Hommage an Shajarian, den Großmeister der persischen Musik
Die jüngste Veröffentlichung der palästinensisch-britischen Sängerin Reem Kelani ist eine Hommage an Mohammad Reza Shajarian. Das Album bietet Kelanis einzigartige Interpretation eines berühmten Liedes von Shajarian.
Von Richard Marcus
Mohammad Reza Shajarian dürfte nur wenigen außerhalb der persischen Diaspora bekannt sein. Doch für alle Iranerinnen und Iraner ist Shajarian eine der beliebtesten und bedeutendsten Stimmen ihres Landes. Shajarian sticht auch heraus, weil er sich aktiv sowohl gegen die Regierung des Schah von Persien einsetzte und als Kritiker der aus der Islamischen Revolution hervorgegangenen Theokratie in Erscheinung trat. Noch bevor der iranische Staat seine Lieder verbieten konnte, untersagte es Shajarian dem Regime, seine Musik im staatlichen Rundfunk zu spielen.
Die „Stimme von Staub und Abschaum“
Für den äußerst populären Musiker war das ein schwerer Schritt. Er unterstützte die „Grüne Bewegung“, die nach den Präsidentschaftswahlen von 2009 dagegen protestierte, dass der Hardliner Mahmud Ahmadinedschad den Reformkandidaten Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karroubi den Sieg gestohlen habe. Shajarian konnte gegenüber dem, was das Mullah-Regime seinem Volk zumutete, nicht neutral bleiben. Als Präsident Mahmud Ahmadinedschad die protestierenden Menschen als „Staub und Abschaum“ bezeichnete, nannte sich Shajarian stolz die „Stimme von Staub und Abschaum“.
Der Text des Eröffnungslieds „The Singer Said“ (Qala al-Mughanni) stammt von Mahmud Darwisch, den Reem Kelani als Nationaldichter Palästinas bezeichnet. Kelani wählte das Lied wegen seiner thematischen Verbindung zum Leben und zur Ethik von Shajarian aus. Es handelt von den Mühen eines unbekannten Sängers und passt damit perfekt zu Kelanis Thema.
Der zweite Titel „Bird of Dawn“ stammt aus der Feder von Mohammad-Taqi Bahar. Der renommierte iranische Dichter und Gelehrte schrieb den Text in den 1920er Jahren. Dieses Lied dürften wohl die meisten Iraner mit Shajarian verbinden. Ursprünglich vom Schah als „König der Dichter“ ausgezeichnet, unterstützte Bahar später die pro-demokratische Bewegung Anfang der 1920er Jahre, mit der Iraner erstmals für ein parlamentarisches Regierungssystem eintraten.
Bahar und Shajarian verbindet ein ähnlicher Hintergrund: Bahar war Kleriker, Shajarian war in der Kunst der Koranrezitation (Tadschwīd) ausgebildet. Beide Männer wurden stark von ihrer Spiritualität beeinflusst. Das erklärt auch die Hingabe, die dem Text von „Bird of Dawn“ zugrunde liegt. Shajarian hat zwar weder die Musik noch den Text zu dem Lied geschrieben, aber seine Interpretation lebt maßgeblich im kollektiven Bewusstsein des iranischen Volkes weiter.
Liebevolle Hommage
Der Text, den Kelani im beiliegenden Booklet auf Englisch, Arabisch und Farsi mitgibt, liest sich wie ein Gebet: „Die Tyrannei der Tyrannen und die Grausamkeit der Jäger / haben mein Nest in den Wind geweht / Oh Gott! Oh Himmel! Oh Mutter Natur / verwandle finstere Nacht in lichte Morgenröte.“
Obgleich diese Zeilen bereits vor hundert Jahren geschrieben wurden, sind sie im Iran und überall sonst auf der Welt nach wie vor noch aktuell. Kelani erfüllt den Text mit einer Leidenschaft, die die Emotionalität des Stücks zum Leben erweckt. Auch wer Kelanis Gesang nicht versteht, wird mit der Übersetzung in der Hand vom Klang ihrer Stimme überwältigt.
Kelani gelingt das Kunststück, ihrem Werk eine hohe Emotionalität zu verleihen, ohne dabei melodramatisch zu werden. Ihr ist bewusst, dass sie nicht nur die Texte eines anderen interpretiert, sondern auch dessen Charakteristika. Anstatt sich vom Vorbild einschüchtern zu lassen oder womöglich zu versuchen, das Vorbild zu übertreffen, schenkt uns Kelani eine liebevolle Hommage – sowohl an das Lied als auch an die ursprünglichen Künstler.
Kein Bedauern über gelebtes Leben
Völlig anders ist „The Singer Said“. Das Lied erzählt uns die Geschichte von jemandem, den das Leben erschöpft hat. „Der unbekannte Protagonist lässt die Umstehenden wissen: / Alles…nur kein Bedauern / So bin ich gestorben…stehend / Stehend…starb ich wie die Bäume / So fällt der Regen / So wachsen die Bäume / So wachsen die Bäume.“
Aus diesen Zeilen spricht eine Art weltmüder Fatalität, aber auch die Annahme der Welt um ihn herum. Fast sieht man das hagere, wettergegerbte Gesicht der Person vor sich, die diese Worte spricht. Ein von den Elementen gezeichnetes Gesicht und ein von den Jahren gebeugter Körper. So wie die felsige Erde und die Bäume, durch die er sich Zeit seines Lebens gekämpft hat.
Und doch fordert dieser Mensch kein Mitleid. Das verdeutlicht uns die Interpretation Kelanis. Er bedauert sein Leben und seine Entscheidungen nicht. Erneut gelingt es Kelani, die auch die Musik für dieses Stück komponiert hat, die Worte eines anderen Menschen meisterhaft mit Leben zu füllen. Wir spüren die Erschöpfung eines Menschen, der ein erfülltes Leben lebte. Es mag nicht einfach gewesen sein. Es mag bisweilen sogar recht hart gewesen sein. Aber es war ein selbstgewähltes Leben.
Mit The Singer Said: Bird Of Dawn schenkt uns Reem Kelani eine Kurzbiographie des berühmten iranischen Sängers Mohammad Reza Shajarian. Die beiden Lieder des Albums bieten zusammen mit dem Booklet eine intellektuelle und emotionale Einführung in das Werk eines Künstlers, der international noch mehr Bekanntheit verdient hat. Möge dieses kleine Album die Menschen ermutigen, mehr von Shajarian und Kelanis Werk kennenzulernen.
Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers.
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