier begreift man, dass der Ukrainekrieg ein Weltkrieg ist.

Im Inneren sind die Garden derzeit mit aller Macht dabei, die Folgen der massiven Preissteigerungen auf ihre Art zu lösen: mit ostentativen Machtdemonstrationen auf den Straßen, Verhaftungen und Einschüchterung, wohin man schaut. Cineasten, Schriftsteller, Frauenaktivistinnen, Journalisten und die Rudimente der Zivilgesellschaft erzählen dieser Tage von Repressalien, die an die Revolutions- und Kriegstage erinnern. Sie bereiten sich offenbar auf noch unruhigere Zeiten vor.

„Gruß, Kommandant!“

Diesen Gruß soll niemand ignorieren, im ganzen weiten Land nicht, ob an der türkischen Grenze oder an der fast 3.000 Kilometer entfernten pakistanischen, ob am Persischen Golf oder ganz im Norden am Kaspischen Meer. Alle sollen, müssen diesen Gruß hören, der in Wahrheit eine Hymne ist, die demnächst täglich an allen Schulen gesungen werden soll. Militärischer Gruß und militärische Haltung sind Teil der Hymne. Im Azadi-Sportpalast, dem größten Fußballstadion des Landes, sollen an diesem Donnerstag Hunderttausende Kinder diese Hymne in verschiedenen Versionen singen, TV-Übertragung inklusive.

Diese unüberhörbare Kampfbereitschaft kam am vergangenen Freitag auch aus der Kehle von zig Tausenden Angehörigen der Milizen und Garden in verschiedenen Teilen des Landes. Tagelang hatte man massiv dafür geworben.

Hauptschauplatz war die Provinz Chuzestan an der irakischen Grenze. Hier gab es wegen horrender Preissteigerungen wochenlang Demonstrationen. Die Inflation liegt zwar offiziell bei 46 Prozent, doch die Realität sieht anders aus. Manche Güter verteuern sich stündlich. Die Aufmärsche in Chuzestan fanden hauptsächlich in den Abend- und Nachtstunden statt, denn tagsüber steigen die Temperaturen dort auf über 40 Grad. Die Dunkelheit bietet außerdem einen gewissen Schutz. Die Unruhen erschüttern das Land wahrlich, zumal auf diesen Demonstrationen sehr schnell politische Parole gegen Präsident Raissi und Revolutionsführer Chamenei laut werden.

Dazu kommen die seit Wochen andauernden Demonstrationen von Lehrerinnen und Lehrern. Sie haben inzwischen das ganze Land erfasst, Schülerinnen und Schüler zeigen sich mit ihrem Lehrpersonal solidarisch. Mindestens 40 Lehrer sind in den letzten Tagen verhaftet worden.

Die Garden lernen

Die wenigen Zeitungen, die noch etwas schreiben könnten, haben ein Rundschreiben erhalten, in dem die Redakteure ermahnt wurden, nicht über Unruhen und Demonstrationen zu berichten. Nicht alle halten sich daran, doch Zeitungen spielen sowieso keine große Rolle, sie haben kaum noch Leser in der Bevölkerung.

Und gegen Webseiten und Soziale Netzwerke geht man inzwischen sehr planmäßig vor. Auch die Revolutionsgarden sind lernfähig. Im Herbst 2019, als ebenfalls Unruhen in mehreren Städten ausbrachen, kappten die Garden das Internet des gesamten Landes. Es herrschte tagelang Ahnungslosigkeit. Aus dem Iran drang in dieser Zeit nichts nach Draußen, in den Iran hinein war nicht einmal normales Telefonieren möglich. Bilder der Gewalt drangen erst in die Außenwelt, als die Stürme sich gelegt hatten. Innerhalb von einer Woche seien mindestens 1.500 Demonstrant*innen getötet und Tausende verhaftet worden, berichteten Medien nachträglich. Doch wer interessierte sich für das Geschehene.

