Staatstreue und Exilfeministinnen: ungewöhnliche Allianz

Aktivistinnen der Frauenbewegung im Iran, die in den vergangenen zehn Jahren das Land verlassen mussten, hätten heute dieselben Prioritäten wie regimetreue Feministinnen, schreibt die Frauenrechtlerin Mahboubeh Abbasgholizade. Gemeinsam hätten sie die internationale Gemeinschaft davon überzeugt, dass Sanktionen und Krieg gegen den Iran nicht den Machthabern, sondern Frauen und Kindern schaden würden.

Als die iranische Vizepräsidentin für Frauen- und Familienangelegenheiten Shahindocht Molaverdi im März 2015 an der 59. Sitzung der Frauenrechtskommission der Vereinten Nationen in New York teilnahm, brach eine heftige Diskussion zwischen ihren BefürworterInnen und KritikerInnen innerhalb und außerhalb des Iran aus. Zu Empörung in der Exil-Opposition führte die Tatsache, dass einige Frauenaktivistinnen, die sich in den vergangenen Jahren ins Exil begeben mussten, die Vertreterin der Islamischen Republik unterstützten. Inländische Politikerinnen aus dem Lager der islamischen Hardliner dagegen warfen der reformistischen Vizepräsidentin „Missachtung der nationalen Interessen“ vor: Sie lasse sich von den Exil-Feministinnen beeinflussen.

Seitdem wird über die Frage gestritten: Vertreten die staatstreuen Feministinnen die Position der Exil-Frauenrechtlerinnen oder unterstützen die Exil-Feministinnen die staatlichen Aktivistinnen?

Tatsache ist, dass sich die Mehrheit der Exil-Oppositionellen, darunter auch die Feministinnen, um gewisse Gefahren wie den Ausbruch eines Kriegs gegen den Iran oder die Rückkehr der internationalen Sanktionen Sorgen macht. Aus diesen Gründen haben die Exil-AktivistInnen bisher der Sicherheit im Iran mehr Gewicht zugeteilt als der demokratischen Entwicklung im Lande. Sie vertreten die Ansicht, dass Sanktionen gegen den Iran auch Restriktionen gegen iranische Frauen bedeuten und so vor allem Frauen und Kindern schaden. Die gleiche Meinung vertrat Vizepräsidentin Molaverdi bei der UN-Sitzung im März 2015.

Demokratie und Sicherheit in der Region

Aber wie zentral ist überhaupt die Frage „Sicherheit oder demokratische Entwicklung“ und woher stammt der Diskurs?

Auf der zivilgesellschaftlichen Ebene werden seit dem sogenannten Arabischen Frühling im Jahr 2011 internationale zwei Ansatzpunkte diskutiert:

  1. die Notwendigkeit der demokratischen Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten, und
  2. die Notwendigkeit der Herstellung der Sicherheit in der Region.
Shahindokht Molaverdi (re.) bei der UN-Sitzung in New York (März 2015)
Shahindokht Molaverdi (re.) bei der UN-Sitzung in New York (März 2015)

Vom Arabischen Frühling bis zur Machtübernahme des sogenannten Islamischen Staates in der Region dienten die Entwicklungsprojekte im Bereich Frauen hauptsächlich der demokratischen Entwicklung und der Gleichberechtigung. Seitdem die Region jedoch in Krieg und Chaos versunken ist, konzentrieren sich die AktivistInnen auf die Sicherheit der Frauen und Kinder und auf die Flüchtlingsfrage.

Auch ein Teil der iranischen Feministinnen, die einst wegen ihrer Aktivitäten den Iran verlassen mussten, sah diese Notwendigkeit ein und konzentrierte sich nunmehr auf die Abwehr der Kriegsgefahr. Ihre Integration in den Gastgeberländern änderte auch ihren Blickwinkel: Sie kritisierten nicht mehr allein die Tyrannei und Diktatur im Iran, sondern auch die aggressive Außenpolitik der Regierungen ihrer Exilländer.

Taktische Verbündete

In einem Interview fragte ich eine Exil-Feministin, die sich als links-progressiv betrachtet, wieso ihre Einstellung und die ihrer GedankengenossInnen bezüglich der Sanktionen und der regionalen Sicherheit der staatlicher Feministinnen im Iran ähnelt?

