Zwischen Begehren und Tabu: lesbische Frauen im Iran
Die Schocktherapie
Dennoch habe die Arbeit der iranischen Frauenbewegung dazu beigetragen, dass immer mehr Lesben in der Diaspora es wagten, sich öffentlich und in ihren Familien zu outen. Und es sei zu beobachten, führt Saadat-Lendle aus, dass sich die Familien nach anfänglicher Ablehnung und Irritation schnell beruhigten und die Frauen so akzeptierten, wie sie seien.
Hinzu komme, dass Familien in vielen europäischen Staaten sowie in Kanada und den USA die Möglichkeit hätten, Beratungsstellen aufzusuchen. Gleichgeschlechtliche Ehen sind in vielen dieser Länder entweder bereits erlaubt oder, wie in Deutschland, in der Diskussion, so dass Vorurteile und Ängste besorgter Eltern schon durch Standesbeamte, Hausärzte oder Psychotherapeuten relativiert werden könnten. Die Einsicht, dass Lesben von Gott und der Natur gewollte gesunde Personen seien, setze sich bei den Familien relativ schnell durch. Die gebürtige Iranerin betont allerdings, dass dies nur für Familien, die außerhalb des Irans leben, gelte. Im Iran schützten Lesben ihre Familien vor Scham und gesellschaftlichen Repressalien in der Regel, indem sie ihnen ihre Lebensumstände verschwiegen.
Im „Paradies“
Doch nicht nur politisch aktive Frauen und engagierte Männer bewegen die Schicksale homosexueller Iranerinnen. Auch iranstämmige KünstlerInnen nehmen dazu Stellung. Das spektakulärste Statement in den vergangenen Jahren war das Video „Behesht“ (deutsch „Paradies“) von 2014, gesungen von der iranischen Pop-Ikone Googoosh.
„Behesht“ erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die einen Heiratsantrag bekommt. Doch ihre Liebe zu der Person, die anfänglich nicht gezeigt wird, stößt auf Ablehnung in der Gesellschaft und im Elternhaus. Die junge Frau zieht sich verzweifelt zurück, bis sie ihrer Liebe auf einem Konzert Googooshs wieder begegnet. Das erst ist der Moment, in dem klar wird, dass es sich um ein lesbisches Paar handelt. Das Video endet mit der Botschaft: „Freedom to Love for All“.
Der Schauspieler und Regisseur des Videos, Navid Akhavan, rührte mit seinem Tabubruch die Herzen der IranerInnen weltweit. In einem Interview mit Iran Journal berichtete er, dass ihn selbst am stärksten die Reaktionen der LGBTs im Iran berührt hätten: „Viele aus der LGBT-Community im Iran haben uns geschrieben, dass sich ihr Leben mit der Veröffentlichung des Videos positiv verändert hat.“. Ihm sei zum ersten Mal bewusst geworden, so Akhavan, „was für eine Kraft man mit der Kunst hat“.
Die Sängerin Googoosh, deren hohes Renommee zur Popularität des Videos beitrug, bezog in „Behesht“ klar Stellung. Es war das erste Mal, dass eine KünstlerIn von solchem Format sich des Themas gleichgeschlechtliche Liebe annahm. Die Regierenden im Iran warfen ihr vor, „moralischer Verderbtheit Tür und Tor geöffnet“ zu haben. Auch Navid Akhavan blieb von negativem Feedback nicht verschont: „Kommentare, in denen etwa Homosexuelle mit Pädophilen gleichgestellt wurden, haben mich schockiert“, erinnert er sich.
Doch genau diese Widerstände sieht Navid Akhavan als Aufforderung, sich weiterhin für die Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Partnerschaften einzusetzen: „Wir müssen zeigen, dass wir auf der Seite der Menschen aus der LGBT-Community stehen und sie genauso als Teil unserer Gesellschaft akzeptieren wie jeden anderen Menschen auch.“ Es bedarf Hartnäckigkeit und des Engagements auf vielen Ebenen, um sexuelle Tabus zu brechen. Denn die (Homo-)Sexualität iranischer Frauen zu thematisieren, bedeutet auch, an den Normen patriarchaler Systeme wie dem des Iran zu rütteln.
Quellen und weiterführende Links:
Maryam Taherifards Feldstudie „Sittlichkeit und Sinnlichkeit. Weibliche Sexualität im Iran“, Helmer Verlag, 2007
AI-INFOblatt: Steinigungen in Iran, Broschüre: Iranische und afghanische Lesben , LesMigraS Antidiskriminierungs- und Antigewaltbereich der Lesbenberatung Berlin e. V. , Homosexualität und Migrationsfamilien , Religion und Homosexualität
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