Existenzfrage für die Islamische Republik Iran

2021 wird für die Islamische Republik Iran wahrscheinlich ein Schicksalsjahr werden. Denn auch der neue US-Präsident Joe Biden will die verheerenden Sanktionen gegen das wirtschaftlich am Rande des Ruins stehende Land nicht bedingungslos aufheben. Und die verarmte Bevölkerung hat bereits unter Beweis gestellt, dass sie zu massiven Protesten bereit ist.

Von Javad Kooroshy

Über die Beweggründe des scheidenden US-Präsidenten Donald Trump, aus dem Atomabkommen mit dem Iran auszusteigen, ist viel spekuliert worden. Schon während seines Wahlkampfs 2016 hatte Trump das 2015 unter seinem Vorgänger Barack Obama geschlossene Abkommen als „schlechtesten Deal“ in der Geschichte der USA bezeichnet und gedroht, es aufzukündigen, falls die Islamische Republik Iran (IRI) nicht zum Nachverhandeln bereit sei. Experten vermuten, seine Entscheidung hänge zum einen mit seiner Ablehnung der Beschlüsse der Obama-Administration wie etwa auch des Programms „Obamacare“ zusammen, zum anderen habe Trump die Führung der IRI zu Verhandlungen über ihr Raketenprogramm sowie ihre Politik in der Region und – jedenfalls zeitweise – auch zur Einhaltung der Menschenrechte zwingen wollen. Eine weitere Intention soll gewesen sein, die Öffentlichkeit in den USA, insbesondere seine Anhänger, zu begeistern, und die Verbündeten der USA in der Region, vor allem Israel und Saudi-Arabien, zu beruhigen.

Irans Staatsoberhaupt Ayatollah Khamenei hatte diese Gefahr bereits lange vor Trumps Auftritt auf der politischen Bühne erkannt. In seiner Ansprache zum iranischen Neujahr am 20. März 2016 in der Stadt Mashhad sagte Khamenei: „Wir haben das Atomabkommen unterschrieben und ihm den Namen „Bardscham“ (Gemeinsamer umfassender Aktionsplan und restriktive Maßnahmen, JCPOA) gegeben. Aber sie (die westlichen Vertragsparteien, IJ) wollen andere Abkommen mit uns, JCPOA 2 und JCPOA 3, um so unsere Politik in der Region zu bestimmen und zur Aushöhlung unserer Verfassung beizutragen.“

Ausgehend von diesen Befürchtungen verweigerte die Führung der IRI, mit Trump zu verhandeln, und pochte auf das bestehende Atomabkommen.

Doch der US-Präsident machte seine Drohung wahr und gab am 8. Mai 2018 den Rückzug der Vereinigten Staaten aus dem JCPOA bekannt. Er ordnete die Wiedereinführung der zuvor ausgesetzten Sanktionen gegen den Iran an und verhängte schrittweise weitergehende restriktive Maßnahmen gegen das Land. Bei zahlreichen davon handelte es sich um Sekundär-Sanktionen, die auch Einschränkungen für Handelspartner des Iran mit sich brachten. Als Begründung erklärte Trump, das iranische Regime sei der führende staatliche Sponsor des Terrors, die iranische Regierung exportiere Raketen und heize die Konflikte in der Region an: „Die Diktatur nutzt ihre Einnahmen, um weiter an der Atombombe zu forschen und Terroristen zu finanzieren“, sagte er am 8. Mai 2018. Außerdem habe das Atomabkommen den Iran nicht an der Entwicklung eigener Atombomben gehindert, sondern dem Land ermöglicht, weiterhin Uran anzureichern. Trump bemängelte auch die in dem Abkommen befristete Kontrolle des iranischen Atomprogramms.

Es wurde und wird vermutet, dass ein weiteres Ziel der Trump-Administration war, durch harte Sanktionen und die damit ausgelöste Verschlechterung der Wirtschaft die Unzufriedenheit der iranischen Bevölkerung in der Hoffnung zu schüren, sie damit zu einem Aufstand gegen das Regime zu motivieren.

Ob ein solches Ziel durch solche Mittel erreichbar ist, ist umstritten. Fakt ist jedoch, dass es während Trumps Amtszeit im Iran zu fast wöchentlichen Proteste von Arbeiter*innen, Lehrer*innen und anderen Berufsgruppen und in den Jahren 2017 und 2019 sogar zweimal zu aufstandsähnlichen Massenprotesten kam. Beim letzten dieser Proteste, ausgelöst durch die massive Erhöhung des Benzinpreises im November 2019, wurden nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters etwa 1.500 Teilnehmer*innen getötet. Viele hochrangige iranische Militärs und Regierungsbeamte geben inzwischen zu, dass die Proteste von 2019 zeitweise so schwer waren, dass sie zu einer Revolution hätten führen können.

Erhöhung des Benzinpreises führte im November 2019 zu landesweiten Protesten
Erhöhung des Benzinpreises im Iran führte im November 2019 zu landesweiten Protesten

Die Sanktionen

Drei Monate nach der Aufkündigung des Atomabkommens wurde im August 2018 der Handel mit dem Iran in folgenden Bereichen unter Strafe gestellt:

  • Erdöl, Erdgas und petrochemische Erzeugnisse,
  • Fahrzeugindustrie,
  • Erwerb von US-Dollar durch die iranische Regierung,
  • Handel mit Gold oder Edelmetallen,
  • Verkauf, Lieferung oder Transfer von Graphit, Metallen wie Aluminium oder Stahl, Kohle und Software zur Integration industrieller Prozesse aus dem oder in den Iran,
  • bedeutende Transaktionen mit der iranischen Währung Rial sowie die Aufrechterhaltung größerer Vermögen und Konten außerhalb des iranischen Hoheitsgebiets,
  • Kauf, Zeichnung oder Vereinfachung der Ausgabe iranischer Staatsanleihen.

Es lag auf der Hand, dass dies praktisch auch ein Verbot jeglicher ausländischen Investitionen bedeuteten – und das in einer Zeit, in der der Investitionsbedarf im iranischen Erdöl- und Gassektor auf etwa 150 Milliarden US-Dollar geschätzt wurde. Zudem unterbrachen die Sanktionen Geld- und Währungstransaktionen des Iran mit dem Ausland.

Die Haltung der EU, Chinas und Russlands

Nach dem Ausstieg der USA aus dem Atomdeal kündigten die anderen an dem Abkommen beteiligten Länder (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, China und Russland) an, weiter zum JCPOA zu stehen. Gleichzeitig warnten sie den Iran, gegen die Vereinbarungen zu verstoßen. Um den Druck der Sanktionen auf den Iran zu reduzieren, rief die EU auf Initiative Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens das Programm „Instrument Support of Trade Exchanges“ (INSTEX) ins Leben. Ziel war die Gewährleistung finanzieller Transaktionen zwischen Europa und dem Iran. Doch die Angst vor der Strafe der USA machte dieses Instrument wirkungslos – nur eine einzige medizinische Warenlieferung der EU an den Iran im März 2020 wurde bekannt.

Auch China und Russland, die von den Sanktionen gegen den Iran am meisten profitieren, sind durch ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu den USA an die Sanktionen gebunden. China etwa bezahlt im Iran gekauftes Erdöl nicht in harten Währungen, sondern mit Waren.

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