Rouhanis unmögliche Mission

Präsident Hassan Rouhani hat zwei Wochen nach seiner Wiederwahl im Mai vor einer kleinen Studentengruppe sein Wahlversprechen wiederholt: Er werde „allen Einschränkungen zum Trotz“ seine Möglichkeiten nutzen, damit der Hausarrest der Oppositionsführer ein Ende findet.

„Manche erlauben sich dieser Tage, die roten Linien des Systems zu überschreiten, sogar den Hausarrest gegen die Oppositionspolitiker in Frage zu stellen“, antwortete prompt Justizchef Ayatollah Sadegh Laridjani: „Wer sind Sie überhaupt, dass Sie den Hausarrest aufheben wollen?“, fragte er den Präsidenten öffentlich. Der Hausarrest sei vom nationalen Sicherheitsrat verhängt worden, sollte dieser seine Entscheidung rückgängig machen, wäre der Weg für die Justiz frei, ihrer Pflicht nachzugehen, drohte der Ayatollah. Im Klartext heißt das: Die protestierenden Kandidaten von 2009 würden nach der Aufhebung des Hausarrests vor Gericht gestellt.

Auch der Sprecher der Justiz Gholam-Hossein Mohseni-Ejei beteuerte Ende Juni, dass der nationale Sicherheitsrat für den Hausarrest von Moussavi und Karrubi zuständig sei. Sollte die Entscheidung tatsächlich nicht von Khamenei, sondern vom nationalen Sicherheitsrat getroffen worden sein, wäre sie auch von Rouhani mitgetragen worden. Er war von 1989 bis 2013 eines der einflussreichsten Mitglieder des Rates und ist seit seiner Wahl zum Präsidenten (2013) dessen Vorsitzender.

Nichtsdestotrotz gibt es hierzu keine offiziellen Angaben. Der Hausarrest ging weder aus einer Gerichtsverhandlung noch aus einem staatlichen Dekret hervor.

Ein weiterer Sieg für Rouhani muss verhindert werden

Als Hassan Rouhani während seines letzten Wahlkampfs von Anhängern mit der Frage konfrontiert wurde, wie er den Hausarrest in seiner zweiten Amtszeit beenden wolle, lautete seine Antwort: Er brauche dafür mehr Stimmen. Je mehr gesellschaftliche Unterstützung er bekomme, desto größer sei der Druck, den er für die Umsetzung seiner Forderungen aufbauen könne. Seine erste Amtszeit hat Rouhani fast komplett dem Abschluss des Atomabkommens mit den UN-Vetomächten und Deutschland gewidmet. Der Durchbruch im Juli 2015 ging ausschließlich auf sein Konto, obwohl ein Abkommen ohne Zugeständnisse des geistlichen Führers Khamenei nicht möglich gewesen wäre.

Kurz darauf nutzte Rouhani den Atomdeal – im Iran kurz „Bardjam“ genannt – als gelungenes Beispiel für den nationalen Konsens. Er verlangte einen zweiten „Bardjam“ und zwar im Inland: „Die Befürworter der Regierung, die Gegner der Regierung, die Kritiker, alle sollen Hand in Hand arbeiten. Die nationalen Ziele und die Entwicklung Irans stellt keiner in Frage und bei den wichtigsten Problemen sind sich alle einig“, sagte er im Winter 2015. Auch die wirtschaftliche Lage lasse sich durch eine Deeskalationspolitik auf der regionalen und internationalen Ebene entspannen.

In seiner Neujahrsrede vom 21. März 2017 kündigte Rouhani an, dass mit den Parlamentswahlen der „zweite Bardjam“ gelungen sei. Bei den Wahlen drei Wochen zuvor errangen die „Reformisten“ und „Gemäßigten“ die Mehrheit. Rouhani zählt für das Erreichen seiner Ziele auf die Unterstützung des Parlaments.

