Ein Marathonlauf gegen Benachteiligung: Frauensport im Iran

Ideologische, politische und religiöse Vorgaben schränken Sportlerinnen im Iran massiv ein – egal ob im Leistungs- oder Breitensport. Trotzdem gibt es immer wieder Erfolgsmeldungen – aber auch Fluchten von Spitzensportlerinnen.

Von Farid Ashrafian

Der Frauensport im Iran zählt zu den besonders aufstrebenden Sportsegmenten des Landes. Dies ist umso bemerkenswerter, als es iranischen Sportlerinnen seit über vier Jahrzehnten verwehrt ist, ihrer gewünschten Sportart uneingeschränkt und unter international üblichen Bedingungen nachzugehen.

Ein zentrales Problem ist die Schleierpflicht. Die vom Staat definierte „islamische Kleiderordnung“ mit Kopf- und vollständiger Körperbedeckung erschwert Sportlerinnen nicht nur das Training und die Wettkampfteilnahme erheblich. Der Zwang führt durch die Einschränkung ihrer Beweglichkeit obendrein zur Benachteiligung vieler Athletinnen im Wettbewerb mit ihren ausländischen Kontrahentinnen. Doch selbst medizinische Bewertungen, die das Tragen mancher Kleidungsstücke für Sportlerinnen im Wettkampf als lebensgefährlich einstufen, veranlassen die iranischen Machthaber nicht zu einer Änderung ihrer ideologisch begründeten Haltung.

Was weite Teile der iranischen Sportgemeinde erzürnt, ist die Tatsache, dass auch bei Wettkämpfen iranischer Athletinnen mit Sportlerinnen aus anderen islamischen Ländern ein nicht nachvollziehbares Bild zu konstatieren ist: Die Gegnerinnen aus der Türkei, Jordanien, dem Irak und Pakistan spielen und kämpfen in Sportbekleidung, die den internationalen Standards entspricht, während das eigene Team mit dem Wettbewerbsnachteil antreten muss. Dieser Umstand lässt auch bei überzeugten Gläubigen im Iran inzwischen erhebliche Zweifel an den Vorschriften aufkommen.

Doch selbst zu Coronazeiten ist trotz den strengen Restriktionen und der ungenügenden infrastrukturellen Förderung des Frauensports durch die Islamische Republik dessen Wachstum nicht zu bremsen. Von Fitness über Fußball bis hin zu Rugby: Im Breitensport bleibt der Zulauf von Frauen in die Sportvereine im Iran hoch.

Taekwondo-Kämpferin Kimia Alizadeh, Gewinnerin der ersten olympischen Medaille in der Geschichte des iranischen Frauensports
Taekwondo-Kämpferin Kimia Alizadeh, Gewinnerin der ersten olympischen Medaille in der Geschichte des iranischen Frauensports

Flucht als einzige Option

Im Hochleistungssport bleibt für erfolgreiche Sportlerinnen jedoch die Flucht und das Asylersuchen im Ausland oftmals die einzige Option für die Weiterentwicklung ihrer Karriere. Es ist seit Jahren eine Vielzahl von Fällen geflüchteter iranischer Top-Sportlerinnen zu verzeichnen. Besonders pikant ist der Fall der Taekwondo-Kämpferin Kimia Alizadeh. Sie gewann bei den Olympischen Spielen 2016 Bronze und damit die erste olympische Medaille in der Geschichte des iranischen Frauensports.

Die mittlerweile 22-Jährige krönte mit ihrem Olympiaerfolg nicht nur den aufstrebenden Frauensport des Landes, sondern definierte auch neue Maßstäbe für dessen Weiterentwicklung. Denn mit Alizadeh schmückte sich zunächst auch die iranische Staatsmacht. Sie galt dem islamischen Regime als Vorzeigesportlerin, nicht zuletzt, weil sie ihre Leistung mit Kopftuch erbracht hatte. Die Dogmatiker*innen der Islamischen Republik ließen keine Gelegenheit aus, um Alizadehs Erfolg als Beleg für die Umsetzbarkeit des weiblichen Spitzensports unter islamischen Bedingungen öffentlichkeitswirksam zu inszenieren.

Doch es kam anders als von der Staatsmacht erhofft: Kimia Alizadeh floh Anfang 2020 aus dem Iran nach Deutschland. Das Kopftuch legte sie nach ihrer Flucht ab und warf den Machthabern ihres Heimatlandes in einer bewegenden Erklärung vor, jahrelang für deren politischen Belange und religiösen Anschauungen instrumentalisiert, diskriminiert und erniedrigt worden zu sein. Auf Instagram erklärte sie: „Ich bin eine von Millionen unterdrückter Frauen im Iran, mit denen sie nach Belieben seit Jahren spielen. Ich habe mich gekleidet, wie sie wollten. Ich habe jeden Satz wiederholt, den sie angeordnet haben. Es geht nicht um mich, nicht um uns. Wir sind nur Werkzeuge.“

Alizadeh hat in Aschaffenburg eine neue sportliche Heimat gefunden und möchte schnellstmöglich nach erfolgter Integration und Einbürgerung bei internationalen Wettkämpfen für Deutschland auf Medaillenjagd gehen. Ihr erklärtes Ziel ist die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2021 in Tokio. Die deutschen Sportverbände unterstützen die Medaillenhoffnung der jungen Athletin, die es laut einer Umfrage des britischen Sendes BBC
bereitses laut einer Umfrage des britischen Senders BBC bereits unter die Top 100 der inspirierendsten und einflussreichsten Frauen der Welt geschafft hat.

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