Mysteriöse Vergiftungen in iranischen Mädchenschulen
Eine ungeklärte Serie von Vergiftungen breitet sich in iranischen Mädchenschulen weiter aus.
Am 13. Dezember 2022 berichteten Medien, dass 50 Schülerinnen einer Berufsschule in der schiitischen Pilgerstadt Qom im Zentraliran mit Vergiftungssymptomen ins Krankenhaus eingeliefert worden seien. Am 28. Januar wurde ein weiterer Vorfall publik: 15 Schülerinnen eines Gymnasiums, wieder in Qom, landeten mit Symptomen wie Schwindel und Übelkeit im Krankenhaus. Seither häufen sich Berichte von Dutzenden ähnlicher Fällen auch in Teheran und zwei weiteren Städten: Borujerd in der westiranischen Provinz Lurestan und Ardabil, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im Nordwesten Irans.
Am 22. Februar teilte die Medizinische Universität von Borujerd mit, 52 Schülerinnen mit Vergiftungssymptomen in mehreren Krankenhäusern aufgenommen zu haben. Am gleichen Tag und dem Tag darauf, am 23. Februar, berichteten Medien wieder in Qom unter Berufung auf die Medizinische Universität der Provinz, dass insgesamt 28 Schülerinnen von drei Schulen nach einer vermeintlichen Vergiftung ins Krankenhaus eingeliefert worden seien.
Laut der Tageszeitung Shargh, die den Reformern nahesteht, ist die Lage in Qom angespannt. Viele Eltern weigerten sich, ihre Töchter in die Schulen zu schicken. Praktisch seien die Mädchenschulen der Stadt so gut wie stillgelegt, schrieb die Zeitung. Vergangene Woche hatten sich Hunderte Eltern vor dem Bürgermeisteramt der Stadt Qom versammelt. Sie forderten die Aufklärung der Vergiftungen.
Familien v. Dutzenden Schülerinnen, die in letzten Wochen in iran. Stadt #Ghom vergiftet worden sind, demonstrieren vor Gouverneursamt. Grund der Vergiftung ist nicht bekannt. Die Eltern haben Angst, ihre Kinder in Schule zu schicken. Ihre Parole gegen Gouverneur: "Du Ehrlose!" pic.twitter.com/HPJA00GMJC
— Iran-Journal (@iran_journal) February 14, 2023
Islamisten am Werk?
Währenddessen kursieren Meldungen von einem Telegram-Kanal in sozialen Medien, wonach sich eine extremistische Gruppe zu den Vergiftungen bekenne. Die Gruppe fordere ein Schulverbot für Mädchen im Iran. Die Existenz dieser Gruppierung lässt sich nicht verifizieren. Gleichzeitig hat der Generalstaatsanwalt des Iran die Staatsanwaltschaft in Qom angewiesen, die Ursachen der Vorfälle aufzuklären und die möglichen Täter, falls es sich um eine Straftat handele, zu verfolgen. Jedoch hätten die lokalen Behörden sowie die Staatsanwaltschaft der Provinz bisher keine gründliche Untersuchung eingeleitet, berichten Medien vor Ort. Am 19. Februar sollten die Ergebnisse der Untersuchungen eines Expertenrats des Gesundheitsministeriums veröffentlicht werden. Bisher hat das jedoch nicht stattgefunden.
Qom gilt als tief religiöse und erzkonservative Stadt und ist das Zentrum des schiitischen Klerus im Iran. In der Stadt befindet sich der Schrein von Fatima Masuma, der Schwester des achten Imams der Zwölferschiiten, Reza. Angesichts der landesweiten Proteste unter dem Slogan „Frau – Leben – Freiheit“ in den letzten Monaten, an dem sich auch Schülerinnen beteiligt haben – unter anderem durch das Ablegen des Kopftuches – entsteht der Eindruck, dass ultrareligiöse Gruppen nach „Rache“ trachten, vor allem an Frauen.
Die Kettenvergiftungen sind mit den Säureanschlägen auf Dutzende Frauen in Isfahan im Jahr 2014 wegen ihres „unvollständigen Hijabs“ vergleichbar, die bisher noch nicht aufgeklärt sind. (or)