Schonungslose Weiblichkeitsbilder

Rezeption untermauert Vor-Urteile

Der Anteil der Rezensent:innen an der Stigmatisierung des Iran sei ebenfalls massiv, so die Autorin. Denn sie spielten die Rolle der Vermittler:innen, die die diskursiven kulturellen Stereotype in eine vom Neu-Orientalismus geprägte Sprache übersetzten. Sie würden die vorhandene Kulturalisierung in der deutschen Gesellschaft vorantreiben. Denn sie seien der Meinung, dass die Welt kulturell eingerichtet ist. Darauf basierend, schafft sich die deutsche Öffentlichkeit mit dem Einsatz der „nativen Informanten“ eine neue Art der Beglaubigung für ihre eigenen zeitgemäßen Stereotype über den Iran.

Differenzierter Blick

Dieser Standpunkt durchzieht Mohammadis gesamte literarische Analyse als Verfahren wie als Ergebnis in vielfacher Weise. Dennoch vermeidet sie, die Umsetzung der stereotypen Ansprüche in den untersuchten Werken zu pauschalisieren und teilt sie inhaltlich in zwei Gruppen. Die erste Gruppe umfasst Kumms, Mohafez und meine Romane: „Sie entziehen sich zum Teil ausdrücklich einer Einordnung in die diskursiven kulturellen Stereotype.“

Die Gründe dafür sind unterschiedlich, unter anderem: „Der Roman von Farsaie bestimmt, wenngleich noch an der westlichen Einteilung von negativem Nahost- und positivem Westbild festhaltend, kulturelle Identität als nicht naturgegeben und durchaus wandelbar; Kumms Roman thematisiert die moderne Suche eines Subjekts nach seiner individuellen Identität jenseits von Herkunft und Kultur; Mohafez schließlich negiert nicht Herkunft und Kultur, weist ihnen jedoch einen Platz als Kulisse und Requisite zu, die aber, als Identität verstanden, der praktischen Bewältigung des Alltags entgegenstehen.“

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Ignoranz der Rezeption

Dagegen passten die Werke der zweiten Gruppe (Katayun, Shahrokhi, Atashkar), die einen direkten Bezug zu den realen politischen Verhältnissen des Iran nachweisen, zu den neo-orientalistischen Klischeebildern der deutschen Öffentlichkeit. „Es ist das durchweg negative Bild eines despotischen, islamisch fundamentalistischen und Frauen diskriminierenden Landes – und dem deutlich dichotomisch konstruierten Gegenstück einer europäischen, westlichen und durchweg menschenwürdigen Kultur“. Mohammadi behauptet, dass die drei Werke der genannten Schriftstellerinnen von der deutschen Kritik positiv rezipiert würden, weil sie eben kein „wahres Bild des Iran bzw. der islamischen Welt“ darstellten. Vielmehr entspreche das gegebene Bild in den autobiografisch geschriebenen Romanen nicht den faktischen Gegebenheiten, sondern dem westlichen Blick. Für diese radikale Schlussfolgerung legt Mohammadi jedoch keinen Beweis oder Beleg vor.

Gescheiterter Versuch?

Dass die Autorin bemüht ist, die „Weiblichkeitsbilder in der deutschsprachigen Erzählliteratur“ differenziert zu behandeln, ist nicht zu übersehen. Dass es ihr aber nur bedingt gelungen ist, liegt nicht an ihrer Methodik, sondern, dem Anschein nach, an ihrer politisch motivierten Haltung, die ihren ästhetisch-literarischen Blick durchaus trübt. So blendet Mohammadi die Zwischenräume zwischen der Fiktionalität im Roman und den Erzählungen aus, in denen sich die Autorinnen der zweiten Gruppe bewegen, um ein getreues Abbild eines selbst erlebten Geschehens zu schildern. Generell scheint mir, dass die Erzählungen nicht als eine literarische Form gelesen werden, bei der die Akteur:innen (Autor:in, Erzähler:in und Protagonist:in) eine gemeinsame Identität haben, sondern als erzählerische Vorlage, deren dichter Gehalt am politischen Urteil über die „faktischen Gegebenheiten in Iran“ bemessen wird – obwohl es nicht ihr Gegenstand war oder dem manchmal sogar widersprochen wurde.

Überdies vernachlässigt Mohammadi die Bedeutung der stilistischen Instrumente, mit denen die Schriftsteller:innen in ihren Werken bewusst Stereotype und Klischeebilder produzieren, um diese dann in einem neuen ästhetischen Kontext zu brechen und ein neues „wahres“ Bild der Realität malen zu können. Dabei ist das genau genommen die eigentliche Komponente, die die literarischen Bilder bunt und spannend macht.

Interessant und lesenswert ist das Buch „Die Weiblichkeitsbilder in der deutschsprachigen Erzählliteratur“ dennoch durchaus. Denn es ist die erste und bisher einzige Studie, die das literarische Weiblichkeitsbewusstsein im Lichte des Neo-Orientalismus und der Kulturalisierung thematisiert. Es ist schade, dass das Buch im Büchermeer der Frankfurter Buchmesse 2018 versunken ist. Umso mehr kommt mir aber gelegen, dass es nun wieder aufgetaucht ist. Ein persisches Sprichwort lautet: „Der Fisch ist immer dann frisch, wenn er aus dem Wasser geangelt wird.“

FAHIMEH FARSAI

*Somaiyeh Mohammadi: Die Weiblichkeitsbilder in der deutschsprachigen Erzählliteratur von Autorinnen iranischer Herkunft, Dissertation, Peter Lang Verlag, 304 Seiten.

Somaiyeh Mohammadi studierte an der Universität Teheran (Iran) deutsche Sprache für Übersetzung. In Pune (Indien) schloss sie ihr Masterstudium in Germanistik ab, mit einem Stipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung promovierte sie im Fach Germanistik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

© Iran Journal

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