Die Parlamentswahlen als Symbol des Totalversagens

In gut zehn Monaten finden im Iran Parlamentswahlen statt. Die beiden politischen Lager – Fundamentalisten und Reformer – fürchten eine niedrige Wahlbeteiligung: Denn die enttäuschte Bevölkerung lehnt das Regime im Ganzen ab. Besonders heftig kritisiert wird die Regierung von Präsident Hassan Rouhani. Nun wird erneut ein Referendum ins Gespräch gebracht.
Von Mina Tehrani
Am 1. März 2020 können die wahlberechtigten Iranerinnen und Iraner ein neues Parlament wählen. Verschiedene regimetreue Gruppierungen motivieren schon jetzt für eine möglichst hohe Wahlbeteiligung. Auffällig besorgt werben insbesondere die Reformer für den Urnengang – allen voran ihre Integrationsfigur, Ex-Präsident Mohammad Khatami.
Bereits Ende März hatte der eingeräumt, dass die Bevölkerung vom Regime enttäuscht sei, den Glauben an Verbesserungen verloren habe und nicht einmal einem Aufruf der Reformer zur Wahlteilnahme folgen würde. Anfang Juli bekräftigte Khatami seine Aussagen und bat das Volk erneut, dennoch wählen zu gehen.
„Ganz im Sinne der Umstürzler“
Doch nicht nur Politiker pusten kräftig Luft ins schwächelnde Feuer der Wahlbeteiligung. Behörden, staatliche Medien und Nachrichtenagenturen leisten ebenfalls ihren Beitrag. Vergangenes Wochenende organisierte die staatliche Nachrichtenagentur IRNA einen Runden Tisch. Beteiligt war unter anderem der Reformer und Politikwissenschaftler Sadegh Zibakalam. Ihm bereitet der Vertrauensverlust der Iraner*innen beiden politischen Lagern gegenüber große Sorgen. „Die Bevölkerung traut den Fundamentalisten und Reformern nichts mehr zu“, sagte Zibakalam, „und das ist genau das, was die Umstürzler erreichen wollten“.

EX-Präsident und Reformist Mohammad Khatami: "Die Menschen werden nicht mehr auf Wunsch von uns Reformern zu den Wahlurnen gehen!"
EX-Präsident und Reformist Mohammad Khatami: „Die Menschen werden nicht mehr auf Wunsch von uns Reformern zu den Wahlurnen gehen!“

 
Der Universitätsprofessor macht die Verfassung des Landes für das Versagen der beiden Lager mitverantwortlich. Das politische System sei so gestrickt, dass die Instanzen, die den Großteil der Macht in der Hand hätten und die meisten und wichtigsten Entscheidungen träfen, nicht direkt von der Bevölkerung gewählt würden. Sie seien niemandem Rechenschaft schuldig und trügen keine Verantwortung, so Zibakalam. Der Teil des Regimes, der durch Wahlen an die Macht käme, hätte dagegen geringeren Einfluss und müsse Rede und Antwort stehen. Damit kritisiert Zibakalam indirekt die absolute Macht des Revolutionsführers Ayatollah Ali Khamenei.
Der Politologe ist der Meinung, dass Ex-Präsident Khatami den richtigen Moment für Kritik verpasst habe und erst sehr spät aktiv geworden sei. Khatami hatte kürzlich dem Parlament und Präsident Rouhani „Tatenlosigkeit und Wortbruch“ vorgeworfen.
Der frühere Präsident, der heute zu den wichtigsten Rückendeckern Rouhanis zählt, hatte sich auch über den geheimdienstlichen Druck auf Medien und Journalist*innen beschwert. „Ich wundere mich, warum eine Regierung, die den Kampf für Bürgerrechte zu ihrem Motto erklärt hat, und ein Parlament, das behauptet, Volk und Verfassung verteidigen zu wollen – zumindest die reformistischen Abgeordneten -, weder etwas sagen noch etwas tun.“ Die Machthaber würden die nationalen Interessen „vernachlässigen“, hatte Khatami moniert.
Kein Vertrauen in „Rettungsschiff“
Neben Zibakalam saß mit Abolghassem Raoufian auch ein konservativer Politiker am Runden Tisch der Agentur IRNA. „Es gab Zeiten, in denen die Bevölkerung die Fundamentalisten und die Reformer als ihre Rettungsschiffe betrachteten. Heute kann man das nicht behaupten“, unterstützte er die Position seines politischen Rivalen Zibakalam. Dies sei das Ergebnis des Verhaltens beider Lager.
Laut Raoufian drehten sich beide nur noch im Kreis und brächten keine neuen Ideen hervor. Man solle „unbestechliche Abgeordnete“ ins Parlament wählen, forderte er. Denn: „Den Abgeordneten, die durch millionenschwere Unterstützungskampagnen Dritter ins Amt gewählt werden, geht es während ihres Mandats nur noch um die Wiedergutmachung dieser Gefallen“, so Raoufian: „Sie taugen nichts.“ Der Iran habe unter der Regierung Rouhani Rückschritte erlitten, so der Konservative: Der massive Wertverlust der Landeswährung und dessen Auswirkungen auf das Leben der Bevölkerung seien ein Beispiel dafür.
Bei den Protesten im Januar 2018 in mehr als 100 iranischen Städten wurden Parolen gegen beide Flügel des Systems gerufen!
Bei den Protesten im Januar 2018 in mehr als 100 iranischen Städten wurden Parolen gegen beide Flügel des Systems gerufen!

 
Wahlen und Referendum?
 Die Aufregung im Vorfeld der Parlamentswahlen öffnet Raum für Diskussionen über andere politische und gesellschaftliche Themen. Sogar ein Referendum wird von einigen Reformern und Gemäßigten in Betracht gezogen. Dieses politische Instrument wurde bislang von den Machthabern strikt abgelehnt.
Diesem Thema ging auch die Nachrichtenseite Khabaronline kürzlich im Gespräch mit dem Vizepräsidenten der parlamentarischen Kommission für Recht und Justiz, Mohammad Kasemi, nach. Auf die Frage, ob zeitgleich mit den Parlamentswahlen auch ein Referendum abgehalten werden könne, antwortete der: „Die Frage ist, warum wir die in der Verfassung verankerte Möglichkeit, das Volk direkt zu fragen, nicht nutzen. Das hat der Präsident vor Kurzem erneut vorgeschlagen. Wir würden keine Probleme bekommen, wenn wir uns an die gesetzlich festgelegten Rahmenbedingungen halten.“
Sowohl ein Teil der regimetreuen Reformer als auch die Regimegegner und -kritiker befürworten ein solches Referendum. Sie haben davon allerdings unterschiedliche Vorstellungen: Während die Regimetreuen dieses Instrument zur Reformierung der Machtstruktur einsetzen wollen, sind die Regimegegner der Meinung, dass dadurch die Legitimität des ganzen politischen Systems überprüft werden solle.
© Iran Journal 2019

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