Die Rolle der Justiz bei Schikanen gegen Baha’i

In der Islamischen Republik Iran ist die Justiz laut Verfassung eine Institution, die unparteilich Gerechtigkeit und Rechtssicherheit garantieren soll. Für die Glaubensgemeinschaft der Baha’i in Iran jedoch ist sie seit Jahrzehnten kein Schutz mehr, sondern eines der zentralen Instrumente staatlicher Repression. Eine aktuelle Stellungnahme der Internationalen Baha’i-Gemeinde und der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch dokumentiert eine beispiellose Welle willkürlicher Festnahmen, harter Hafturteile und systematischer Vermögensbeschlagnahmungen und zeichnet damit ein düsteres Bild der Funktionsweise der iranischen Justiz: das Bild einer Institution, die nicht das Recht schützt, sondern aktiv an der Marginalisierung und Zermürbung einer religiösen Minderheit mitwirkt.

Neue Repressionswelle: Nachwirkungen einer politischen Krise

Der Stellungnahme zufolge hat sich die Verfolgung von Baha’i mit der Verschärfung der militärischen und politischen Spannungen zwischen Iran und Israel seit Juni 2025 deutlich intensiviert. Die Behörden der Islamischen Republik, die die Angehörigen der religiösen Minderheit bereits zuvor strukturell mit einem „ausländischen Feind“ in Verbindung gebracht hatten, nutzten das verschärfte Sicherheitsklima nun, um noch stärkere Repression zu legitimieren.

„Es gibt keinen Bereich im Leben der Baha’i in Iran, der nicht von schweren Menschenrechtsverletzungen und völkerrechtlich relevanten Straftaten betroffen ist“, sagt Bahar Saba, leitende Forscherin für Iran und Kuwait bei Human Rights Watch. Diese Einschätzung spiegelt sich auch in den in der Erklärung genannten Zahlen wider: Von Juni bis November 2025 wurden in verschiedenen Regionen Irans mehr als 750 Fälle von Schikanen und Verfolgung von Baha’i registriert – dreimal so viele wie im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Dazu zählen über 200 Razzien in Wohnungen und Geschäftsräumen, die Festnahme von mindestens 110 Personen sowie Hafturteile zwischen zwei und zehn Jahren gegen mehr als 100 Menschen durch Revolutionsgerichte.

 

 
 
 
 
 
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 

Ein Beitrag geteilt von Bahar Saba (@bahar___saba)

 Die Zahlen sind erschütternd. Doch das vollständige Ausmaß wird erst sichtbar, wenn man auf die individuellen Lebensgeschichten hinter diesen Statistiken blickt.

Festnahmen, Ungewissheit, Zermürbung

Am 12. November 2025 stürmten Sicherheitskräfte das Haus von Farhad Fahandej in Gorgan im Norden Irans. Die Wohnstätte wurde durchsucht, persönliche Gegenstände beschlagnahmt, Fahandej ohne Vorlage eines Haftbefehls festgenommen. Wochenlang wusste seine Familie nicht, wo er sich befand, welcher Vorwurf gegen ihn erhoben und unter welchen Bedingungen er festgehalten wurde – eine Situation, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllen kann, das im internationalen Recht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit kodifiziert.

Farhad Fahandej ist den Justizbehörden der Islamischen Republik kein Unbekannter: Bereits zuvor hatte er allein wegen seines Baha’i-Glaubens 15 Jahre im Gefängnis verbracht. Seine erneute Festnahme zeigt, dass für viele Baha’i das Ende einer Haftstrafe nicht das Ende der Verfolgung bedeutet. Weitere bekannte Beispiele sind Fariba Kamalabadi und Mahvash Sabet (Shahriari), die jeweils zehn Jahre in Haft saßen und kurz nach ihrer Entlassung Anfang 2023 erneut zu weiteren zehn Jahren Gefängnis verurteilt wurden.

Harte Urteile, leere Verfahren

Ein weiteres Beispiel für den endlosen Kreislauf unfairer Verfahren ist Anisa Fanaeian, eine Baha’i aus Semnan. Sie war bereits zuvor wegen ihres Glaubens inhaftiert gewesen und ist im November 2025 von der 10. Kammer des Berufungsgerichts in Semnan in Zentralirans erneut zu acht Jahren Gefängnis verurteilt worden – obwohl der Oberste Gerichtshof das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und eine Neuverhandlung angeordnet hatte.

Anisa Fanaeians Onkel, Ataollah Rezvani, ein Baha’i aus Bandar Abbas, war im September 2013 von Unbekannten entführt und mit einem Kopfschuss getötet worden. Zuvor war er mehrfach vom Geheimdienst vorgeladen und bedroht worden und hatte wiederholt anonyme Drohanrufe erhalten.

Sie sind nicht Angeklagte – sie sind schuldig

In einem der beunruhigendsten Fälle haben die Justizbehörden in Shiraz Verfahren gegen 26 Baha’i wieder aufgenommen. Diese waren nach Aufhebung ihrer Urteile im Jahr 2022 und auf Anordnung des Obersten Gerichtshofs in einem neuen Verfahren freigesprochen worden. Dennoch wurden die Akten auf Antrag eines ehemaligen hochrangigen Justizbeamten erneut geöffnet.

