Ein musikalischer Brückenbauer

Der iranische Santurspieler Kioomars Musayyebi baut mit seinem neuen Album „A Voice Keeps Calling Me“ musikalische Brücken vom Iran über den arabischen Raum bis zur Alten Musik Europas.

Von Stefan Franzen

„Schon im Iran wollte ich so viele Kulturen wie möglich kennenlernen“, sagt Kioomars Musayyebi. „Denn ich bin überzeugt, dass Musik eine gemeinsame Sprache ist, in der wir ohne Worte miteinander reden können, auch wenn die Gesellschaften durch die jeweilige Kultur und die verschiedenen Rituale ein wenig auseinandergegangen sind. In der Musik sind nur die Dialekte, die Akzente anders.“ Aufgewachsen ist Musayyebi in Teheran. Dass er zur Musik kam, ist seinem Vater zu verdanken, der kurdische Lieder sang und aus seinem Sohn einen Künstler machen wollte.

Er gab ihn in die Obhut des größten persischen Meister auf dem Hackbrett Santur, Faramarz Payvar, der den Jungen nicht nur für das Instrument begeisterte: „Bei Payvar Schüler zu sein, das hieß, auch eine Philosophie für das Leben mitzubekommen. Er war ein ganz besonderer Pädagoge.“ Bis heute verdankt Musayyebi seinem Meister viel, hat aber natürlich den Spielstil weiterentwickelt, ihn auch mit Techniken des Payvar-Schülers Parviz Meshkatian bereichert.

Sein Bedürfnis, über die klassische persische Musik hinauszuschauen, konnte Musayyebi im Iran nur begrenzt umsetzen. Daher kam er 2011 nach Hildesheim, wo er an der Musikhochschule rege Aktivitäten entfaltete. „Dort gab es viele Möglichkeiten für mich, etwas auszuprobieren: Wie klingen meine persischen Wurzeln zusammen mit arabischer Musik, mit Jazz, Weltmusik und mit anderen Instrumenten?“

Seitdem spielt der heute in Essen lebende Komponist in einer Vielzahl von Ensembles, um diese Begegnungen auszuloten, etwa im Transorient Orchestra, im Nouruz Ensemble oder in der Band Beyond The Roots, die sich letztes Jahr als multinationales Kollektiv um die Kölner Klarinettistin Annette Maye gegründet hat. Um eine ganze Bandbreite von Facetten auf einem einzigen Album unterzubringen, hat Kioomars Musayyebi in „A Voice Keeps Calling Me“ (Pilgrims Of Sound) acht Stücke für verschiedene Besetzungen mit Streichern, Blas- und Zupfinstrumenten versammelt. 

„Die Melodien in meinem Kopf rufen mich“

„Es sind die unterschiedlichen Melodien in meinem Kopf, die mich rufen“, erklärt Musayyebi seinen Kompositionsprozess. „Ich denke beim Schreiben überhaupt nicht unbedingt an die Santur. Manchmal komponiere ich am Klavier oder auf der Sitar, manchmal zieht es mich zur Alten Musik Europas, nach Persien oder in den arabischen Raum. Es kann sein, dass die Klarinette in meinem Kopf sagt: Ich muss diese Melodie spielen, oder die Geige sagt das, oder beide Instrumente tun sich in meiner Vorstellung zusammen. Und langsam reift die Idee: Okay, dieses Stück gehört diesem oder jenem Ensemble.“ Die Melodien seien wie Stimmen, die ihn rufen, daher auch der Titel des Albums, den er zugleich einem Gedicht des iranischen Dichters Sohrab Sepehri (1928-1980) entlehnt hat. Vom großen Poeten der iranischen Moderne lässt er sich in allen Lebens- und Gemütslagen inspirieren.

Das Album „A Voice Keeps Calling Me“ wird gerade wegen des ständigen Wechsel der Besetzungen, der unterschiedlichen „Stimmen, die rufen“, nie langweilig: Im Eröffnungsstück „Entezar“ bringt Musayyebi seine Sehnsucht nach Indien zum Ausdruck, indem er seinem indischen, ebenfalls in Deutschland lebenden Kollegen Hindol Deb eine prominente Solorolle zugesteht. „Djozz“ ist eine Widmung an den Mitmusiker Bassem Hawar und seine irakische Stachelgeige Djoze, gleichzeitig ein Paradestück für eine Suite, die musikalisch zwischen Europa, dem arabischen Raum und Persien vermittelt.

„Als ich im Iran lebte, hatten wir diesen achtjährigen Krieg mit dem Irak“, erinnert sich Musayyebi. „Und hier in Deutschland war der Iraker Bassem Hawar einer der ersten Musiker, die ich kennengelernt habe. Wir haben viele Stunden geredet und gemerkt, dass wir beide die gleichen Gefühle haben, dass unsere gemeinsame Musik Frieden bringt.“

Im Titelstück hat Musayyebi eine Melodie bearbeitet, die aus einer Fernsehserie seiner Kindheit im Iran stammt. Nach 30 Jahren in seinem Kopf kommt sie nun zu neuen Ehren. Mit Annette Maye und dem Beyond The Roots-Ensemble wurde die lange Improvisation „Igra“ als spannender Hybrid zwischen Jazz und eurasischer Musik kreiert. Schließlich gibt es zwei „Nachtstückchen“, die zum einen ganz in die persische Klassik zurückführen („Nächtliches Geflüster“), zum anderen mit dunkler Flöte und schnurrender Djoze wunderbar dunkle Klangfarben erzeugen („Letzte Nacht“).

„Die Nächte reden mit mir, nachts kann ich gut denken und mich wohlfühlen“, sagt Musayyebi. „Jede Nacht könnte auch die letzte sein: Vielleicht sehen wir uns morgen nicht mehr. Aber wir haben die Hoffnung, dass der Morgen kommt und alles wieder von Neuem beginnen kann.“ Bei all den Inspirationen, die Kioomars Musayyebi derzeit außerhalb seiner Heimat empfängt, zieht es ihn – auch wegen der problematischen politischen Situation im Iran – vorerst nicht zurück. „Ich möchte noch mehr von der Welt sehen. Da gibt es noch viele Stimmen in anderen Ecken der Welt, die mich rufen.“

 © Qantara

Weitere Informationen unter https://kioomars-musayyebi.com/

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