Iran und eine Schlagzeile in den Weltmedien

Said Madani ist ein landesweit bekannter und beliebter Soziologieprofessor, zuletzt unterrichtete er an der Allameh-Tabatabai-Universität in Teheran. Er veröffentlichte Dutzende Bücher zu den sozialen Themen seiner Feldforschungen, etwa Prostitution, Gewalt gegen Frauen, Kindesmissbrauch, Armut und Drogenabhängigkeit. Seine Kollegen bezeichnen Madani als einen „Prediger der Gewaltlosigkeit“.

Said Madani
Said Madani

In allen seinen Schriften betonte er stets, soziales Engagement und zivilgesellschaftliche Aktivität seien nur dann erfolgreich, wenn sie gewaltlos bleiben.

Das Leben des heute 61-Jährigen Professors spielt sich seit zwanzig Jahren zwischen Gerichtssälen, Gefängniszellen, Verbannungsorten und der vorübergehenden Freilassung ab. Am ersten Weihnachtstag des vergangenen Jahres wurde Madani nach siebenmonatiger Einzelhaft und ununterbrochener Vernehmung zu neun Jahren Gefängnis verurteilt. Eine andere zwölfjährige Verurteilung ist noch nicht rechtskräftig. Dass Madani das Gefängnis noch einmal lebendig verlässt, wird immer unwahrscheinlicher. Seine neue Verurteilung wurde kurz vor Khameneis angeblicher „Massenbegnadigung“ bekanntgegeben.

Zweifaches Todesurteil

Javad Roohi
Javad Roohi

Javad Roohi stammt aus der Stadt Amol am kaspischen Meer. Als im vergangenen September auch dort Massenproteste stattfinden, beteiligt sich der 35-Jährige aktiv an den Demonstrationen. Er wird verhaftet und wegen Anführung der Unruhen angeklagt. Während seiner Haft wird er gefoltert, schließlich gesteht er, einen Koran verbrannt zu haben. Wegen „Verderben auf der Erde“ verhängt ein Gericht gleich zweifach das Todesurteil über Roohi. Wir befinden uns auch hier zeitlich kurz vor der Bekanntgabe von Khameneis „zehntausendfachen Begnadigungen“.

Konsequenzen einer Unterschrift

Fatemeh Sepehri, 1964 geboren, stammt aus Mashhad im Nordosten des Irans. Ihre Lebensgeschichte liest sich wie ein Lehrbuch über die Islamische Republik: Fatemeh, die niemals gegen die islamische Kleiderordnung verstoßen hat, konnte aufgrund ihrer familiären Verhältnisse nicht studieren. Sie ist eine Selfmadefrau: Im Alter von 40 Jahren bestand sie die Uni-Aufnahmeprüfung und erlangte einen Bachelor-Abschluss in Betriebswirtschaft an der Ferdowsi-Universität in Mashhad.

Fatemeh Sepehri
Fatemeh Sepehri

Mit ihrem Bruder Mohammad Hossein gehört sie zu den Unterzeichner*innen einer Erklärung von 14 politischen Aktivist*innen, die den Rücktritt von Ali Khamenei von seinem Posten als Oberster Führer der Islamischen Republik fordern. Später tritt sie offen für die Abschaffung der Islamischen Republik auf und fordert die Errichtung eines demokratisch-säkularen Staats. Fatemeh trat in ihren Interviews vor ihrer Verhaftung immer mit Tschador auf, zeigte nie ihre Haare. Nach fünfmonatiger Haft wird sie am 20. Februar zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt. An diesem Tag waren genau zwei Wochen seit der Begnadigungsschlagzeile der Leitmedien der Welt vergangen.

Die Umweltaktivist*innen

Genau 2.000 Tage Haft hatten die neun Mitglieder derPersian Wildlife Heritage Foundation” hinter sich, als wir am 5. Februar von der iranischen Massenbegnadigung lasen.

Umweltschützer, Im Iran verurteilte Umweltschützer*innen
Im Iran verurteilte Umweltschützer*innen

Das Engagement dieser Umweltschützer*innen und der Preis, den sie für ihre Aktivitäten zahlen, ist weltweit beispiellos. Der Gründer ihrer Organisation, Dr. Seyed-Emami, verstarb wenige Tage nach seiner Verhaftung im Teheraner Evin-Gefängnis unter ungeklärten Umständen. Ein Jahr später wurden sechs der acht Umweltschützer*innen wegen „Zusammenarbeit mit der feindlichen Regierung von Amerika“ zu Freiheitsstrafen zwischen sechs und zehn Jahren verurteilt, einige zudem zu hohen Geldstrafen.

Fazit

Diese wenigen Beispiele mögen genügen. Wollte man alle Einzelschicksale nicht nur aufzählen, wie es hier geschehen ist, sondern auch ihre Hintergründe genauer beleuchten, entstünden dicke Bücher. Der Iran ist ein Land dieser Welt und das surreale Theater, von dem am Anfang dieses Textes die Rede war, ist offenbar ein universelles Phänomen – wenn man sich manche renommierte Medien und ihre Iran-Berichterstattung anschaut.♦

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