Sündenböcke des Regimes: wie die Baha’i erneut ins Visier geraten
Nach dem Waffenstillstand mit Israel verschärft die Islamische Republik Iran ihre Repression im Innern – besonders gegen die Baha’i. Hausdurchsuchungen, Verhaftungen und mediale Hetzkampagnen treffen die religiöse Minderheit. Ein altbekanntes Feindbild wird neu instrumentalisiert.
Von Pooyan Mokari
Wenige Tage nach Eintreten der Waffenruhe zwischen der Islamischen Republik Iran und Israel bleibt die Lage in zahlreichen iranischen Städten angespannt. Aus dem ganzen Land mehren sich Berichte über verschärfte Sicherheitsmaßnahmen: Kontrollpunkte mit starker Präsenz der Revolutionsgarden, verstärkte Patrouillen der Basij-Milizen, drastische Einschränkungen des Internetzugangs sowie zunehmende Drohungen gegen Journalist*innen und Aktivist*innen. Seit Beginn der Kampfhandlungen hat das Regime zudem mindestens sechs Menschen unter dem Vorwurf der „Spionage für Israel“ hinrichten lassen.
Der staatliche Rundfunk sendet unterdessen nahezu täglich inszenierte „Geständnisse“ vermeintlicher Spione. In offiziellen Medien und sozialen Netzwerken, vor allem von regimetreuen Hardlinern, wird dabei immer wieder eine religiöse Minderheit ins Zentrum der Anschuldigungen gerückt: die Baha’i.
Während des Kriegs und auch in den Tagen nach der Waffenruhe durchsuchten Sicherheitskräfte in zahlreichen Städten und Dörfern die Wohnungen von Dutzenden Baha’i. Nur wenige Stunden nach Bekanntgabe der Waffenruhe wurden zwei Angehörige der Glaubensgemeinschaft in der Stadt Schiras im Süden des Landes festgenommen, ein weiterer wurde später in Juybar im Norden Irans, ein vierter in Isfahan im zentralen Iran festgenommen.
Wer sind die Baha’i?
Die Baha’i sind die größte nicht-muslimische Religionsgemeinschaft im Iran. Seit ihrer Entstehung vor etwa 150 Jahren – und besonders seit der Islamischen Revolution von 1979 – sind sie massiver staatlicher Repression ausgesetzt. Die islamische Führung unter Ayatollah Ruhollah Khomeini stufte sie als „natürliche Feinde“ sowie angebliche Agenten Israels und der USA ein. Als Begründung dient bis heute, dass sich das spirituelle und administrative Weltzentrum der Baha’i sowie die Grabstätten ihrer Propheten im heutigen Israel befinden – errichtet jedoch lange vor der Gründung des Staates Israel.
Die systematische Diskriminierung reicht von Bildungs- und Berufsverboten über willkürliche Verhaftungen bis zu Hinrichtungen: In den ersten Jahren nach der Revolution wurden über 200 Baha’i hingerichtet, Tausende inhaftiert. In Krisenzeiten werden sie regelmäßig zu Sündenböcken gemacht.
Kampagne in den Medien
Nur einen Tag nach Kriegsbeginn veröffentlichte eine dem Islamischen Seminar des Irans nahestehende Nachrichtenagentur eine Meldung, der zufolge die meisten der in den vorangegangenen 24 Stunden wegen angeblicher Sabotage in Militär- und Industrieeinrichtungen festgenommenen Personen der Baha’i-Gemeinde angehörten. Die Agentur bezeichnete die Baha’i als „Terroristen“ und forderte ein härteres Vorgehen gegen sie. Eine offizielle Bestätigung dieser Meldung blieb aus.
Wenige Tage später wurden mehrere Baháʼí aus Isfahan beschuldigt, Bauteile für israelische Drohnen gefertigt zu haben. Ein Video wurde von regimetreuen Medien verbreitet, das ihre Festnahme zeigt, ohne belastbare Beweise. Die Betroffenen betreiben seit Jahren ein kleines Unternehmen für Elektronikteile für Haushaltsgeräte.
Auch auf den Social-Media-Kanälen ultrakonservativer Gruppen kursieren mittlerweile Aufrufe, Baha’i in der Nachbarschaft den Geheimdiensten zu melden – verbunden mit der Behauptung, sie seien „eine der Hauptkräfte Israels im Iran“ und mitverantwortlich für „Massaker an der Bevölkerung“.
Propaganda mit begrenzter Wirkung
Welche Wirkung hat diese Kampagne in der iranischen Gesellschaft? Wird die Behauptung, Baha’i seien Spione, geglaubt?
Eine im Iran lebende Menschenrechtsaktivistin sagt: „Die Bevölkerung weiß, dass die Baha’i keine Verbindung zu Israel haben. Die Islamische Republik braucht aber Sündenböcke, um von ihrem eigenen Versagen abzulenken.“ Die Stimmungsmache richte sich vor allem an ideologisch gefestigte Anhänger*innen des Regimes und solle Ermittlungen rechtfertigen und den Repressionsdruck erhöhen.
Ideologischer Konflikt instrumentalisiert
Der im französischen Exil lebende Aktivist Reza Alijani sieht tiefere Ursachen für die gezielte Hetze gegen die Baha’i: „Im islamischen Diskurs gilt Mohammed als das Siegel der Propheten. Die Baha’i hingegen glauben an eine Fortsetzung der göttlichen Offenbarung durch Bahāʾuʾllāh – das stellt einen fundamentalen Bruch mit dem religiösen Selbstverständnis der Islamischen Republik dar.“
Diesen theologischen Widerspruch könne das Regime im Kontext eines geopolitischen Krieges jedoch nicht offen thematisieren – also konstruiere es ein Feindbild: Baha’i als Agenten Israels. Dass sich ihr Heiligenschrein in Haifa befindet, instrumentalisiert das Regime als Beweis, obwohl dieser Ort bereits lange vor Israels Staatsgründung Exilort ihres Propheten gewesen sei.
In einem nordiranischen Dorf wurde das Haus eines Baha’i beschlagnahmt – unter dem Vorwand, er sei israelischer Spion. Solche Methoden richten sich auch gegen andere Minderheiten wie Kurden oder Belutschen.
Glaubwürdig ist das längst nicht mehr
Laut Alijani durchschauen viele Iraner*innen die Strategie: „Selbst unter Regimetreuen glaubt kaum jemand diese Narrative noch. Die letzten Jahre zeigen: Wenn jemand im Iran spioniert, dann aus den Reihen der Revolutionsgarden – nicht aus der Baha’i-Gemeinde.“ Auch in früheren Fällen, etwa beim Verrat geheimer Dokumente im Zusammenhang mit dem Atomprogramm, waren hochrangige Sicherheitsbeamte die Drahtzieher – nicht Angehörige religiöser Minderheiten.
Sein Fazit: „Die Instrumentalisierung der Baha’i als Feindbild wird auf Dauer nicht aufgehen. Die Bevölkerung hat genug von diesen Ablenkungsmanövern.“
Foto: Courtesy
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