Bei einem der Treffen soll dieser Beamte den Verteidiger beschimpft und gesagt haben: „Ihre Mandanten sind keine Angeklagten, sie sind schuldig.“ Ein Satz, der die religiöse Vorverurteilung innerhalb der iranischen Justiz deutlicher beschreibt als jedes offizielle Dokument.

Frauen im Fokus der Repression

In den vergangenen Monaten richtete sich die Verfolgung der Baha’i in besonderem Maße gegen Frauen. In Hamedan im Zentrum des Landes wurden am 26. Oktober 2025 sechs Baha’i-Frauen – Neda Mohammadi, Atefeh Zahedi, Farideh Ayubi, Nora Ayubi, Zarindokht Ahadzadeh und Zhaleh Rezaei – zur Vollstreckung von Haftstrafen zwischen sechs und sieben Jahren festgenommen. Einige von ihnen sind Mütter kleiner Kinder.

Auch in der Metropole Isfahan wurden Hafturteile zwischen fünf und zehn Jahren gegen zehn Baha’i-Frauen bestätigt. Diese Entwicklung zeigt die zunehmende Doppelbelastung von Baha’i-Frauen – als Angehörige einer religiösen Minderheit sowie auch aufgrund ihres Geschlechts. Zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen zählen unter anderem die Organisation von Englisch-, Mal-, Musik- und Yogakursen sowie Naturausflügen für benachteiligte Kinder und Jugendliche aus Iran und Afghanistan.

Gewalt, Haft, Enteignung

Nahid Behrouzi in Karaj steht exemplarisch für das Zusammenspiel von physischer Gewalt und justizieller Willkür. Sicherheitskräfte nahmen sie ohne Haftbefehl gewaltsam in einer Unterführung nahe der Metrostation Karaj fest; Angehörigen zufolge war ihre Nase danach blutig und geschwollen. Sie verbrachte 65 Tage in Haft, ohne Zugang zu einem Anwalt oder angemessener medizinischer Versorgung zu bekommen. Das Gericht verurteilte sie ohne belastbare Beweise zu fünf Jahren Gefängnis und ordnete die Beschlagnahmung ihres persönlichen Eigentums an.

Enteignung als Strategie

Die wirtschaftliche Entrechtung der Baha’i ist ein integraler Bestandteil der Repression. In Isfahan wurden Vermögenswerte von mindestens 20 Baha’i – darunter Häuser, Fahrzeuge und Bankkonten – ohne faires Verfahren beschlagnahmt.

Die jüngsten Enteignungsurteile ergingen auf Anordnung von Morteza Barati, Richter an den Revolutionsgerichten in Isfahan, der bereits wegen Menschenrechtsverletzungen von der Europäischen Union sanktioniert wurde. Er hatte angekündigt, sämtliche Vermögenswerte der Baha’i in Isfahan enteignen zu wollen, und den Mitgliedern der Glaubensgemeinschaft gedroht: „Wenn das Gericht nach Artikel 49 zusammentritt, werden wir euer Leben zerstören.“ Artikel 49 der Verfassung der Islamischen Republik schreibt vor, dass der Staat Vermögen einziehen muss, das durch „Wucher, Bestechung, Diebstahl oder andere unrechtmäßige Handlungen“ erlangt wurde.

 Eine alte Politik mit neuem Gesicht

So neu und intensiv die aktuelle Repressionswelle auch ist – ihre Wurzeln reichen Jahrzehnte zurück. Vertrauliche Regierungsdokumente aus dem Jahr 1990 belegen eine gezielte und systematische Politik zur Eliminierung der Baha’i, an deren Umsetzung die Justiz maßgeblich beteiligt ist.

Simin Fahandej, Vertreterin der Internationalen Baha’i-Gemeinde bei den Vereinten Nationen in Genf, sagt dazu: „Ein Justizsystem, das Gerechtigkeit und Unparteilichkeit gewährleisten und Schutz vor Repression bieten sollte, fungiert stattdessen als Waffe zur Verfolgung von Baha’i, Andersdenkenden sowie religiösen und ethnischen Minderheiten im Iran. Die iranische Justiz zeigt Fall für Fall, dass sie nicht bereit ist, der grundlegenden Aufgabe eines rechtsstaatlichen Organs – der Förderung von Gerechtigkeit – nachzukommen.“

Abwesende Gerechtigkeit

Bahar Saba, Forscherin bei Human Rights Watch, bezeichnet die Verfolgung der Baha’i als ein „fortdauerndes Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und betont, dass alle daran beteiligten Verantwortlichen – einschließlich Richter und Staatsanwälte – zur Rechenschaft gezogen werden müssten.

Für Baha’i im heutigen Iran ist das Gericht kein Ort der Rechtsdurchsetzung, sondern eine Bühne für institutionalisierte Vorverurteilung, Urteile sind nicht Ergebnisse einer unabhängigen Prüfung, sondern die Umsetzung einer vorab festgelegten politischen Linie. Solange sich diese Strukturen nicht ändern, kann jede Repressionswelle nur der Auftakt zur nächsten sein – mit neuen Namen, aber demselben Leid.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in persischer Sprache auf der Plattform Aasoo.