Versöhnung oder Widerstand?
Die Resonanz der iranischen Medien auf die Konsequenzen des Ausstiegs der USA aus dem Atomabkommen sind ja nach politischem Lager verschieden. Aber es besteht in machen Punkten auch Einigkeit – etwa darin, dass der Iran wirtschaftlich in die Knie gezwungen werden soll.
Die iranischen Medien sind entweder in der Hand der islamischen Hardliner oder auf der Seite der Gemäßigten. Unabhängige Berichterstattung wird in der Islamischen Republik nicht geduldet. Deshalb kann man anhand der Presseberichte gut einschätzen, wie sich die beiden Flügel zu bestimmten Themen positionieren – etwa zum Ausstieg der USA aus dem Atomdeal.
Bei dem Thema gehen die Reaktionen der iranischen Presse in zwei entgegengesetzte Richtungen, die bereits während der Verhandlungen sowie nach Abschluss des Abkommens im Juli 2015 zu beobachten waren: Die dem konservativen Lager nahestehende Presse sieht sich in ihrer Anti-Deal-Haltung bestätigt und rät von weiteren „Zugeständnissen“ ab. Die dem reformistischen Lager nahestehende Presse sieht die Lösung der mit dem US-Ausstieg verbundenen Probleme dagegen in der politischen Versöhnung und konzentriert sich auf die wirtschaftlichen Folgen der nun drohenden Sanktionen.
„Tödliches Gift“
Die Tageszeitung Khorasan macht auf die wirtschaftliche Schieflage des Bankensektors und der Rentenkassen sowie auf die wachsenden Schulden der Regierung aufmerksam. Das Land solle sich von der Abhängigkeit von Öleinnahmen befreien, um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten, schreibt die Zeitung. „Auf Europa zu setzen ist nicht die richtige Strategie. Die Regierung soll sich reformieren, ihr Wirtschaftsteam soll harmonischer agieren, eine genaue Prioritätenliste erstellt werden, und die Regierung soll konsequenter Entscheidungen treffen, um zukünftige Herausforderungen meistern zu können“, fordert Khorasan.
Iran, die Tageszeitung der Regierung, ruft zu Maßnahmen auf, die die Konsequenzen der Sanktionen verzögern oder gar neutralisieren könnten. „Abgesehen von Verhandlungen mit Europa, deren Auswirkungen erst nach der Bekanntgabe ihrer Ergebnisse beurteilt werden können, soll die wirtschaftliche Selbständigkeit und das Beseitigen der tiefen Gräben im Inland angestrebt werden.“ Diese Gräben zwischen den politischen Lagern ließen sich „zweifelsohne nur mit nationalem Konsens und einer Konvergenz aller politischen Seiten erreichen“, stellt Iran fest.
Zugleich warnt die Regierungszeitung die Gegner der Regierung davor, aus dem Rückzug der USA aus dem Atomabkommen politisches Kapital zu schlagen. Das wäre „tödliches Gift“ und ein Signal der inneren Schwäche und Uneinigkeit „in Richtung des Feindes“. Die USA wollten mit den Sanktionen „eine landesweite Unzufriedenheit“ anzetteln und „zwischen der Regierung und dem Volk sowie unter den politischen Eliten Zerrissenheit herbeiführen“, schreibt Iran weiter.
Vergangene Woche hatte der erzkonservative Vorsitzende des mächtigen Wächterrats, Ajatollah Ahmed Dschannati, Präsident Hassan Rouhani aufgefordert, sich für das Atomabkommen bei den IranerInnen zu entschuldigen.
Auch die reformorientierte Tageszeitung Shargh ist der Meinung, dass Rouhanis Kritiker den Ausstieg der USA instrumentalisieren würden, um die Regierung als unfähig darzustellen und die Befürworter von Diplomatie und Dialog zu entmutigen. „Nicht die westlichen Länder sind der Adressat der Rouhani-Gegner, sondern diejenigen im Inland, die jahrelang auf Diplomatie gesetzt haben und mittlerweile sichtbar enttäuscht und frustriert sind. Die Rouhani-Gegner werden Öl ins Feuer der ‚Gewalt gegen Gewalt‘ gießen und das für ihre innenpolitischen Zwecke ausnutzen. Sie setzen sich nicht für den Widerstand gegen die Unterdrückung ein, sondern wollen Rouhani verdrängen und stellen seine Regierung als unfähig dar.“
Durch den erfolgreichen Kurs der Regierung Rouhani auf internationaler Ebene gerieten in den vergangenen Jahren viele seiner Misserfolge im Inland in den Hintergrund. Sollte das Atomabkommen am Ende scheitern und dann die verheerenden Sanktionen wieder greifen, wäre seine wichtigste außenpolitische Errungenschaft nichtig. In den vergangenen Wochen musste der Präsident auch im Inland einen herben Schlag einstecken: Der Messenger-Dienst Telegram wurde gesperrt. Den wichtigsten Messenger-Dienst des Landes davor zu schützen, war eines von Rouhanis zentralen Versprechen bezüglich des freien Informationsflusses gewesen.
