Iranisches „Cloubhouse“, europäische Frauen und afrikanische Männer
Bei Clubhouse gäben sich Politiker persönlicher und volksnah, sagen Internetexperten. Diese App ist im Iran vorübergehend erreichbar. Bis zur „Wahl“ des neuen Präsidenten dürfen die „Reformer“ in dieser Nische auftreten, um der Farce einen demokratischen Anstrich zu geben. Ali Sadrzadeh hat einen dieser Auftritte beobachtet.
Khamenei gewährt, Clubhouse liefert, und das Theater kann beginnen. Die Islamische Republik hält Präsidentenwahl ab.
Vorübergehend, eventuell bis zum Wahlende soll das Clubhouse erreichbar sein. Das ist nicht für die „Prinzipientreuen“ gedacht. Sie brauchen das nicht. Sie jonglieren bereits in ihren eigenen sozialen Medien mit verschiedenen Personen, die alle angeben, Khameneis Vorstellung von einem „idealen Präsidenten“ vollständig zu genügen.
Die Bühnenlücke
Doch es gilt auch die andere Seite der Bühne zu besetzen. Da, wo bei den früheren Aufführungen jene standen, die sich Moderate, Reformer oder Gesprächsbereite nannten, ist es leer. Auch sie hielten sich in der Vergangenheit stets an das Drehbuch, man könnte auch sagen an die Landesverfassung, die Khamenei uneingeschränkte, ja fast göttliche Macht verleiht. Doch sie sind bei dieser Wahl fast von der politischen Bühne verschwunden.
Wo sollen aber die übriggebliebenen „Restreformer“ auftreten, wie soll sich diese Bühnenseite dem Publikum präsentieren? In Funk und Fernsehen kommen sie nicht vor, dort hat nicht einmal der amtierende Präsident viel zu melden. In den stark zensierten iranischen Zeitungen ist Wahlkampf nicht möglich, selbst ein Wahlkampf á la islamische Republik nicht. Und Veranstaltungen oder Versammlungen verhindert Corona.
Ein fast leeres Theater
Dabei ist die Leerstelle auf dieser Seite der Spielwiese eigentlich gar keine große Katastrophe. Denn es mangelt sowieso an Zuschauern. Die überwiegende Mehrheit des Wahlvolks ist mit der Existenzfrage beschäftigt. Sie hat keine Zeit, kein Interesse an dem Bühnenspiel. Corona relativiert alles, nicht zuletzt den „Wahlkampf“ der Mächtigen.
Mehr als 60 Prozent der Iraner*innen versuchen mühsam, unterhalb der offiziellen Armutsgrenze zu überleben. Die Wahlbeteiligung werde, wenn alles gute liefe, irgendwo zwischen 20 und 25 Prozent liegen, berichten selbst jene Medien, die den Revolutionsgarden gehören.
Doch die kommende Wahl ist eine besondere, eine schicksalhafte, denn sie ist mit der Systemfrage verknüpft. Die Isolierung des Iran von der Außenwelt, die Unzufriedenheit der Bevölkerung, die erstickenden Sanktionen, die tödliche Seuche, die regionalen Feinde und die Krise um das Atomprogramm – all das gefährdet die gesamte Macht.
Bericht über Krisenmanagement der Regierung in der Provinz Sistan und Belutschitan:
Die Nische
Es gilt, zumindest, um das Gesicht zu wahren, irgendwie diese Lücke auf der Bühne zu füllen. Mit jenen „Restreformern“, die zwar selbst bekunden, keine Chancen zu haben, aber trotzdem bereit sind, ja sich verpflichtet fühlen, den Wahlofen, soweit man ihnen das erlaubt, ein bisschen anzuheizen.
Auch sie fürchten den Zusammenbruch der Ordnung. Deshalb wollen sie bei dem kommenden Schauspiel eine Rolle haben, wenn es sein muss, die eines Statisten. Das nenne manche von ihnen Patriotismus. Was kann man für sie tun, wie bringt man sie dem Publikum näher? Für ihren Auftritt suchten die Regisseure der Wahlvorführung eine Nische, und sie wurden fündig, dem US-Softwareunternehmen Alpha Exploration Co. und seiner App Clubhouse sei gedankt. Vorübergehend soll diese App nicht blockiert werden – bis wann, ist unklar.
Frauenfeindlichkeit als Familientradition
Der erste Präsidentschaftskandidat, der auf diese Bühne stieg, heißt Ali Mottahari. Er erlaubte sich während seiner Jahre als Parlamentsabgeordneter ab und an zaghafte Tabubrüche, er ist bekannt für seine vorsichtige Kritik an Brutalitäten der Revolutionsgarden. Die Einhaltung der islamischen Kleiderordnung hält Mottahari aber für eine Existenzfrage des Staates. Einmal zitierte er sogar den Innenminister ins Parlament, weil der das Tragen von Leggings geduldet hatte. Trotzdem ortet man Mottahari irgendwo in der Nachbarschaft der Reformer ein.
Seine Premiere im Clubhouse war am vergangenen Mittwochabend. Die Sitzung dauerte zwei Stunden, Tabubrüche gab es nicht, die roten Linien achtete Mottahari peinlich. Trotzdem wurde sein Auftritt zu einem Skandal ersten Ranges, der seit fast zwei Wochen die sozialen Medien bewegt.
In der offenen und zugleich geschlossenen Clubhouse-Runde fragte man Mottahari zu Beginn, warum er dort auftrete. Seine Antwort strotzte vor Selbstbewusstsein: „Wir haben eine Botschaft für die Welt, die wir allen Menschen rund um den Globus mitteilen müssen.“ Was er der Welt zu sagen hatte, kam dann ziemlich am Ende der Veranstaltung.
Die Missionierung ist im Mottahari-Clan eine Familientradition. Der Vater – Morteza – war DER Ideologe der Islamischen Republik. Als er kurz nach der Revolution bei einem Terroranschlag getötet wurde, weinte Ayatollah Ruhollah Khomeini zum ersten und letzten Mal öffentlich. „Mein Augenlicht habe ich verloren“, sagt der Gründer der Islamischen Republik.
Morteza Mottahari lehrte während der Schah-Zeit an der Theologischen Fakultät der Universität Teheran und äußerte sich zu allem und jedem, vor allem zu Kultur-Fragen. Die „Frauenfrage“ war sein Steckenpferd. In fast allen seiner Schriften ging er sehr scharf mit den „verdorbenen“ westlichen Sitten ins Gericht. Heute wird er als علامه tituliert, als Allwissender. Seine Pamphlete gegen Linke, Demokraten und die westliche Kultur in Gänze gehören zum kulturellen Schatz des Gottesstaates. Mit seinem Nachlass beschäftigen sich eine Fakultät und zwei Institute mit einem Dutzend „Forscher“ sowie einem riesigen Budget.
Mortezas Sohn Ali, heute 63 Jahre alt, verwaltet und überwacht die kulturelle Hinterlassenschaft seines Vaters. Auch er, wie der Vater, lehrt an der Universität Philosophie und Kultur.
Sein langatmiger, zweistündiger „Wahlkampf“ mit geladenen Gästen war live auf Youtube zu hören.
Hässliche Tiraden gegen westliche Frauen
Fortsetzung auf Seite 2