Bettwanzen und HIV: Der Zustand der iranischen Gefängnisse
Das Schreiben eines politischen Gefangenen über die hygienischen Zustände im Teheraner Evin-Gefängnis bestätigt Berichte anderer Augenzeugen. In dem Gefängnis haben sich lebensgefährliche Krankheitserreger und lästige Insekten eingenistet.
Mohammad Hossein Rafiee*, politischer Gefangener im berühmt-berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran, hat jüngst über Krankheiten in seiner Sektion der Haftanstalt sowie über die hygienischen Verhältnisse in dem Gefängnis berichtet. In seinem Schreiben, das vergangene Woche auf der Facebook-Seite seiner Tochter veröffentlicht wurde, bezieht sich Rafiee auf medizinische Befunde der Insassen.
Demnach sollen in seiner Sektion sieben Gefangene positiv auf HIV getestet worden sein. Zehn Häftlinge leiden unter Hepatitis, drei weitere sind mit den bakteriellen Erregern Staphylokokken infiziert. Staphylokokken können unter anderem Hauterkrankungen auslösen. Andere Krankheiten, von denen der Inhaftierte berichtet, sind chronische Magen- und Darmerkrankungen sowie unheilbare Hautkrankheiten.
Der Inhalt des Briefes bestätigt auch die mangelnde Hygiene, von der aus iranischen Gefängnissen seit langem berichtet wird. Auch ein Besuch des Ministers für Gesundheit und medizinische Ausbildung hat anscheinend kaum etwas verändert. Hassan Hashemi besuchte Anfang März das Gefängnis Ghezel Hessar westlich der iranischen Hauptstadt, um sich ein Bild der hygienischen Verhältnisse und der medizinischen Betreuung zu machen. Er sagte anschließend, dass der Hygienezustand des Gefängnisses den Erwartungen nicht entspreche. Er habe HIV-Infizierte und an Tuberkulose erkrankte Häftlinge gesehen, die aufgrund mangelnder Versorgung sowie fehlender Medikamente und medizinischer Geräte nicht effektiv behandelt werden könnten. Zudem befänden sich etwa doppelt so viele Gefangene in der Haftanstalt wie vorgesehen. Keiner der Inhaftierten sei krankenversichert, die Gefängnisärzte seien unterbezahlt, so der Minister. Das erschwere die effektive Bekämpfung ansteckender Krankheiten.
Der Gefangene Rafiee schreibt: „Vorgestern Nacht haben wir mit der Bekämpfung der Bettwanzen angefangen. Mit Hilfe der Zimmergenossen wurden alle Decken, Bettlaken und Vorhänge gewaschen und die Bettwanzen vernichtet. Für eine Nacht hat man keine mehr gesehen, aber gestern Nacht haben sie eine neue Offensive angefangen. Die Viecher haben meinen ganzen Körper demoliert.“ Vom Kratzen bekäme man Wunden, die die Gefahr einer Übertragung der „vielen verfügbaren Krankheiten“ erhöhten, so Rafiee.
Auch Mehdi Hashemi, Sohn des berühmten Politikers Akbar Hashemi Rafsanjani, der wegen einer Korruptionsaffäre verurteilt wurde und im Evin-Gefängnis eine zehnjährige Strafe absitzt, berichtet von unhygienischen Zuständen in seiner Sektion. Seine Schwester Fateme Hashemi zitierte ihn am Mittwoch in einem Interview mit dem Nachrichtenportal Entekhab. Bettwanzen bereiteten den Gefangenen große Probleme, die Ärzte sähen nur untätig zu, Krankheiten breiteten sich aus, so Hashemi. Dazu käme die gemeinsame Unterbringung gesunder Insassen und solcher mit gefährlichen Erkrankungen.
Die Lage in den Frauengefängnissen
Ausreichende Ernährung für Häftlinge ist im Iran gesetzlich vorgeschrieben. Mindestens dreimal pro Woche sollen ihnen fleischhaltige Gerichte sowie Milchprodukte angeboten werden. Ebenso festgelegt ist der Zugang zu Bädern mit sauberem und warmem Wasser. Berichte aus Gefängnissen schildern jedoch andere Umstände – auch für nichtpolitische Gefangene. Laut der Tageszeitung Shargh ist die Lage in vielen Haftanstalten dermaßen schrecklich, dass das berüchtigte Evin-Gefängnis verglichen damit als „Hotel Evin“ bezeichnet werde.
