Ein Marathonlauf gegen Benachteiligung: Frauensport im Iran
Lackierte Fingernägel
Einen ähnlichen Weg beschreitet gegenwärtig die dreißigjährige Taekwondo-Athletin Parisa Farshidi (30). Die Iranerin holte bei den Asienspielen 2010 in Guangzhou die Silbermedaille für ihr Heimatland. Doch weil sie sich bei den anschließenden Feierlichkeiten mit wenig Kopfbedeckung, Sonnenbrille und lackierten Fingernägeln präsentierte, wurde sie aus der Nationalmannschaft geworfen. Nach mehrjährigen Differenzen mit Funktionären und Entscheidern des islamischen Regimes beantragte sie 2019 Asyl in Deutschland.
Die heute in Berlin lebende Sportlerin betonte im Mai 2020 im Gespräch mit der Deutsche Welle: „Der Vizepräsident des iranischen Taekwondo-Verbands offenbarte mir gegenüber, dass meine für den Iran errungenen Medaillen und sportlichen Erfolge bedeutungslos seien. Mein Outfit mit Sonnenbrille, Schminke und freizügigem Schleier war den Funktionären der Islamischen Republik ein Dorn im Auge und keinesfalls hinnehmbar.“ Farshidi beabsichtigt wie Kimia Alizadeh, künftig für die deutsche Nationalmannschaft anzutreten.
Flüchtende Spitzensportlerinnen
Neben Farshidi und Alizadeh gibt es eine Vielzahl weiterer iranischer Athletinnen, die in den vergangenen Jahren ihre individuelle Freiheit den Zwängen des „Gottesstaates“ vorgezogen und den Iran verlassen haben. Die Taekwondo-Kämpferin Raheleh Asemani (31) holte wie Farshidi bei den Asienspielen 2010 eine Silbermedaille für den Iran. Zwei Jahre später trat sie in Belgien bei einem Turnier gegen eine israelische Sportlerin an. Da die Islamische Republik Wettkämpfe gegen israelische Sportler*innen verbietet, drohten ihr bei einer Rückkehr in den Iran Repressalien. Asemani beantragte Asyl in Belgien und tritt seit 2016 als belgische Staatsbürgerin bei Wettkämpfen an. Sie holte bei den Taekwondo-Europameisterschaften in Montreux im Mai 2016 Bronze für ihre neues Heimatland.
Trotz aller Einschränkungen behaupten sich immer wieder iranische Athletinnen bei internationalen Wettbewerben – wie Farzaneh Fassihi im Februar 2020 bei den Innenleichtathletik-Meisterschaften in Istanbul:
https://youtu.be/DcBM6SJiKI0
Die Schachspielerin Dorsa Derakhshani (22) gewann für die iranische Juniorinnen-Nationalmannschaft mehrere Goldmedaillen. 2017 trat sie bei einem internationalen Wettkampf in Gibraltar ohne Kopftuch an und wurde von der iranischen Nationalmannschaft suspendiert. Inzwischen verfügt sie über die US-Staatsbürgerschaft und nimmt erfolgreich für die USA an Schach-Turnieren teil.
Die Kajak-Fahrerin Arezou Motamedi (31) qualifizierte sich im iranischen Dress für die Olympia-Teilnahme 2012 in London. Dennoch wurde ihr diese vom nationalen Olympischen Komitee des Iran wegen angeblich nicht sittenkonformen Verhaltens untersagt. Motamedi erwarb die Staatsbürgerschaft der Vereinigten Staaten und wurde Mitglied im Team der USA.
Besonders kurios ist der Werdegang der renommierten iranischen Schach-Schiedsrichterin Shohreh Bayat. Die 33-Jährige, die zeitweise auch das Amt der Generalsekretärin des iranischen Schachverbandes innehatte, war im Januar 2020 als Hauptschiedsrichterin bei der Schachweltmeisterschaft der Frauen in Shanghai und Wladiwostok im Einsatz. Dabei wurde ihr von regimetreuen iranischen Medien vorgeworfen, ihre Kopfbedeckung zu locker getragen zu haben. Als Reaktion darauf trug Bayat am Folgetag ihr Haar ganz offen, weil sie nach ihren eigenen Worten „nun nichts mehr zu verlieren habe“. Daraufhin teilte der Präsident des iranischen Schachverbands ihr mit, nicht für ihre Sicherheit garantieren zu können. Bayat kehrte nicht mehr in den Iran zurück. Sie hat im Februar 2020 Asyl in Großbritannien beantragt.
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