Fremdwort Geschlechterdemokratie

Doch den Konservativen im Iran ist auch der Vorsprung der Frauen in Sachen Bildung ein Dorn im Auge. Sie fordern bereits Quoten für Männer, um “für ein islamisches Land genügend männliche Ärzte, Pfleger und Lehrer“ auszubilden. Auch andere Hürden sollen Frauen an der Aufnahme eines Studium hindern. Anders als männliche Studienanfänger sollen sie nur an Hochschulen an den Orten aufgenommen werden, wo ihre Eltern wohnen. Da die 2.640 iranischen Hochschulen im ganzen Land, auch in Kleinstädten, verteilt sind, bedeutet dies eine erhebliche Reduzierung der Chance für Frauen, überhaupt zu studieren. Und während Frauen früher lediglich einige Fachrichtungen verschlossen waren – Bauingenieurwesen, Agrarwissenschaften und Geologie, die eine Tätigkeit außerhalb des Wohnortes erforderten – , wurden ihnen nun weitere Fächer verboten und damit eine ganze Reihe von Hochschulen für Frauen zu No-Go-Areas erklärt.

Wer für diese neuen Regeln verantwortlich ist, ist dabei unklar: Keine Behörde war bereit, die Verantwortung zu übernehmen. Das Wissenschaftsministerium erklärte, es mische sich nicht in die Aufnahmeregelungen der Hochschulen ein. Die staatliche Universität für Erdöl wiederum behauptete, sie nehme keine Frauen mehr auf, weil das Erdölministerium keinen Bedarf an weiblichen Absolventinnen habe.

Irans geistlicher Führer Ayatollah Ali Khamenei redet zeitgleich von einer Islamisierung der Hochschulen, und bezeichnet sie als Angelegenheit, “die wichtiger ist als die Nahrung, die wir zum Leben brauchen”. Präsident Rouhani sagt dagegen: “Nirgendwo in der Verfassung ist erwähnt, dass Männer und Frauen in getrennten Räumen oder Hochschulen studieren müssen.“ Die Islamisierung der Hochschulen hänge doch nicht vom Kopftuch der Frauen ab, ergänzte der Präsident, “und der Frage, ob sie ihre Kopftücher dicht am Haaransatz oder ein paar Zentimeter weiter weg tragen”.

Erfolge und Misserfolge

Während der Präsidentschaft Ahmadinedschads schlossen sich Frauenrechtlerinnen zusammen, um gegen diskriminierende Gesetze zu protestieren. Erstmals waren daran Frauen und auch Männer aus diversen politischen Lagern beteiligt, um sich gegen die Benachteiligung von Frauen zu wehren. Bei einer Demonstration im Spätsommer 2006 wurden zahlreiche TeilnehmerInnen, unter anderem die 80-jährige Dichterin Simin Behbahani, mit Schlagstöcke niedergeschlagen, viele wurden festgenommen. Die Idee für die Kampagne für eine Million Unterschriften gegen die rechtliche Benachteiligung von Frauen wurde nach diesem Protestmarsch geboren. Zu den ErstunterzeichnerInnen zählten die Nobelpreisträgerin Shirin Ebadi, bekannte Schriftstellerinnen und Künstlerinnen, aber auch prominente PolitikerInnen der Reformbewegung und der Berlinale-Preisträger Jafar Panahi.

Die verstorbene Dichterin Simin Behbahani vor dem Logo der Kampagne "Eine Million Unterschriften"
Die verstorbene Dichterin Simin Behbahani vor dem Logo der Kampagne „Eine Million Unterschriften“

Eine Broschüre wurde ausgearbeitet, in der alle diskriminierenden Gesetze aufgezählt und erläutert wurden. Frauen und Männer wurden auf der Straßen angesprochen und gebeten, mit ihren Unterschriften für deren Abschaffung zu plädieren, und Frauenrechtlerinnen riefen dazu auf, Eheverträge abzuschließen, die die diskriminierenden Gesetze individuell außer Kraft setzen. Dadurch können Frauen sich schon bei der Eheschließung von ihren Ehemännern eine unwiderrufliche Vollmacht für den Fall geben lassen, dass sie sich scheiden lassen, einen Beruf oder ein Studium aufnehmen wollen. Auch das Recht auf Auslandsreisen oder die Sorgerechte für Kinder können so abgesichert werden.

Daraus wiederum ging die Idee hervor, entsprechende Nebenabreden gleich in die Heiratsurkunde zu integrieren. Das ist mittlerweile umgesetzt: Wer heute heiratet, kann auf seiner Heiratsurkunde eine ganze Reihe von Nebenabreden bereits in entsprechenden Kästchen ankreuzen. Das funktioniert jedoch nicht immer: Mancher unwillige Bräutigam erhebt den Vorwurf, seine künftige Ehefrau denke bereits bei der Hochzeit an Scheidung.

Diskriminierende Gesetze

Viele diskriminierende Gesetze blieben jedoch bis heute erhalten: etwa, dass Frauen nicht als Richterinnen arbeiten dürfen oder nur halb soviel erben wie ihre Brüder. Auch beim im Strafrecht verankerten Blutgeld blieb alles beim Alten: Demnach ist das Leben einer Frau halb soviel wert wie das eines Mannes.

Während solche Ungerechtigkeiten früher damit begründet wurden, dass die Männer die Verantwortung für die Ernährung der Familie tragen, gibt es heute immer mehr Frauen, die arbeiten, Geld verdienen und Alleinverdienerinnen sind. Sie tragen die Verantwortung für die Familie. Auch gibt es immer mehr Frauen, die ihre Ehemänner durch Krieg oder Hinrichtungen verloren haben und ihre Kinder alleine durchbringen müssen. Drogenabhängigkeit und Arbeitslosigkeit sind weitere Gründe, warum Frauen die Hauptlast der Familie tragen müssen.

Mittlerweile wurde die Untragbarkeit solcher Gesetze erkannt und es wird schrittweise an deren Abschaffung gearbeitet. Durch die Etablierung der Nebenabreden in Heiratsurkunden und die Ernennung von Shahindokht Molaverdi, einer anerkannten Frauenrechtlerin, zu Rouhanis Stellvertreterin im Kabinett, ist der Frauenbewegung der Wind weitgehend aus den Segeln genommen – dennoch ist der Weg zur Geschlechterdemokratie noch weit und steinig.

  NASRIN BASSIRI

Auch diese Artikel können Sie interessieren:

Molaverdi fordert Ministerposten für Frauen

Rouhanis Rechenstunde

Odyssee einer Iranerin