Auch die Lage in den iranischen Frauengefängnissen ist erschreckend. AugenzeugInnen zufolge ist etwa das Frauengefängnis Qarchak in der Nähe von Teheran nur eine riesengroße Produktionshalle ohne jegliche Raumtrennung. Mit Hochbetten seien für jede Gruppe zimmerartige Räume geschaffen worden. Die Halle sei überfüllt, es gebe zu wenig Badezimmer und funktionierende Toiletten. Frauenhygieneartikel müssten gekauft werden.
Maryam Rabiee, die seit über 17 Jahren in jenem Gefängnis einsitzt, berichtete im März in einem Brief über einen Kühlschrank, der für 180 inhaftierte Frauen da sei, aber „elf Monate im Jahr“ nicht funktioniere: „Glaubt mir, hier ist der Tod ein Segen. Ich kann mich nicht daran erinnern, in all diesen Jahren in Qarchak ein einziges Stückchen Fleisch gegessen zu haben“, so Rabiee.
Mangelnde Hygiene als zusätzlicher Druck
Trotz langjähriger Berichte von Augenzeugen über solche Missstände in den iranischen Gefängnissen scheine kein entschlossener Wille für positive Veränderungen vorhanden zu sein, meinen Regimekritiker. Die schlechte ärztliche Betreuung werde sogar gezielt gegen politische Gefangenen eingesetzt.
Das Nachrichtenportal Sahamnews, das dem unter Hausarrest stehenden Präsidentschaftskandidaten von 2009, Mehdi Karoubi, nahe steht, berichtete Anfang August, dass die im Evin-Gefängnis inhaftierte Kinderrechtsaktivistin Atena Daemi nach ersten Prognosen unter Multipler Sklerose leide, hormonelle Beschwerden habe und brustkrebsverdächtige Symptome aufweise. Eine gründliche Untersuchung und entsprechende Behandlung außerhalb des Gefängnisses werde ihr aber verweigert.
Der Journalist Keywan Samimi, der ironischerweise bereits vor der islamischen Revolution politischer Gefangener war, ist laut der Internetseite der „Internationalen Kampagne für Menschenrechte im Iran“ herzkrank und leidet unter Arthrose. Ein Krankenhausaufenthalt wird ihm jedoch nicht gestattet. Auch die Bemühungen der Familie von Narges Mohammadi haben der bekannten Journalistin, die ebenfalls in Haft sitzt, bislang keine fachärztliche Behandlung ermöglicht. Die Menschenrechtsaktivistin leidet unter einer Lungenembolie und lokalen Lähmungen.
Dagegen führt das Regime Gefangene an, die sich in den gleichen Anstalten befinden, angeblich aber alle Rechte genießen. Diese Gefangenen werden von den Oppositionellen als „Häftlinge aus den eigenen Reihen“, regimetreue Gefangene, bezeichnet. Mohammadreza Rahimi etwa, der Vizepräsident unter Mahmoud Ahmadinedschad war und wegen Korruption in Haft sitzt, bekam kurz nach seinem Haftantritt Urlaub, weil seine Frau schwer krank war.
Auch der 71-jährige Mohammad Hossein Rafiee, der selbst herzkrank ist, bestätigt in seinem Brief, dass die gemeinsame Unterbringung politischer Gefangener mit „Drogendealern und Piraten“ sowie die schlechte Hygiene und die mangelnde medizinische Versorgung als körperlicher und psychischer Druck eingesetzt würden. Er stellt die rhetorische Frage: „Ich weiß nicht, warum die Gefängnisbeamten mit uns politischen Gefangenen auf Kriegsfuß stehen?“
IMAN ASLANI
* Dr. Mohammad Hossein Rafiee ist Mitglied des national-religiösen Aktivistenrats und ehemaliger Dozent der Teheraner Universität im Fachbereich Chemie. Er wurde Ende Mai zu sechs Jahren Haft und zweijährigem Verbot von Medienaktivitäten verurteilt. International bekannte akademische Einrichtungen wie die „American Chemical Society”, die “National Academy of Sciences” sowie Menschenrechtsaktivisten des “Committee of Concerned Scientists” forderten in getrennten Schreiben an die iranischen Machthaber die Freilassung von Rafiee.