Ihre Antwort: Sie halte die staatstreuen Feministinnen für „taktische Verbündete“, die auf dem Weg zur Gewährleistung der regionalen Sicherheit und zur Abwehr von Krieg und Sanktionen unterstützt werden sollten. Eine andere Aktivistin, die sich für liberal hält, zählt die Vizepräsidentin Molaverdi und ihre Stellvertreterin Ashraf Geramizadegan zur Frauenbewegung: „Sie verdanken ihre Posten unserem Druck auf die Regierung. Sie sind unsere Interessenvertreterinnen in der Regierung“, so die Exil-Feministin. Sie solle man unterstützen und stärken, sonst seien die Frauen die ersten Leidtragenden, falls der Iran unter Druck geraten würde.

Es hat den Anschein, als stelle ein beachtlicher Teil der Exil-Aktivistinnen, sowohl die Liberalen als auch die Links-Progressiven, die regionale Sicherheit und den Druck von Außen über ihre eigentliche Sorge, die Gleichberechtigung – und verfolge somit denselben Kurs wie die staatstreuen Feministinnen im Iran.

Identitätsfrage und Integration

Frauen in Teheran fordern gleiche Rechte in Bildung und Beschäftigung
Frauen in Teheran fordern gleiche Rechte in Bildung und Beschäftigung

Das ist jedoch gegen die Forderungen der unabhängigen Feministinnen im Iran, nämlich die rechtliche Gleichberechtigung. Ihre Aktivitäten richten sich gegen den politischen Druck im Iran.

Aber warum treibt der ausländische Druck die Exil-Feministinnen zur Änderung ihrer Priorisierung?

Die Identitätspolitik ist ein Grund. Die Umstände im Gastgeberland können dazu beitragen, dass Minderheiten zusammenrücken und eine neue Identität annehmen. Besonders deutlich zu beobachten ist dies bei den Migranten, die zum einen eine gesellschaftliche Entwicklung anstreben und zum anderen sich tiefer und schneller in die neue Gesellschaft integrieren.

Mit der Zeit und in Interaktion mit der Gastgebergesellschaft verändern sich die Exil-Feministinnen allmählich. Nicht mehr das religiöse fundamentalistische System, mit dem sie sich einst im Iran angelegt hat, ist der politische Feind. Ihre Gegner sind hier „der internationale Kapitalismus“ und jene Weltmächte, die ihrer Meinung nach die Entwicklungsländer angreifen. Nach und nach stehen die gesellschaftlichen Diskriminierungen, die Verteidigung der Rechte der MigrantInnen und die Gerechtigkeit innerhalb der Gastgebergesellschaft im Vordergrund. Sogar die Probleme im Iran werden aus der neu gewonnenen Perspektive analysiert.

Das Herkunftsland nicht vergessen

Dennoch hat der Großteil der Exil-Iranerinnen in den letzten zehn Jahren bei der Entwicklung einer besonderen weiblichen Art des Dialogs gegen Sanktionen und Krieg eine exorbitante Rolle gespielt. Sie transportieren diesen Diskurs in die Mitte der Gesellschaft. Die durch die Interaktion mit der Gastgebergesellschaft entstandene Perspektive und der freie Informationszugang ermöglichen eine klarere und präzisere Analyse der Sanktionen und eines möglichen Kriegs gegen den Iran. Die staatstreuen Feministinnen haben die Antikriegshaltung und Antisanktionsposition der Frauenbewegung im Ausland übernommen und damit die internationale Gemeinschaft überzeugt, dass unter den Sanktionen nicht die Regierenden, sondern einfache Menschen, Frauen und Kinder, leiden.

  MAHBOUBEH ABBASGHOLIZADEH

  Aus dem Persischen übertragen von Iman Aslani

Zur Person: Die iranische Frauenrechtlerin Mahboubeh Abbasgholizadeh ist Gründerin und Leiterin des Fernsehsenders Zanan TV (Frauen TV) und des daran angeschlossenen NGO-Trainingscenters. Wegen ihres Engagements in der iranischen Frauenbewegung wurde sie mehrfach inhaftiert und nach ihrer Ausreise aus dem Iran in Abwesenheit zu 30 Monaten Zuchthaus und 30 Peitschenhieben verurteilt. Seither setzt sie ihre Aktivitäten für Frauenrechte und demokratische Entwicklung der Zivilbevölkerung des Mittleren Ostens vom Ausland aus fort.

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