Momentan sieht die Position des Präsidenten deshalb angreifbar aus. Die Tageszeitung Shargh fragt: „Spielen die Rouhani-Gegner in der jetzigen Situation mit dem Gedanken, einen demokratischen Machtwechsel einzuleiten?“
Die Frage ist nicht aus der Luft gegriffen. Seit Monaten warnen iranische Experten vor einer solchen Entwicklung. Sie vergleichen die Lage der Regierung Rouhani mit der des früheren reformistischen Präsidenten Mohammad Chatami. Auch er stand unter enormem Druck der Konservativen und konnte viele seiner Versprechen nicht halten. Dies habe damals den Weg für den Populisten Mahmud Ahmadinedschad geebnet, warnen die Experten.
Auch die Idee einer „Regierung der Militärangehörigen“ wurde in letzter Zeit in den Raum gestellt. Ein Angehöriger des Militärs als Staatspräsident könne das Land retten, sagte der ehemalige Parlamentsabgeordnete und frühere Kommandant der Revolutionsgarde Mohammad Pourmokhtar bereits im März. Seitdem hört man immer häufiger ähnliche Stimmen, auch in sozialen Netzwerken.
Keinen Schritt zurück
Die ultrakonservative Tageszeitung Vatan-e-Emrooz aus Teheran schreibt: Das eigentliche Ziel des Rückzugs der USA aus dem Atomabkommen und der erneuten Sanktionen sei, „den Iran vor die Wahl zu stellen: entweder das Raketenprogramm und die Auslandseinsätze in der Region oder Wohlstand. Die wirtschaftliche Unzufriedenheit im Inland soll den Druck auf das politische System erhöhen, damit es Zugeständnisse macht.“
Solange im Inland über die „Angelegenheiten der nationalen Sicherheit“ Einigkeit herrsche, hätten die Sanktionen nur wirtschaftliche Folgen, so Vatan-e-Emrooz. „So war es auch beim Atomprogramm. Solange alle im Inland die gleiche Position bezogen haben und die Urananreicherung nicht gegen den wirtschaftlichen Wohlstand ausgespielt wurde, waren die Sanktionen nicht von essenzieller Bedeutung. Alles begann an dem Tag, als sich einige im Inland für die Interessen der USA einsetzten und der Kompromiss als Lösung der wirtschaftlichen Probleme dargestellt wurde“, schreibt die Zeitung aus Teheran.
Vatan-e-Emrooz plädiert für den Austritt des Iran aus dem Abkommen, „es sei denn, die Europäer machen Zugeständnisse, die sich lohnen, weiterhin im Abkommen zu bleiben“.
Die der Revolutionsgarde nahestehende Teheraner Tageszeitung Dschavan betont die „Notwendigkeit von Verhandlungen aus der gleichen Position“ anhand der Beispiele Libyen und Nordkorea. Das ultimative Ziel des Westens sei der Regimesturz im Iran. „Muammar al-Gaddafi gab sein Atomprogramm auf. Dann wurde er angegriffen und gestürzt. Die Regierung in Nordkorea lernte daraus, baute Atombomben und signalisierte erst dann Dialogbereitschaft. Wenn das Land demnächst mit Trump am Verhandlungstisch sitzt, wird es Dutzende Bedingungen stellen. Diese zu akzeptieren, wird nicht leicht für die USA sein, und solange die USA sie nicht akzeptiert, werden die Atombomben bleiben. Eine Bedingung von Kim Jong-Un wird sicher das Verlassen der koreanischen Halbinsel durch die USA sein.“
Die iranischen Machthaber, unter anderem Revolutionsführer Ali Khamenei, hatten in der Vergangenheit wiederholt gesagt, dass die USA ihre Präsenz im ganzen Nahen Osten beenden sollten.
Für die ultrakonservative Zeitung Dschavan ist das Atomabkommen das klare Beispiel eines „schrittweisen Sieges“ für den Westen. „Jegliches Zugeständnis bringt sie dem Auslöschen unserer Identität einen Schritt näher. Jeder Iraner, der das Atom- oder Raketenprogramm zurückfahren will oder die Auslandseinsätze in Frage stellt, um einen Krieg zu verhindern, kann deshalb entweder nicht differenzieren oder setzt sich bewusst für die amerikanischen Interessen ein.“
Die politisch unterschiedlich ausgerichteten Medien im Iran schlagen der Regierung Rouhani zwar verschiedene Vorgehensweisen vor, scheinen sich in manchen Punkten jedoch einig zu sein. Alle schreiben davon, was die Sanktionen bezwecken und wie die Regierung sie abwehren soll – dass die Sanktionen zurückkommen werden, scheint jedoch unumstritten. Dies könnte bedeuten, dass sie sich kaum ein Atomabkommen ohne die USA vorstellen können. So hält die ultrakonservative Zeitung Vatan-e-Emrooz die Vorstellung, dass Verhandlungen mit Europa die Probleme des Iran lösen könnten, für „sehr unrealistisch“, denn: „Europa und die USA haben sich im Hintergrund auf die Erhöhung des Drucks auf den Iran abgestimmt.“
Und die reformistische Zeitung Shargh schreibt: „Europa hält zwar am Atomabkommen fest, es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die europäischen Länder dem Druck aus den USA standhalten können. Von den Europäern soll man deshalb nicht mehr erwarten, als ihre Kapazitäten zulassen.“
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