Der Staat kämpft gegen Straßenmusiker

Die Islamisten im Iran haben seit ihrer Revolution im Jahr 1979 jeder fröhlichen Musik den Kampf angesagt. Und sie führen diesen Krieg bis heute gegen junge Musiker*innen weiter.
Von Sepehr Lorestani
„Auf Anordnung der Justizbehörde und aufgrund der ordnungswidrigen Inhalte wurde diese Seite verboten und ihre Betreiber werden juristisch verfolgt.“ Diese Meldung ist im Iran in den letzten Monaten immer häufiger beim Aufruf der Accounts junger Influencer*innen zu lesen. Es handelt sich dabei in der Regel um junge Leute, die dem idealen Menschenbild der Islamischen Republik nicht entsprechen und nach Meinung der iranischen Moralapostel als „Verbreiter*innen der Unzucht“ gelten. Auch gegen Tänzerinnen, Modells und – härter als bei den anderen – politische Aktivist*innen gehen die Sicherheitsbehörden vor.
Seit ein paar Wochen werden weniger bekannte Persönlichkeiten der kulturellen oder künstlerischen Szene ins Visier genommen. Vor allem Musiker*innen gelten plötzlich verstärkt als „Ordnungsbrecher*innen“. Was im Bereich Musik allerdings ordnungswidrig sein soll, wurde weder vom „Ministerium für Kultur und islamische Führung“ noch von den iranischen Sicherheitsorganen jemals genau beschrieben. So wird dieser Begriff je nach Behörde oder Sicherheitsorgan unterschiedlich interpretiert. Und so können auch Musiker*innen nicht wissen, wann sie gegen die Ordnung des Landes verstoßen. Vor allem wird nicht erklärt, warum ein Musiker erst jahrelang geduldet und plötzlich aus heiterem Himmel verboten wird.
Das harte Vorgehen der Zensurbehörde gegen unliebsame Musiker*innen wurde vor allem durch die Sperrung der Instagram-Accounts von drei Straßenmusiker*innen Mitte Mai bekannt. Die Tar- und Tonbak-Spielerin Naghmeh Moradabadi hatte auf Instagram 113.000 Follower, der Akkordeonspieler Mehrdad Mehdi 40.000 und die Geigerin Aso Kohzadi 23.000 Follower.
Aso Kohzadi (Violine) und Mehrdad Mahdi im Straßenkozert

 
Blumen für den Frieden
Alle drei Musiker*innen sind allerdings Menschen mit politischem Bewusstsein. Sie verteilten zum Beispiel bei ihren Straßenauftritten als Zeichen für Frieden und Toleranz Blumen an Passant*innen. Aso Kohzadi hat eine akademische Musikausbildung und bisher fünf CDs veröffentlicht. Sie ist auch in zahlreichen Konzertsälen mit Erfolg aufgetreten. Außerdem war sie in den vergangenen Jahren an elf Spielfilmen musikalisch beteiligt. Für sie sind die Straßenauftritte ein besonderes Musikerlebnis und bieten ihr Nähe zu einfachen Menschen. Mehrdad Mehdi hat mehrere nationale Auszeichnungen für seine Musik erhalten. Die bekanntesten Alben mit seinen Kompositionen sind unter anderem „Dornadeon“ und „Teheran-Walzer“. Naghmeh Moradabadi studierte am Konservatorium von Teheran Musik und begleitete viele bekannten Sängerinnen auf der Bühne. Auf ihrer Instagram-Seite veröffentlichte sie Szenen von ihren Straßenauftritten.
Erst kürzlich wurde gegen die Sängerin Negar Moazam Anklage erhoben, weil sie ein Video veröffentlichte, in dem sie für eine Touristengruppe singt. Daraufhin wurden sie und der Touristenführer der Gruppe von der iranischen General- und Revolutionsstaatsanwaltschaft angeklagt. Sologesang ist Frauen seit der islamischen Revolution von 1979 verboten. Die Begründung: Er rufe bei Männern sexuelles Verlangen hervor.
Sologesang einer Frau in Teheran:
https://youtu.be/joeR0l-w3Wg
 
Willkür der Justizbehörde
Vor der juristischen Verfolgung der Musiker*innen wurden bereits Instagram-Accounts von Fotografen in der zentraliranischen Stadt Arak gesperrt. Die Revolutionsgarde berichtete, „drei unmoralische Netzwerke im Bereich des Modelling“ seien „in der Markazi-Provinz zerschlagen“ worden. Für die Sperrung der Internetaccounts gibt es keine gesetzliche Grundlage. Auf welcher juristischen Basis die Revolutionsgarde tätig wird, bleibt unklar: Es gibt diesbezüglich keine Stellungnahme der zuständigen Behörden.
„Kein Gesetz verbietet das Musizieren in der Öffentlichkeit oder die Veröffentlichung von Musik in den sozialen Netzwerken“, behauptet Tayebe Siavoshi, Mitglied der Kulturkommission des Stadtrates von Teheran. In einem Interview mit der Zeitung Shargh zeigte sie sich Ende Mai empört über die abrupten Sperrungen von Webportalen von Musiker*innen: „Schließlich wird Musik in den Massenmedien ausgestrahlt und ist fester Bestandteil öffentlicher Veranstaltungen. Trotz der ambivalenten Haltung der staatlichen Organe findet im ganzen Land Musikunterricht sowohl an den Universitäten als auch in den Konservatorien sowie an privaten Musikschulen statt.“
Dass die Instagram-Accounts gesperrt wurden, stößt bei ihr auf Unverständnis: „Ein Mörder durfte lange Zeit Waffen auf seinen Accounts zeigen. Erst nach der Ermordung eines Geistlichen wurde sein Internetauftritt verboten.“ Sie weist damit auf die Ermordung des Geistlichen Mostafa Ghasemi in der Stadt Hamedan Ende April hin. Sein Mörder hatte sogar nach dem Attentat noch Internetauftritte und berichtete dort von seiner „Heldentat“.
 Auch der Medienaktivist und Jurist Kambiz Nouruzi bedauert die Sperrung der Accounts der Musiker*innen. In einem Interview mit der Teheraner Zeitung Shargh sagte er: „Die Mindestaufgabe der Justiz bei einer Anklage oder einem Urteil ist es, diese zu begründen, dazu entsprechende Gesetzesgrundlagen zu benennen sowie die Öffentlichkeit darüber zu informieren. Die Begründung und der Gesetzesbezug sind die Aufgaben der Justizbehörde. So steht es auch im Grundgesetz.“
Zwar könnten die Behörden gewisse Informationen wegen laufender Ermittlung geheim halten. „Aber wenn es sich um eine öffentliche Angelegenheit handelt, die bei den Menschen viele Fragen aufwirft, ist es das Recht der Öffentlichkeit zu erfahren, wie es um die Rechtsmäßigkeit in der Gesellschaft steht.“
© Iran Journal

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