Minütlich steigende Arbeitslosigkeit

Die Erwerbslosenzahl im Iran hat eine neue Dimension angenommen. Laut Arbeitsminister Ali Rabie steigt die Arbeitslosenzahl minütlich. Zwar legte die Regierung kürzlich wirtschaftliche Entwürfe vor, die für neue Impulse auf dem Arbeitsmarkt sorgen sollen. Ob das Paket den vielseitigen Problemen des angeschlagenen Arbeitsmarktes aber gerecht werden kann, ist umstritten.
Dass die iranische Wirtschaft seit Jahren unter Stillstand leidet, ist bekannt. Neue offizielle Zahlen legen jedoch offen, wie dramatisch die Lage besonders für junge Arbeitssuchende ist. Dem Minister für Genossenschaften, Arbeit und soziale Wohlfahrt, Ali Rabie, zufolge steigt die Erwerbslosenzahl minütlich um fünf Personen. Um diesem Problem entgegenzuwirken zu können, müssten in den kommenden Jahren jährlich mindestens eine Million neue Arbeitsplätze geschaffen werden, so Rabie.
Offiziell beträgt die Arbeitslosenrate im Iran derzeit 10,8 Prozent. Etwa drei Viertel der Betroffenen sind 15 bis 29 Jahre alt. Viele Experten sprechen jedoch von einer „versteckten Arbeitslosigkeit“. Bis zum Frühjahr 2005 galt im Iran eine Person, die weniger als 16 Stunden in der Woche arbeitete, offiziell als arbeitslos. Die Regierung von Mahmud Ahmadinedschad änderte aber diese Definition: Seitdem gelten alle IranerInnen, die mindestens eine Stunde in der Woche arbeiten, offiziell als erwerbstätig.
Die internationalen Sanktionen gegen den Iran und die Misswirtschaft der Regierung Ahmadinedschad trafen die auf Ölexport basierende Wirtschaft des Landes mit voller Wucht und fegten viele Arbeitsplätze weg. Als die Regierung von Präsident Hassan Rouhani im Sommer 2013 ihr Amt antrat, lag die Inflationsrate offiziellen Angaben zufolge bei 40 Prozent. Die Wirtschaft war im Jahr zuvor um mehr als 6 Prozent geschrumpft.
Millionen Arbeitsplätze trotz „finanzieller Dürreperiode“?
Die Regierung Rouhani konnte in den vergangenen zwei Jahren durch strenge Geldpolitik die Inflationsrate stark reduzieren. Laut der Weltbank lag diese im Jahr 2014 bei „nur noch“ 17,2 Prozent. Die Inflationsrate soll sich nach Regierungsangaben momentan unterhalb der 15-Prozent-Marke befinden. Die Regierung ist der größte Arbeitgeber des Landes und ihre konteraktive Fiskalpolitik bedeutet weniger Geld für die großen Entwicklungsprojekte, die massenhaft Arbeitsplätze schaffen können.

Die Inflationsrate wurde von 40 Prozent auf etwa 17 Prozent reduziert
Die Inflationsrate wurde von 40 Prozent auf etwa 17 Prozent reduziert

Da im Iran die Börse nicht richtig funktioniert, sind Unternehmen, große wie kleine, auf frisches Kapital von Banken angewiesen. Die zügellose Geldpolitik der Regierung Ahmadinedschad hat jedoch milliardenschwere Verpflichtungen für das ganze Bankensystem nach sich gezogen, so dass die Banken weitere Projekte nur noch bedingt finanzieren können. Der Chef des Koordinationsrates der staatlichen Banken, Abdolnaser Hemati, sagte Anfang September, dass 40 Prozent der Geldreserven der Banken faktisch eingefroren seien. Laut Hemati muss die Regierung fast 26 Milliarden Euro Schulden an Banken zurückzahlen und der Privatsektor schuldet den Banken gut 25,5 Milliarden Euro. Die noch geltenden internationalen Sanktionen und der weltweit niedrige Ölpreis setzen die Staatskassen weiter unter Druck. Der Vorsitzende des Koordinationsrates der staatlichen Banken spricht aus diesem Grund von einer „finanziellen Dürreperiode“.
Unter solchen Umständen ein jährliches Konjunkturwachstum von sieben Prozent zu erreichen und eine Million neue Arbeitsplätze pro Jahr zu schaffen, scheint illusorisch. Nach Angaben der Weltbank wuchs das iranische Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2014 um 1,5 Prozent. Experten prognostizieren ein Wachstum zwischen 1,8 und zwei Prozent für die nächsten zwei Jahre. Laut dem iranischen Arbeitsminister würden eine Million neue Arbeitsplätze pro Jahr ein jährliches Konjunkturwachstum von sieben Prozent voraussetzen. Das Land brauche bis zum Jahr 2021 etwa sieben Millionen neue Arbeitsplätze. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Arbeitsplätze laut Rabiei um 400.000 gestiegen.
Hoffnung auf ausländische Hilfe
Nach dem Wiener Atomabkommen gibt es erste Anzeichen einer Normalisierung der internationalen Beziehungen des Iran. Wirtschaftsdelegationen unter anderem aus Deutschland besuchen das Land. Die Regierung hofft auf massive Investitionen aus dem Ausland. Kurzfristig soll der Tourismus für mehr Einnahmen sorgen.
Die Geldentwertung im Iran schreitet laut dem IWF-Bericht immer schneller voran.
Die Regierung schuldet den Banken umgerechnet etwa 26 Milliarden Euro

Bei den VerbraucherInnen weckt das Abkommen die Hoffnung auf bessere Zeiten und qualitativ hochwertige ausländische Produkte. Die Nachfrage im Iran lässt seit langem nach und iranische Unternehmen sind gezwungen, ihre Produktion zurückfahren. In den vergangenen Monaten wurde immer wieder vor Massenkündigungen gewarnt.
Um den Teufelskreis zu durchbrechen, setzt die Regierung auf ein Bündel von Maßnahmen; ein Wirtschaftspaket, das die Nachfrage erhöhen soll. Durch günstigere Zinspolitik soll etwa den Unternehmern frisches Geld zur Verfügung gestellt werden. Auch die Autoindustrie und der Wohnungsbau sollen davon profitieren.
Die eigentliche Zielsetzung ist jedoch unter Experten umstritten. Der renommierte iranische Ökonom Dschamsheed Pajuyan nennt das Paket „nicht fachmännisch“. Er schrieb am 19. Oktober in der Tageszeitung Arman, die Regierung befasse sich „statt mit einer tiefergreifenden Reform der chronischen und strukturellen Defizite der iranischen Wirtschaft nach wie vor mit oberflächlichen Mängeln“.
Ob die jüngst verkündeten Maßnahmen oder ein anderes Wirtschaftspaket: Rouhanis Regierung muss handeln. Die wirtschaftlich unzufriedene Bevölkerung, die in seinen ersten zwei Regierungsjahren den Verhandlungsmarathon über das iranische Atomprogramm verfolgt hat und die schon lange auf ein entspanntes Geschäftsklima wartet, verliert langsam die Geduld. Die Euphorie über das Atomabkommen kann somit blitzschnell kippen.
IMAN ASLANI
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