Messerattacke auf politische Gefangene
Ende November wurden im Rajai-Shahr-Gefängnis zwei politische Gefangene von Mitinsassen mit Messern angegriffen und verletzt. Nun sind fünf politische Häftlinge im Hungerstreik. Ihre Forderung: Die Gefängnisleitung soll für die Sicherheit aller Gefangenen sorgen. Ein offener Brief beschreibt Tathergang und eventuellen Hintergrund.
„Es geschah am Mittag des 26. November“, schreibt Said Razavi Faghih in einem offenen Brief, der Anfang Dezember von persischsprachigen Online-Plattformen veröffentlicht wurde: „Wir (die Insassen der Gemeinschaftszelle 12 in Trakt 4 des Rajai-Shahr-Gefängnisses) hatten Hofgang. Plötzlich zogen zwei Gefangene, die wegen Gewalttaten einsitzen, Messer und griffen Said Madani und mich an. Den Grund wissen wir bis heute nicht.“
Die beiden politischen Häftlinge ergreifen die Flucht, doch sie können ihren Verfolgern nicht entkommen. Vor den Augen der Wärter und anderer Mithäftlinge stechen die Angreifer mehrere Male zu, schreibt der Journalist und politische Aktivist Razavi Faghih: „Die im Gefängnishof installierten Überwachungskameras haben den Vorfall sicher festgehalten und können alles aufklären.“
Doch ob es dazu kommen wird, ist fraglich. Said Razavi Faghih ist ein unruhiger Gefangener. Er war bereits im September und November wegen der unzumutbaren Verhältnisse im Rajai-Shahr-Gefängnis im Hungerstreik. Nach einer Herzoperation im September verlangte er bessere medizinische Versorgung für sich und andere kranke Häftlinge. Zuvor hatte er Justiz und Gefängnisleitung mehrmals wegen schlechter Behandlung der Gefangenen kritisiert. Er schreibt in seinem offenen Brief, dass die politischen Gefangenen „alte und ungewaschene Kleider entlassener Häftlinge“ anziehen und bei Anhörungen und medizinischen Behandlungen im Gefängniskrankenhaus Fußfesseln tragen müssen.
Gerade wegen seiner Kritik und der Forderung nach Rechtsstaatlichkeit und Gleichbehandlung sitzt er seit 2014 im Gefängnis. Zuvor war Razavi Faghih mehrmals verhaftet und wieder freigelassen worden. Schon während seines Philosophiestudiums in Teheran zählte er zu den Anführern der Studentenorganisation des Iran, „Tahkim Vahadat“. Und bei den umstrittenen Präsidentschaftswahlen 2009, bei denen der Hardliner Mahmoud Ahmadinedschad als Sieger gekürt wurde, unterstützte er einen der reformistischen Gegenkandidaten. Nach der Wahl warf er dem Staat öffentlich Wahlfälschung vor und kritisierte den allmächtigen Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei scharf.
Im März 2015 ging die einjährige Haftstrafe des Oppositionellen eigentlich zu Ende. Doch Razavi Faghih wurde nicht entlassen. Das Teheraner Revolutionsgericht verurteilte ihn stattdessen erneut wegen „Propaganda gegen das System und Beleidigung des Führers“ zu dreieinhalb Jahren Haft.
Täter als Opfer
In seinem offenen Brief betont Razavi Faghih, dass die beiden Messerstecher im Gefängnishof selbst Opfer der sozialen und politischen Ungerechtigkeit seien. Sie seien vermutlich von der Gefängnisleitung zu der Tat angestachelt worden, denn die Attacke habe für sie keine Konsequenzen gehabt. Die beiden Täter sollen beim Gefängnisdirektor sogar selbst Anzeige gegen ihre Opfer erstattet haben. In der Anzeige stehe, so Razavi Faghih, dass er und der Soziologe und Universitätsdozent Said Madani die beiden mit Messern bedroht hätten. Er vermute, dass die Messerstecher bald für „ihren Dienst“ belohnt und freigelassen würden, und beschreibt in seinem Brief einen ähnlichen Fall im gleichen Gefängnis, der zur frühzeitigen Entlassung des Angreifers geführt habe.
Hungerstreik
Da die beiden Täter nach wie vor gemeinsam mit den politischen Gefangenen in der Gemeinschaftszelle 12 untergebracht seien und jederzeit wieder aktiv werden könnten, seien Razavi Faghih und Said Madani „nach Beratung mit anderen politischen Häftlingen“ in den Hungerstreik getreten. Drei ihrer Zellengenossen, Behzad Arabgol, Kamran Ayazi und Jafar Eghdami, haben sich aus Solidarität angeschlossen. Sie seien entschlossen, den Hungerstreik so lange fortzusetzen, bis die Anstaltsleitung ihre Sicherheit gewährleiste.
Das Gefängnis Rajai-Shahr in der Stadt Karaj östlich der iranischen Hauptstadt Teheran ist berühmt für überraschende Inspektionen der Haftzellen, bei denen die Inhaftierten oft ausgezogen und auf den Hof geführt werden. Wer dagegen protestiere, werde mit elektrischen Schlagstöcken verprügelt, kritisieren MenschenrechtlerInnen. Die „Human Rights Activists News Agency“ (HRANA) berichtete in den vergangenen Jahren über mehrere solcher Fälle.
Übertragen aus dem Persischen und überarbeitet von Omid Shadiwar