Odyssee einer Iranerin

Immer wieder werden im Iran Frauen durch Säureattentate schwer verletzt. Eine von ihnen ist in Berlin gelandet und hofft hier auf ärztliche Hilfe. Die Autorin und Frauenrechtlerin Nasrin Bassiri hat sie getroffen.

Sie kommen aus der westiranischen Stadt Kermanshah und sind seit kurzem in Berlin. Die Mutter, Mitte 50, betreut in einer kleinen Wohnung ihre 40-jährige Tochter Zivar. Die trägt in dem schwach beleuchteten Raum eine Sonnenbrille, denn ihr Gesicht samt beider Augen ist durch Säure vollständig zerstört. Die Attacke hat an ihrem ganzen Körper Spuren hinterlassen.

Zivar ist in den vergangenen Jahren bereits mehrfach operiert worden. Einmal bekam ihr Auge eine künstliche Hornhaut und sie konnte für kurze Zeit wieder Konturen erkennen. Doch bald wurde das künstliche Organ vom Körper abgestoßen, Zivars Augenlicht verschwand erneut. Nun kann sie lediglich grelles Licht von Dunkelheit unterscheiden.

Die Mutter folgt ihrer Tochter wie ein Schatten. Sie leidet selbst unter mehreren Krankheiten und hat ihren 85-jährigen Mann in Teheran allein gelassen, um Zivar nach Deutschland zu begleiten, wo sie auf eine Augenoperation hofft.

Mit 13 verheiratet

Zivar ist in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Ihr Vater war Gelegenheitsarbeiter. Mal hat er als Wächter, mal auf dem Bau gearbeitet und mit Mühe die Familie über die Runden gebracht. So war er froh, als ein Mann um Zivars Hand hielt. Da war sie 13 Jahre alt und in der fünften Klasse. Die Heirat wurde arrangiert und das Brautpaar zog in die Hauptstadt der Provinz Ilam. „Wir blieben aber nicht lange dort, sondern sind bald nach Kermanshah gezogen, wo meine Eltern lebten. Die Kinder sind dort geboren und in die Schule gegangen“, erzählt Zivar.

Wegen der Verletzungen zeigt Zivars Gesicht keine Regung, wenn sie redet, aber ihre Stimme wird weich, wenn sie von ihren Mann spricht: “Ein guter Mann und ein liebevoller Vater“, sagt sie. “Wir haben 20 Jahre lang zusammengelebt und waren glücklich.“ Drei Kinder hat sie großgezogen. Sie kannte keine

finanzielle Not, denn ihr Mann war im öffentlichen Dienst tätig und hatte anders als ihr Vater ein regelmäßiges Einkommen.

Mit 33 Witwe

Doch das ruhige Leben nimmt ein plötzliches Ende, als Zivars Mann stirbt. „Ich war gerade 33 Jahre alt geworden. Meine Tochter war 16, die Söhne waren 9 und 2 Jahre alt.“ Nach dem Tod ihres Mannes kommen die Schwiegereltern und ihre Söhne nach Kermanshah und drängen Zivar, mit den Kindern in die kleine Ortschaft Sarable zu ziehen. „Es gehört sich nicht, wenn eine junge Witwe alleine mit ihren Kindern in einer Stadt wie Kermanschah wohnt“, legten sie ihr nahe.

Zivar in den glücklichen Jahren
Zivar in glücklichen Jahren

Kermanshah hat knapp eine Millionen EinwohnerInnen. Zivars Eltern waren längst nach Teheran gezogen. Sie bekam eine kleine Hinterbliebenenrente – umgerechnet 130 Euro – und brauchte keine Unterstützung von der Familie ihres Mannes. Doch die bedrängte sie so lange, bis sie nachgab und nach Sarable zog.

Dort wohnte sie mit ihren Kindern und den Schwiegereltern in einem kleinen Haus, das nur zwei Wohnräume und kaum Platz für zwei Familien hatte. „Die Kinder kamen in der Dorfschule nicht zurecht und haben sich ständig beklagt“, erzählt Zivar. Außerdem habe die Schwiegermutter gewusst, an welchem Tag Zivar die Rente abholte, und wollte ihren Anteil haben. „Sie meinte, sie habe dazu ein Recht, denn es handele sich um den Verdienst ihres Sohnes“, so Zivar.