Dieses Foto kursiert seit Sonntag, den 24. November, in der persischsprachigen Internetgemeinde. Es zeigt den iranischen Außenminister M. Javad Sarif (li.) und seinen US-amerikanischen Amtskollegen John Kerry beim Händeschütteln nach der "historischen Einigung" zwischen dem Iran und dem Westen zur Lösung des Atomkonflikts -. Foto: Fararu.com
„Historischer Händedruck“ nach dem Atomdeal – Irans Außenminister M. Javad Sarif (li.) und sein US-amerikanischer Amtskollege John Kerry – Foto: Fararu.com

Ayatollah Khamenei ließ jedoch keinen Tag auf eine Reaktion seinerseits warten. In seiner Neujahrsrede kritisierte er am gleichen Tag die Idee eines zweiten „Bardjam“: „Einige sind der Meinung, dass ein Dialog mit den USA in anderen Angelegenheiten […] der zweite, dritte oder vierte Barjam sein könne und damit die Probleme des iranischen Volkes gelöst werden könnten“, sagte er in der Pilgerstadt Maschhad, in der er traditionell die ersten Tagen jedes neuen Jahres verbringt.

Jeder weitere „Bardjam“ wäre ein weiterer großer Sieg für den Präsidenten.

Beleidigung des Führers

Nicht nur Machtkämpfe haben die Freilassung der Oppositionspolitiker verkompliziert. Die Kritiker des geistlichen Führers werfen ihm Arroganz und Machtbesessenheit vor und behaupten, dass er sich von Moussavi und Karrubi beleidigt fühle. Als er 2009 Ahmadinedschad zum Sieg gratulierte, sollten alle anderen Kandidaten diesen anerkennen, hätte Ayatollah Khamenei erwartet.

Der Oppositionspolitiker Moussavi war von 1981 bis 1989 Ministerpräsident des Iran. 1989 wurde das politische System des Iran zum präsidialen System umgeändert. Als Moussavi das Amt des Ministerpräsidenten innehatte, war der heutige geistliche Führer Khamenei Präsident. Die beiden sollen schon damals gravierende Meinungsverschiedenheiten gehabt haben.

Karrubi forderte Mitte April 2016 in einem öffentlichen Brief Präsident Rouhani auf, die „autoritäre Herrschaft“ dazu zu bringen, ihn vor ein öffentliches Gericht zu stellen, damit er zeigen könne, wer der eigentliche „Unanständige“ sei. Zuvor hatte der geistliche Führer die protestierenden Politiker  angegriffen und als „unanständig“ bezeichnet.

Die beiden Oppositionsführer beharren auf ihrer Position. Sie erkennen die Ergebnisse der Wahlen von 2009 nicht an. „Da sie keine Reue zeigen, wird es keine Entlassung geben“, sagte der frühere Vizeparlamentspräsident und einflussreiche konservative Politiker Mohammad Reza Bahonar in einem Interview im Jahr 2016.

Die Anhänger von Ayatollah Khamenei wollen Reue als Alternative zum Hausarrest. Sie verlangen zudem, dass Moussavi und Karrubi nach einer Freilassung jegliche politische Aktivität meiden. Im vergangenen Herbst zeigte sich der Vertreter des Ayatollah Khamenei bei der paramilitärischen Miliz „Basidsch“ zuversichtlich, dass „Reue“ zur „Gnade“ führen würde: „Sonst wäre eine Aufhebung des Hausarrests leichtsinnig“, zitierte das Internetportal Entekhab Mohammadreza Tusserkani.

Kritiker sind sich einig: Keine Instanz innerhalb der Islamischen Republik würde sich für die Aufhebung des Hausarrests der Oppositionspolitiker einsetzen, solange der geistlicher Führer Khamenei nicht den Eindruck vermittelt, dass er für die Freilassung der Oppositionsführer ist. Er ist dank der Verfassung allen innerhalb des politischen Systems weit überlegen. Khamenei und vor ihm Ayatollah Ruhollah Khomeini konnten stets alle früheren Präsidenten kontrollieren und lenken. Jede politische Konfrontation ist bis heute für die Präsidenten zum Scheitern verurteilt gewesen. Präsident Rouhani kann nur im Hintergrund Lobbyarbeit leisten, in der Hoffnung, dass Khamenei nachsichtig wird.

 IMAN ASLANI

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