Ängste und Sorgen des Lehrerverbandes

Der iranische Lehrerverband prangert die Unfähigkeit der Regierenden zur Lösung der Probleme des Landes an und warnt vor massiver Verbreitung von Gewalt in der Gesellschaft. Iran Journal dokumentiert die Erklärung des Verbands.
Die am Dienstag veröffentlichte Erklärung des Lehrerverbands beginnt mit einer kurzen Lagebeschreibung: „Die iranische Gesellschaft befindet sich in einem Teufelskreis aus einem ineffizienten politischen System, dem störrischen Beharren auf falschen wirtschaftlichen Entscheidungen und der Unfähigkeit zur Bekämpfung der Korruption. Die Verantwortlichen auf den höchsten Ebenen missachten die selbstverständlichsten Grundlagen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Managements und treten die Gesetze des Landes mit Füßen, ohne sich über die kurz- und langfristigen Konsequenzen ihrer Taten Gedanken zu machen.“
Eine Minderheit habe die politische und wirtschaftliche Macht an sich gerissen, betreibe Vetternwirtschaft und versuche mit autoritären Methoden den Status quo aufrechtzuerhalten, heißt es in der Erklärung weiter. Dem gegenüber stehe eine Mehrheit, „die unter einer zermürbenden Inflation – durchschnittlich mehr als 42 Prozent -“ leide und beobachten müsse, wie sie Tag für Tag ärmer und die Kluft zwischen arm und reich sich vergrößern würde, stellt der Lehrerverband fest.
Die Konsequenzen
„Konsequenzen einer solchen Situation sind die Zunahme einer kollektiven Unzufriedenheit und die Entstehung kleiner und großer Proteste – Proteste gegen die schlechte Wirtschaftslage, gegen die aus dem Macht-Geld-Monopol entstandene systematische Korruption, gegen die weit verbreiteten Diskriminierungen und Ungerechtigkeiten und gegen die Herrschaft einer bestimmten Ideologie über Kultur und Politik“, betont der Interessenverband.

Der iranische Lehrerverband: Die Machthaber haben alle möglichen gesetzlich anerkannten Protestwege nach und nach gesperrt!
Der iranische Lehrerverband: Die Machthaber haben alle möglichen gesetzlich anerkannten Protestwege nach und nach gesperrt – Foto: Ein Streik des Verbandes gegen die schlechte wirtschaftlich Lage der iranischen Lehrer*innen

 
Die Verteuerung von Benzin habe Mitte November „wie ein Funke das Pulverfass des unterdrückten Zorns“ der Bevölkerungsschichten getroffen, die Opfer der „unsinnigen wirtschaftlichen Entscheidungen der Regierung“ seien.
Doch statt mit Verständnis habe der Staat mit Aggression und Gewalt reagiert. Das trage zur Verbreitung von Gewalt in der Gesellschaft bei, fürchtet der Lehrerverband.
„Gesetzliche Wege zum Protest gesperrt“
Die Interessenvertretung der iranischen Lehrer*innen geht in ihrem Schreiben auch auf die Empfehlung der Regierenden ein, die Bevölkerung möge sich mit Klagen an staatliche Instanzen wenden, statt auf den Straßen zu protestieren. Man habe zur Durchsetzung der Interessen der Lehrenden wie Gehaltserhöhungen oder feste Arbeitsverträge „alle gesetzlichen Wege wiederholt ausprobiert und werden das weiterhin tun“. Doch das Ergebnis sei nicht vorzeigbar: „Ein paar verurteilte Lehrer, Entlassungen und Suspendierungen von Verbandsaktivisten.“
Der Verband zählt auch die Versuche von Rentnern, Arbeitern, Studenten, Kinderrechtsaktivisten, Krankenpflegern, Kulturschaffenden, Umweltschützern, Frauenrechtlerinnen und Rechtsanwälten auf, die seit Jahren auf gesetzlichen Wegen erfolglos für ihre Anliegen kämpften: „Die Machthaber haben alle möglichen gesetzlich anerkannten Protestwege nach und nach gesperrt. Das bereitet uns Sorge“, schlussfolgert der Verband, und fasst zusammen: „Wir machen uns Sorgen um die immer größer werdende Kluft zwischen den Machthabern und der Bevölkerung, um das Versperren aller möglichen Wege zu einer friedlichen Lösung der Probleme, um die zügellose Verbreitung von Aggression in einer Gesellschaft, in der die Machthaber in der Kommunikation mit Bürgern nur die Sprache der Gewalt kennen und die Menschen nur als gefügige und gehorsame Massen dulden, um die negativen Folgen der Benzinverteuerung um 300 Prozent für die ärmsten Schichten der Gesellschaft, um die Kinder, die aufgrund enormen wirtschaftlichen Drucks arbeiten müssen, statt zur Schule zu gehen, um die Familien, die wegen eines einfachen Protests ihre Liebsten verloren haben, und um die Lage der Jugendlichen, die unbeschreibliche Gewalt und Beleidigungen erlebt haben, die Jugendlichen, die festgenommen wurden und keiner weiß, was mit ihnen passiert ist, und noch trauriger sind die Meldungen über die getöteten Jugendlichen.“
Die Verantwortlichen der Islamischen Republik werden gewarnt: „Die Geschichte hat gezeigt, dass kein politisches Regime durch Anwendung von Gewalt überleben konnte, und dass eine tief gespaltene Gesellschaft, die starken Repressalien ausgesetzt ist, sich nicht entwickeln kann.“
Am Ende des Schreibens bekräftigt der Lehrerverband seine Pflicht als zivilgesellschaftliches Organ, vor den Missständen in der Gesellschaft zu warnen: „Auch wenn wir wie in der Vergangenheit auf taube Ohren stoßen werden!“
  Übertragen und überarbeitet aus dem Persischen von Iman Aslani

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