Sie hielt den Platzmangel nicht lange aus und zog in das Haus eines ihrer Schwäger: „Aber auch dort ging es uns nicht gut, weil meine Kinder sich nicht mit seinen Kindern vertragen haben. Wir mussten ein zweites Mal umziehen. Dieses Mal sind wir zu einem anderen Bruder gezogen, der arbeitslos und drogenabhängig war.“

Dort nimmt ein neues Problem seinen Lauf: Ein dritter Schwager, Esfandiar, verheiratet, macht Zivar einen Heiratsantrag. Er ist Lehrer an einer Grundschule. Zivar lehnt ab: „Ich habe ihm gesagt: Du hast doch eine Frau und ich möchte nach meinen Mann, den ich sehr liebte, keinen anderen Mann in mein Leben lassen. Ich möchte meine Ruhe haben und mich um meine Kinder kümmern.“

In den iranischen Provinzen ist es üblich, dass ein Mann die Witwe seines Bruders heiratet. Denn viele Frauen sind nach dem Tod des Mannes auf Hilfe angewiesen. Aber Zivar wollte das nicht: „Ich wusste, dass ich mit der Heirat meine Selbständigkeit verlieren würde und für immer im kleinen Dorf bei der Familie meines Mannes bleiben müsste.“

Zivar aber wollte weg aus Sarable und nach Kermanshah ziehen. Ihr war jedoch klar, dass die Familie ihres verstorbenen Mannes sie nicht gehen lassen würde. Da kommt ein weiterer Heiratsantrag zu Hilfe: Ein Mann aus Kermanshah hält um die Hand von Zivars Tochter, die nun 18 Jahre alt ist, an. Bald kommt es zur Verlobung und Zivar hofft, durch die Heirat auch mit nach Kermanshah zu kommen.

Ereignis mit tödlicher Folge

„Meine Tochter war glücklich über die Heirat und darüber, dass wir Sarable endlich den Rücken kehren würden“, erinnert sich Zivar. Sie zuckt leicht, wenn sie von jener Nacht vor knapp fünf Jahren berichtet: „Wir lebten im Haus meines Schwagers Yadegar. Meine Tochter Yarsi sagte mir vor dem Einschlafen, ihr Onkel und seine Frau verhielten sich merkwürdig. Sie hätten einige Male nachgeschaut, ob wir eingeschlafen seien.“ Doch Zivar beruhigt ihre Tochter. Sie vermutet nichts Schlimmes.

„Um vier Uhr in der Frühe bin ich dann durch ein starkes Brennen am ganzen Körper aufgewacht. Ich schrie und rannte wie wild umher. Yadegar und Esfandiar standen mit einem Säurebehälter da. Sie hatten mich und meine Tochter Yasri, die neben mir geschlafen hatte, attackiert. Meiner Tochter hatten sie den Hals und die Brust verätzt. Wahrscheinlich wollten sie ihr eine Lektion erteilen, denn sie hatte mich oft gegen die Angriffe der Familie in Schutz genommen“.

Zivar glaubt, dass auch ihre Schwiegermutter und der Rest der Familie von dem Vorhaben gewusst und es geduldet haben. Sie seien wütend gewesen, weil Zivar sich geweigert hatte, Esfandiars zweite Frau zu werden, weil sie weggehen und sich der Kontrolle der Familie entziehen wollte.

Späte Hilfe

Da es im Dorf keine Möglichkeit zur Behandlung von Säureopfern gibt, wurden Zivar und ihre Tochter erst in die Provinzhauptstadt und dann nach Teheran gebracht. „Meine Tochter war schwer verletzt. Eine ihrer Brüste war völlig zerstört. Wir waren mit den Verbrennungen fast 24 Stunden unterwegs, bis wir in der Teheraner Klinik ankamen. Zu spät, um meine Yasri zu retten. Nach 18 Tagen erlag sie ihren Verletzungen.“ Zivar ist Diabetikerin. Die Ärzte in Teheran hatten ihrer Familie gesagt, die Wunden hätten kaum Aussicht auf Heilung und sie würde möglicherweise nicht überleben. Doch sie schaffte es.

