„Die andere Stimme“ im Iran

Was bewegt die Frauen im Iran? Welche Themen sind nach wie vor tabu im Gottesstaat? Eine Radiosendung aus dem Exil gibt iranischen Frauen eine Stimme und thematisiert ihre Probleme. Mehr dazu in einem Interview mit der Macherin der Sendung, der iranischen Exil-Journalistin Roya Karimi Majd.
Genitalverstümmlung, Gewalt gegen und staatlich verordnete Zwangsrollen für Frauen – das sind nur einige der vielen Themen, die Roya Karimi Majd in ihrer persischsprachigen Radiosendung anspricht. „Sedaye digar“, auf deutsch „Die andere Stimme“, wird seit 2009 wöchentlich von „Radio Farda“ in Prag ausgestrahlt und erreicht viele Menschen in der Islamischen Rebpublik. Iran Journal hat die Macherin der Sendung zu ihrer Arbeit und ihren Erfahrungen befragt.
Frau Karimi Majd, warum ein Radiomagazin speziell für Frauen?
Roya Karimi Majd: Radio Farda ist ein professioneller Sender mit verschiedenen Formaten. Mit der Zeit wurde den Verantwortlichen klar, dass es ein eigenständiges Format braucht, um die Komplexität der Frauenthemen im Iran abbilden zu können.
Welche Frauen wollen Sie ansprechen?
Die meisten Reaktionen erhalte ich aus dem Iran und zwar aus der Randbezirken der Großstädte, aus Kleinstädten und Dörfern – also von dort, wo das Radio nach wie vor die Hauptinformationsquelle der Menschen ist. So gesehen richtet sich meine Sendung an Hausfrauen, ArbeiterInnen und Frauen mit niedrigem Bildungsstand. AkademikerInnen haben meist Zugang zum Internet oder kaufen Zeitschriften. Aus Erfahrung weiß man, dass sie das Lesen vorziehen.
Welches Thema beschäftigt Ihre ZuhörerInnen am meisten?

"Noch heute sehen viele Ehefrauen es etwa als selbstverständlich an, wenn ihr Ehemann ihnen verbietet, zu arbeiten!"
„Noch heute sehen viele Ehefrauen es etwa als selbstverständlich an, wenn ihr Ehemann ihnen verbietet, zu arbeiten!“

Ganz oben steht das Thema Gewalt gegen Frauen. Wie wir wissen, gibt es viele Arten dieser Gewalt, physische und psychische. Darüber ist viel Aufklärung nötig. Denn oft wissen die Frauen nicht, was alles dem Begriff „Gewalt“ zuzuordnen ist. Noch heute sehen viele Ehefrauen es etwa als selbstverständlich an, wenn ihr Ehemann ihnen verbietet, zu arbeiten. Auch sexuelle Misshandlung innerhalb der Familie gehört dazu, was von den Verantwortlichen im Iran immer wieder geleugnet wird: Denn angeblich kommt so etwas in einem islamischen Staat nicht vor. In meiner Sendung habe ich erstmals in einem persischsprachigen Radioprogramm mit einer Betroffenen gesprochen, die jahrelang von ihrem Onkel sexuell missbraucht wurde. Danach erhielt ich viele Rückmeldungen aus dem Iran. Die meisten Frauen fanden es sehr wichtig, mehr über das Thema zu berichten.
Was finden Ihre Hörerinnen noch wichtig?
An zweiter Stelle steht die Frage nach den vom Staat vorgeschriebenen Rollenbildern für Frauen. Staatsoberhaupt Ayatollah Ali Khamenei wirbt seit 2012 für mehr Geburten und hat den Familien- und Gesundheitszentren im Iran verboten, kostenlos Verhütungsmittel zu verteilen. Das betrifft die ärmeren Schichten der Gesellschaft, die sich keine Verhütungsmittel leisten können. Laut Khamenei sollen Mädchen so früh wie möglich heiraten und die Rolle einer gehorsamen Hausfrau und die Kindererziehung als ihre Lebensaufgabe betrachten. So wurde jungen Frauen im Namen der „Einhaltung der islamischen Familienwerte“ in den vergangenen Jahren der Weg in die Selbständigkeit immer mehr erschwert.
Welche Geschichte hat Sie selbst am meisten beschäftigt und warum?
Das war vor Jahren ein Gespräch mit einer Frauenaktivistin aus dem Iran. Dabei hörte ich zum ersten Mal, dass es in manchen Gebieten Kurdistans weibliche Genitalverstümmelung gibt. Sie hatte mit anderen Frauen über das Thema recherchiert und stellte den Kontakt zu zwei betroffenen Frauen her, die bereit waren, mit mir über ihre Geschichte zu sprechen – eine Mutter und ihre älteste Tochter. Die Mutter berichtete, dass sie, ihre drei Schwestern und ihre erste Tochter genital verstümmelt wurden. Sie schilderte mir ihre Erfahrung sehr detailliert und sprach offen über ihre Emotionen, auch darüber, wie ihre sexuelle Beziehung zu ihrem Ehemann durch diese Verstümmlung litt und wie ihre Schwiegermutter sie zwang, ihre älteste Tochter ebenfalls genital zu verstümmeln. Es war für mich das fesselndste Gespräch überhaupt. Danach habe ich mit ihrer Tochter gesprochen, einer jungen Studentin, die als Kind dieses Leid über sich ergehen lassen musste.
Wie kommt es, dass dieses Thema selbst Ihnen, die seit Jahrzehnten über Frauen berichtet, solange unbekannt war?
Genitalverstümmelung wurde immer sehr heimlich und unter Frauen geregelt. Bei meinen Recherchen erfuhr ich, dass die sogenannte Beschneiderin einmal im Jahr in die Dörfer kommt, die die Verstümmlung praktizieren. Dann versammeln die Frauen einige Mädchen aus dem Dorf in einem Haus. Sie werden in einem Zimmer hintereinander genital verstümmelt.
Wie waren die Reaktionen auf Ihre damalige Sendung?
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