Animierte Bigotterie

Sagen wir, die Männer in einer Macho-Kultur haben weniger Probleme als die Frauen. Zugleich haben sie aber bestimmte Erwartungen zu erfüllen, und das ist ein riesiger Druck für sie. Die Tabus und Einschränkungen seitens der Gesellschaft, die es im Iran gibt, belasten sowohl Männer als auch Frauen. Da sie aber gesetzlich nicht gleichgestellt sind, ist das Ganze dann eine doppelte oder dreifache Belastung für die Frauen.
Inwieweit sind die Frauen in Ihrem Film exemplarisch für ihre Geschlechtsgenossinnen im Iran?
Die iranische Gesellschaft ist eine heterogene Gesellschaft mit sehr vielen Kontrasten. Das Leben auf dem Land unterscheidet sich enorm vom Leben in der Stadt. Selbst in der Hauptstadt Teheran existieren mindestens zwei Welten: im Norden die der Reichen, im Süden die der verarmten Masse, die ja sehr traditionell und scheinbar religiös lebt. Doch alle haben mit den gleichen Tabus zu kämpfen. Und weil der Staat der Hauptprotagonist in Sachen Verteidigung von Tabus und überkommenen Normen ist, schafft man sich private Räume, um die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Also Räume außerhalb der Gesellschaft, außerhalb des Gesetzes, und dementsprechend sind sie nicht kontrollierbar. In den Großstädten gibt es ernstzunehmende Probleme mit den Folgen von heimlichem Sex und Konsum harter Drogen.

 die Männer in einer Macho-Kultur haben weniger Probleme als die Frauen
die Männer in einer Macho-Kultur haben weniger Probleme als die Frauen

 
Warum haben Sie den Film animiert?
Der Ort des Geschehens ist Teheran, aber wir konnten ja nicht dort drehen. Es gibt natürlich Länder, die dem Iran ähnlich sind, wie Marokko oder Jordanien, aber keine der Städte in diesen Ländern hat den Look von Teheran. Außerdem lassen animierte Bilder, indem sie nicht so konkret sind, mehr Platz in den Köpfen der Zuschauer für die eigene Phantasie. Das hilft manchmal, zu der Geschichte etwas Distanz zu gewinnen und ein Thema auch besser zu visualisieren. Deshalb haben wir verschiedene Animationsformen ausprobiert und sind am Ende bei Rotoskopie gelandet. Das ist die geeignetste Form der Darstellung für unsere Geschichte.
Warum?
Der Film ist kein reines Phantasieprodukt. Er erzählt vom Alltag der Menschen auf der Straße. Deshalb muss man beim Erzählen auf Realitätsnähe achten, und die wird durch den Einsatz der Schauspieler vermittelt.
Warum sollten sich Menschen, die mit dem Iran nichts zu haben, den Film anschauen?
Alle Menschen, egal wo sie leben, haben die gleichen Grundbedürfnisse, oft auch die gleichen Träume. Selbst so ein absurdes Thema wie Hymenrekonstruktion ist keine spezifisch iranische oder islamische Angelegenheit mehr. Es gibt auch in Deutschland Ärzte und Internetportale, die sich damit beschäftigen oder ihre Dienste anbieten. Heutzutage kann man von den Gesellschaften, egal wo, keine Schwarz-Weiß-Bilder mehr malen. Was manche Medien über den Iran berichten, ist leider die Vermittlung solcher Bilder. Sie können zwar für einen Teil der Gesellschaft oder des Landes zutreffen, aber Tatsache ist, dass auch die iranische Gesellschaft eine komplexe ist, wie wir sie von anderen Ländern kennen. Unser Film erzählt eine Geschichte von globalem Ausmaß, die eben in der Islamischen Republik Iran stattfindet.♦
Interview: Farhad Payar
*Ali Soozandeh, geboren 1970 in der iranischen Stadt Shiraz, emigrierte 1995 nach Deutschland. Nach seinem Diplom in Mediendesign an der Fachhochschule Köln 2005 gründete er die Cartoonamoon-Filmproduktion. Nach preisgekrönten Kurzfilmen und Animationen für Dokumentarfilme ist Teheran Tabu sein Langfilmdebüt.
Produktion: Little Dream Entertainment, Coop 99  / Produzent: Ali Samadi Ahadi / Kinostart in Deutschland: 16 November 2017

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