Das Strafmaß der Täter

Zivar kurz vor der Säureattacke
Zivar kurz vor dem Säureattentat

Der Haupttäter Esfandiar wurde verhaftet und nach zwei Jahren gegen Kaution freigelassen. Zurzeit unterrichtet er an einer Grundschule in der Provinzhauptstadt Ilam. Warum sich der Prozessbeginn solange hinzieht, warum der Täter frei ist und arbeiten darf, weiß Zivar nicht. Wahrscheinlich wird es in naher Zukunft zu einer Verhandlung gegen Esfandiar kommen. Iranische Gesetze sehen bei vorsätzlicher Tötung oder Körperverletzung das Vergeltungsprinzip vor. Der Täter soll erleiden, was er seinem Opfer angetan hat. Sollte Esfandiar der vorsätzlichen Körperverletzung schuldig gesprochen werden, wird Zivar sehr wahrscheinlich das Recht zugesprochen, durch Säure eines seinen Augen und die Hälfte seines Gesichtes zu zerstören. Vor dem iranischen Gesetz ist eine Frau halb soviel wert wie ein Mann. Aber durch die Attacke ist Zivars Tochter zu Tode gekommen. Deshalb ist sie gespannt, wie das Urteil lauten wird.

Wer zahlt die Behandlung?*

Zivar ist durch ihren verstorbenen Mann krankenversichert. Das hat ihr aber wenig genutzt. Die Ärzte haben ihr teure Medikamente verschrieben. Eine Spritze kostet umgerechnet etwa 250 Euro – doppelt so viel wie ihre Hinterbliebenenrente.

Ihr Vater ist selbst auf Hilfe angewiesen und ihre Geschwister – fünf Brüder und drei Schwestern – haben geringe Einkommen.Trotzdem sind sie bisher für die teuren Medikamente aufgekommen. Sie haben sich dafür verschulden müssen. „Sie alle haben meinetwegen gelitten. Ich wurde sieben Monate lang aufwendig behandelt, um am Leben zu bleiben“, berichtet Zivar.

Auch staatliche Institutionen und Wohlfahrtsverbände hätten ihr finanziell geholfen, erzählt Zivar: „Einmal habe ich von einem Wohlfahrtsverband 1.300 Euro zinsloses Darlehen erhalten, das ich in kleinen Raten zurückzahle. Doch in Anbetracht der vielen Operationen, die ich über mich ergehen lassen musste, und der teuren Medikamente war das ein Tropfen auf den heißen Stein.“

Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus wurde Zivar einige Zeit durch eine Krankenschwester behandelt. Doch die Kosten von monatlich 130 Euro konnte sie nicht lange aufbringen. Seitdem wird sie von ihrer an der Arthrose erkrankten Mutter betreut: „Es war für sie eine Qual, mich jeden Tag leiden zu sehen.“

Kürzlich kamen Frauen, die sich um von Gewalt betroffene Frauen kümmern, auf die Idee, Zivar zur Behandlung nach Europa zu schicken. Nun sitzt sie mit einem viermonatigen Visum für Behandlungszwecke in der Berliner Wohnung. Sie hat diverse Leiden am ganzen Körper. Doch Zivars größter Wunsch ist, wenigstens etwas Sehvermögen wiederzugewinnen: „Ich möchte so gerne meine Kinder wachsen sehen.“

  NASRIN BASSIRI**

*Da Zivar in Deutschland nicht versichert ist, muss sie die Kosten für die Augenoperation aus eigenen Mitteln bestreiten. Wie Sie sie dabei unterstützen können, erfahren Sie durch Iran Journal: redaktion@iranjournal.org.

**Dr. Nasrin Bassiri ist Autorin, Journalistin und Frauenbeauftragte an der Kunsthochschule Weißensee in Berlin.

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