Variationen über einen Jubilar
Eine wertvolle musikalische Neuschöpfung: der Musikkritiker Stefan Franzen über die CD „This Is (Not) Beethoven” des Komponisten Arash Safaian und des Pianisten Sebastian Knauer.
Eine kräftige Bremse hat das Corona-Virus dem Beethoven-Jubiläumsjahr verpasst. Was auf vielen Bühnen zum 250. Geburtstag des Komponisten geplant war, musste notgedrungen zusammengestrichen oder ganz aufgegeben werden. Anders sieht es bei den CD-Produktionen anlässlich der Feierlichkeiten aus. Unter ihnen hebt sich dieser Tage eine Neuerscheinung heraus, die eine ungewöhnliche Perspektive auf den Meister der Wiener Klassik wagt. Der Komponist Arash Safaian und der Pianist Sebastian Knauer haben für „This Is (Not) Beethoven“ die alte Verfahrensweise der Variation mit neuem Anstrich versehen.
Zwar finden sich unter den Beethoven-Würdigungen 2020 auch Begegnungen der abendländischen Klassik mit dem Osten. Wer eine solche bei Arash Safaian vermutet, geht allerdings in die Irre. Der 39-Jährige ist zwar in Teheran geboren, kam aber schon als Kind nach Bayreuth: Seine Sozialisation fand innerhalb der europäischen Tonsprache statt. Anschließend studierte er in Nürnberg Malerei und in München Komposition. Seitdem wirkt Safaian als Schöpfer orchestraler Werke, von Opern und Filmmusik.
Safaians erster Kontakt mit Beethoven fand allerdings schon in seinen ersten Lebensjahren statt: Er erinnert sich an einen Besuch in einem Teheraner Plattenladen namens „Beethoven“, dessen Werke wurden damals noch auf Kassetten angeboten. Dieses Kindheitserlebnis, verknüpft mit dem Kennenlernen des 3. Klavierkonzerts, waren prägend für den Knaben – und die Initialzündung dafür, dass er selbst zum Klavier fand.
Es ist nicht die erste kompositorische Auseinandersetzung des Teams Safaian/Knauer mit einem Giganten der abendländischen Musikgeschichte: In der Produktion „ÜberBach“ von 2016 übertrugen die beiden Musik von Johann Sebastian Bach für Tasteninstrumente, Choräle und Orchesterwerke in Arrangements mit dem Zürcher Kammerorchester, Klavier und Vibraphon. Bachs Kompositionspraxis spann Safaian weiter, in dem er das barocke Baukastenprinzip mit seinen Sequenzen und Wiederholungen schlüssig und sinnträchtig „verlängerte“, eigene Fortbewegungen und harmonische Entwicklungen erfand.
Lässt an Rachmaninoff denken
Für die Tonsprache der darauffolgenden Klassikepoche, in der die Verarbeitung von thematischem Material komplexer geschieht, sich harmonisch, dynamisch und rhythmisch vielschichtiger abwandelt, kann eine solche Fortspinnung nicht mehr so einfach unternommen werden. Oder doch? Tatsächlich stellt Safaian mit dem Marsch aus Beethovens 7. Sinfonie eine von dessen Kompositionen ins Zentrum, die am meisten von mathematischer Motorik geprägt sind. Das Marschthema des zweiten Satzes beleuchtet Safaian fantasievoll aus jedem erdenklichen Hörwinkel in zwölf Variationen. Er verdichtet die Tonsprache harmonisch bis hin zu Dissonanzen, die auf Schockeffekte der heutigen Filmmusik verweisen, und gibt ihr eine bombastische Fülle, die einen auch mal an Rachmaninoff denken lässt („Heroic“).
Er lässt Instrumentengruppen wirkungsvoll in Zwiesprache mit dem Piano treten, die Streicher mit gleißenden Obertönen, die Bläser mit bellenden Fanfaren. Oder er löst den Marsch in einen pathetischen Walzer auf („Aria in Black“), lässt das Orchester sich an einem einzigen Ton festbeißen, während das Piano dazu das Thema auf ein Skelett reduziert („Grid“). In der Variation „Ricercar“ schafft er es sogar, Beethoven in den Barock zurückzugeleiten.
Leuchtend-cineastischen Einfärbung
Damit die zwölf Marsch-Abwandlungen beim Hörer nicht zu Ermüdungserscheinungen führen, bereichert Safaian diese „Fantasy For Piano And Orchestra“ (so der CD-Untertitel) durch Adaptionen aus Beethovens Klavierwerk und einige andere Werkzitate. Eine opulente Einleitung der CD hat er anhand einer leuchtend-cineastischen Einfärbung der „Mondscheinsonate“ geschaffen, spiegelt dabei clever die Motivik und setzt sie in eine höhere Lage. Die Orchesterbegleitung verleiht dem berühmten Eingangssatz einen ganz anderen Atem, bläht ihn aber fast ein wenig zu pompös auf. Nicht fehl am Platz ist dieser dramatische Duktus beim freien Aufgreifen der Schlussfuge aus der „Hammerklaviersonate“, die zu einem Schaukasten für Knauers emotionale Expressivität wird. Genau wie die „Kammermusik 3“: Hier verzahnen sich das Spiel der norwegischen Geigerin Eldbjørg Hemsing und Sebastian Knauers zu einem wiederum eher nach Bach klingenden Kontrapunkt.
Als „Adagietto“-Nachbetrachtung mit dem Soloklavier klingt diese zu meisten Teilen nicht nur gelungene, sondern auch spannende „Weiterdichtung“ Beethovens melancholisch aus – wie ein verschollener Satz einer Klaviersonate selbst. Beethoven und nicht Beethoven zugleich: Die Klammer in der Titelgebung ist treffend. In jedem Falle ist Safaians „Fantasie“ eine wertvolle musikalische Neuschöpfung.
Safaian und Knauer hoffen, wie bei „ÜberBach“ auch klassikferne und jüngere Hörer zu erreichen. Sie sind dabei aber nicht der Versuchung erlegen, die Beethovenbilder der Popularkultur zu reproduzieren, etwa das vom „ersten Rocker der Musikgeschichte“. Vielmehr gelingt es ihnen auch stets in den freieren Passagen, die Abstand vom Originalmaterial nehmen, den vielschichtigen musikalischen Charakter Beethovens ohne Klischees widerzuspiegeln.♦
© Iran Journal
CD: Arash Safaian, Sebastian Knauer, Zürcher Kammerorchester: „This Is (Not) Beethoven” (Modern Recordings/BMG/Warner)
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