Das nicht enden wollende Auf und Ab 

Während der gemäßigte iranische Außenminister Javad Zarif in Brüssel in diplomatischer Manier um die Gunst der Europäer für das Atomabkommen wirbt, betonen die Hardliner zuhause ihr Misstrauen gegenüber der EU und verlangen von der Regierung die Auflösung des Deals und die Konfrontation mit dem Westen. Ist das eine reine Good-Cop-Bad-Cop-Strategie oder eine ernstzunehmende Auseinandersetzung mit verheerenden überregionalen Folgen?

Von Mehran Barati

Das strategische Konzept der iranischen Außenpolitik ist ideologisch definiert. Der politische Islam in der Interpretation des Republikgründers Ayatollah Ruhollah Khomeini, vermischt mit der Dritt-Welt-Ideologie der Linken der 60er Jahre, sind die Hauptsäulen dieser Strategie. Hinzu kommt der iranische Nationalismus, der je nach Anlass in den Vordergrund tritt.
Nach der Revolution vom Februar 1979 setzte Khomeini dieses Konzept als Waffe gegen den „westlichen Kolonialismus“ und die „westliche Kulturinvasion“ ein, die von ihm als „Voraussetzung zur imperialistischen Kontrolle der Region“ verstanden wurden. Dazu kam die Idee des „antikolonialen Kampfes“ unter dem Einfluss von Franz Fanons Hauptwerk “Die Verdammten dieser Erde”. Das Buch, erschienen 1961, avancierte weltweit schnell zur Kampfschrift der antikolonialen Linken. Das Vorwort schrieb niemand Geringerer als Jean-Paul Sartre. Einen Satz daraus beherzigten die antikolonialen Leser besonders: „Einen Europäer erschlagen, heißt zwei Fliegen auf einmal treffen … Was übrigbleibt, ist ein toter Mensch und ein freier Mensch.“
Solche und ähnliche Botschaften Fanons lieferten die Legitimation für den bewaffneten Befreiungskampf in der so genannten Dritten Welt. In der postkolonialen Phase erwies sich Fanons Kritik an den “nur ihre eigenen Interessen verfolgenden Nationalisten” als folgenreich. Die Führungen vieler befreiter Staaten verboten Gewerkschaften, Parteien und zivilgesellschaftliche Gruppen. Die erfolgreichen Revolutionäre waren der Meinung, in der politischen Arena hätten nur “wahre” Antikolonialisten einen Platz verdient.
Die Islamische Republik Iran (IRI) verstand sich gleich nach ihrer Gründung als die einzige antikolonialistische Kraft in der islamischen Welt. Unterstützung verschiedener Widerstandsgruppen und Freiheitsbewegungen zählte zu ihren primären Aufgaben. Aus dieser Perspektive heraus verstanden sich die meisten der marxistisch-leninistischen und maoistischen Linken des Iran als natürliche Verbündete der islamischen Revolutionäre.

Die Muster der iranischen Nationalen Sicherheit

In Fragen der nationalen Sicherheit sowie der Sicherheits- und Außenpolitik prägten die politischen Eliten und Theoretiker der IRI in den verschiedenen Phasen der nachrevolutionären Ära drei verschiedene Ansätze.

Der irakische Überfall auf den Iran änderte die Sicherheitsdoktrin der Islamischen Republik
Der irakische Überfall auf den Iran änderte die Sicherheitsdoktrin der Islamischen Republik 

In den ersten Jahren nach der Revolution bestimmte „Expansionsorientierung“ den politischen Diskurs. Danach ist die Bedingung für den Erhalt der Revolution ihr Export. Niemand sprach von nationaler Sicherheit, aber von der „Sicherheit der Islamischen Welt“. Mit Beginn des achtjährigen Irak-Iran-Krieges änderte sich die Sicherheitsdoktrin. Jetzt ging es um die „Erhaltungsorientierung“ – den Erhalt des „Mutterlandes der Islamischen Revolution“ als Basis künftiger Revolutionen in anderen islamischen Ländern. Nach dem Ende des Kriegs ließ die ungeheure Zerstörung der sozialen und ökonomischen Infrastruktur des Landes keinen Raum mehr für Revolutionsexport. Jetzt ging es nur noch um „Wachstumsorientierung“. Ökonomischer und sozialer Fortschritt galt jetzt als Voraussetzung für den Erhalt der Islamischen Revolution.
Dabei hatte keiner dieser Ansätze eine religiöse Grundlage. Sie brachten jedoch eine bestimmte Interpretation des Begriffs „Nationale Sicherheit“ mit sich, die der Außenpolitik unabhängig von Ort und Zeit die Verfolgung unerreichbarer und abenteuerlicher Ziele als „revolutionäre Politik“ abverlangte. Dieses unrealistische und ideologische Konzept brachte aber keine Sicherheit für das Land. Vielmehr waren die Folgen der ideologisch definierten Außen- und Expansionspolitik mit unumkehrbaren Gefahren für das Land verbunden.

Der innere Machtkampf noch nicht entschieden

Die IRI hat sich bis heute nicht mit der Idee des „Erhalts der Revolution durch Wachstum und Entwicklung“ anfreunden können. Vor elf Jahren war der Präsident des Landes Mahmud Ahmadinedschad, der heutige Präsident Hassan Rouhani Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates. Im Februar 2008 sagte dieser bei einer nationalen Konferenz zu „Ökonomischen Entwicklungsperspektiven und entwicklungsorientierter Außenpolitik“ sinngemäß: Nach dem Krieg gegen den Irak sei das Fehlen einer nationalen Strategie, die alle wirtschaftlichen, kulturellen, politischen und sicherheitsrelevanten Fragen beinhaltete, spürbar gewesen. In 40 bis 50 Sitzungen des Nationalen Sicherheitsrates habe eine Frage im Mittelpunkt gestanden: Revolutionsexport oder Systemerhalt durch eine umfassende ökonomische Entwicklung? „Wir haben uns nicht einigen können“, so Rouhani damals.
Während die Hälfte der Mitglieder permanente Gefahren von Außen in den Mittelpunkt gestellt habe und die Absicherung des Systems nur durch den Revolutionsexport für möglich hielt, habe die andere Hälfte einer entwicklungsorientierten Strategie als Sicherheitspolitik den Vorzug gegeben.

Fahren auf zwei Gleisen
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