Heute brauchen sie nicht mehr allen Iranerinnen und Iranern den Internetzugang zu sperren, wenn irgendwo im Land die Straße tobt und Schüsse fallen. Sie besitzen inzwischen die technische Möglichkeit, das Internet eines bestimmten Gebiets oder gar einer bestimmten Menschengruppe zu kappen oder die Bandbreite zu reduzieren, ohne gezwungen zu sein, das gesamte Land abzuschotten.

Und: Damals koordinierten die Revolutionsgarden die Bekämpfung der Unruhen zentral. Stets mussten sie, je nachdem, wo der Schwerpunkt war, ihren Truppeneinsatz verändern. Inzwischen haben die Provinzkommandeure durch eine Organisationsreform Entscheidungsvollmacht. Ihre Ausrüstung soll den lokalen Gegebenheiten entsprechen. Eine ständige Truppenverlegung erübrigt sich damit künftig. Die Zentrale ist hauptsächlich mit der Sicherheit der Hauptstadt und der Verteilung der Macht in der Staatsverwaltung beschäftigt.

Hinzu kommen kommen die Außen- und die Atompolitik, die die Revolutionsgarden nach ihrer Vorstellung gestalten wollen, und nicht zu vergessen die regionalen Stellvertreterkriege in Syrien, Irak, Jemen und Libanon, um die sich die Zentrale auch kümmern muss.

Sie sitzen auf mehreren Bomben

Neben all dem kommen wie Zeitbomben diverse Gefahren auf das Land zu. Zwei Beispiele: In der vergangenen Woche berichteten Medien, in der Stadt Isfahan müssten gleichzeitig hundert Schulen schließen, weil der Boden unter der gesamten Stadt absinke. Die Schulgebäude seien unsicher. Das ist die Rechnung für den maßlosen Verbrauch von Grundwasser im ganzen Land. In diesem Sommer wird das Wasser in vielen iranischen Großstädten rationiert. Die Klimakatastrophe zeigt sich im Iran mit aller Wucht.

Und das zweite Beispiel: Am Montag stürzte in Abadan ein mehrstöckiges Hochhaus ein. Bis zur Stunde ist von 26 Toten und Dutzenden Verschütteten die Rede. Nach der Katastrophe waren anstelle von Rettungstruppen sofort Dutzende Mannschaftswagen der Revolutionsgarden vor Ort. Sie wussten, warum: Denn das Haus hätte gar nicht gebaut werden dürfen. Monatelang hatten Nachbarn gewarnt, dass das Gebäude wackele. Architektenvereine schickten Protestbriefe und Gutachten an Bürgermeister, Bauamt und sogar den Freitagsprediger der Stadt und warnten vor der sicheren Katastrophe. Ohne Wirkung. Der Bauherr durfte sogar höher bauen als geplant.

Der ehemalige Kleinhändler war ein Emporkömmling mit besten Beziehungen zu den Revolutionsgarden und anderen lokalen Mächtigen. Er renovierte auch Gefängnisse und baute Polizeiämter. Wenige Stunden nach der Katastrophe sagte der örtliche Staatsanwalt, man habe diesen Bauherren samt dem Bürgermeister, Angestellten des Bauamts und anderen Personen wegen Korruption verhaften lassen. Am nächsten Tag meldeten die Nachrichtenagenturen der Revolutionsgarden, die Leiche des Bauherrn sei unter den Verschütteten gefunden worden. Niemand glaubte die erste oder die zweite Meldung. Am Abend sagte ein renommierter Journalist im Gespräch mit BBC Persian, ein Rechtsmediziner habe erzählt, man habe ihm eine Leiche gezeigt und verlangt, er solle einen Totenschein auf den Namen des angeblich getöteten Bauherren ausstellen, was er verweigerte habe.

Die Revolutionsgarden würden in ihrem eigenen Korruptionssumpf verschwinden, schrieb hoffnungsvoll ein aus dem Iran in die Türkei geflohener Journalist. Werden sie das ganze Land mit sich in die Tiefe ziehen?♦

© Iran Journal

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