Iranisches „Cloubhouse“, europäische Frauen und afrikanische Männer
Die zwei Stunden waren fast vorbei, als eine Zuhörerin sich meldete und fragte, warum Mottahari es „animalisch“ finde, wenn Frauen ohne Hidjab in der Öffentlichkeit auftreten möchten: Was sei an europäischen Frauen tierisch?
Hier offenbarte sich Mottahari als Sittenwächter des Islamischen Staates (IS). Seine hässliche, rassistische, manche sagen, krankhafte Antwort trug er in einer erschreckenden Ruhe vor. Jedem normalen Iraner treiben diese Sätze die Schamröte ins Gesicht:
„Gleichberechtigung bedeutet nicht gleiche Rechte für Frauen und Männer. Sie sind von Natur aus verschieden und können nicht die gleichen Rechte haben … Unsere Jugend im Iran wird durch Frauenhände erregt, das ist gut so … Will eine Frau ohne Hidjab in die Öffentlichkeit, so folgt sie ihrem tierischen Instinkt … Wenn ein Mann am Strand nicht erregt wird, ist er krank … Die Zionisten haben für die Nacktheit in Europa gesorgt, die ja eine Krankheit ist … Europäische Männer werden nicht durch nackte Frauen erregt, deshalb müssen die europäischen Frauen sich afrikanische, arabische oder iranische Männer nehmen.“
Scham in den sozialen Netzwerken
Nicht-Iraner können nur erahnen, was danach in den sozialen Medien los war. Wikipedia musste Stunden später seine Webseite aktualisieren. Am selben Abend bekam Mottahari via Telegram, Whatsapp und Facebook Telefonnummern und Adressen von Sexualtherapeuten in Teheran.
Mottahari hat für seinen Wahlkampf eine Kampagne ins Leben gerufen, die sich „Stimme der Nation“ nennt. Diese „Stimme“ wird nach der Wahl im Juni verstummen, das weiß er genauso gut wie die Mehrheit der Bevölkerung. Für den mächtigen „Wächterrat“, der die Eignung der Kandidaten prüft, ist Mottahari nicht konservativ genug.
Solche Karikaturen über Ali Motahari findet man in diesen Tagen reichlich:
بدون شرح#علی_مطهری pic.twitter.com/zxt5wvmvva
— Sanaz Bagheri (@sanazcartoon) April 7, 2021
Der Westen hört zu
Doch Mottahari hatte bei seinem Auftritt mehr das Außen als das Innen im Blick. Der Hidjab war das einzige innenpolitische Thema, über das er ziemlich ausführlich referierte. Kein Wort über Corona, über Khameneis Importverbot amerikanischer und britischer Impfstoffe und über den Tod von täglich mehreren hundert Menschen, die das Gesundheitssystem links liegen lässt. Auch das Wort Wirtschaft kam nicht vor. Das ist nicht sein Thema.
Dafür viel Außenpolitik. Hier sprach einer der so genannten „Moderaten“, auf die die westliche Welt wartet. Seine zaghafte Gesprächsbereitschaft und seine Signale an Saudi-Arabien, die USA und Europa sollen vor allem Wien erreichen, wo momentan fast die gesamte Welt versucht, ein neues Atomabkommen mit dem Iran zu schmieden oder das alte wiederzubeleben. Dort glauben westliche Unterhändler, ein Entgegenkommen gegenüber dem Iran würde die „Moderaten“ in der islamischen Republik stärken und die Welt ein bisschen besser machen. Hier gab sich solch ein „Moderater“ die Ehre.
PS: Kurz nach dem Niederschreiben dieser Zeilen veröffentlichte die UNO am Mittwoch ihren Weltbevölkerungsbericht über die Autonomie von Frauen über ihren eigenen Körper. Das UNFPA legt eine Studie über 57 Länder vor. Vom Iran ist darin nicht die Rede, weil die UN-Experten dort nicht zu suchen haben. „Das Recht auf körperliche Autonomie bedeutet, dass wir die Macht und die Kraft haben, eigene Entscheidungen zu treffen, ohne Angst vor Gewalt haben zu müssen oder jemand anderem diese Entscheidung übertragen zu müssen“, resümierte Natalia Kanem, Chefin des UNFPA ihren Bericht.
© Iran Jounral
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