Instrumentalisierte Klänge

In ihrem Essay beleuchtet Maria Koomen das politische und religiöse Spannungsfeld, in dem sich Musik in der Islamischen Republik bewegt.
Schon seit dem 7. Jahrhundert, also seit den Tagen unmittelbar nach dem Tod Mohammeds, war die Zulässigkeit von Musik im Iran heftig umstritten, ging es doch den Gefährten des Propheten darum, die sogenannten malahi, also die „verbotenen Gelüste“, von den Männern fernzuhalten: Wein, Frauen und Gesang.
Auch wenn der Koran Musik als solche nicht ausdrücklich verdammt, so argumentieren doch iranische Gelehrte bis heute, dass Musik einen Verlust des Verstandes, „unkontrollierbares Verhalten“ sowie „Leidenschaften entfachen“ könne. Islamische Puristen sammelten Aussprüche des Propheten (Hadithe), von denen einer sagte: „Musik zu hören führt zu Zwietracht, so wie Wasser zum Wachsen der Vegetation führt.“ Solche Hadithe wurden sodann von den „Rechtgläubigen“ benutzt, um Musik faktisch zu verbieten, außer der ausdrücklich von Mohammed tolerierten. Musik im Iran musste in der Folge diese islamischen Standards befolgen und den von Koran und den Hadithen gebildeten Moralkodex entsprechen.
Ganz gleich in welchem Gegensatz Musik und Islam angeblich stehen sollen, so lässt sich jedenfalls festhalten, dass Musik in der reichen und vielfältigen Geschichte des Landes seit jeher tief verwurzelt ist. Zu der Praxis von Musik, die als halal (also erlaubt) angesehen wurde, kam immer auch die der mit dem Attribut makruh gekennzeichneten Musik (tadelnswert, aber toleriert), sowie die Praxis der mit haram (verboten) belegten Musik.
Vor der Zeit der technischen Reproduzierbarkeit von Musik und anderen Informations- und Kommunikations-Technologien (ICT), blieb die Musik immer auf bestimmte physische Orte zu einer festgelegten Zeit beschränkt – egal ob im Untergrund oder nicht, ob halal oder haram – und damit von zentral organisierten Autoritäten in einem räumlich wie zeitlich abgetrenntem Rahmen kontrollierbar.
Internationalisierung der iranischen Musik
Die stetige Entwicklung der ICT ab Mitte bis Ende des 20. Jahrhunderts sowie die mit einer zeitweise liberalen Regierungsführung einhergehende Lockerung der Kontrolle kultureller Praktiken führte zu einem verstärkten Import und Export (musikalischer) Ideen. Mit der Einführung von Musik-Reproduktions-Technologien, begab sich die iranische Musik auf den Pfad einer raschen Internationalisierung. Neue und tragbare Medien revolutionierten die Art und Weise, wie, wo und wann Musik am Rande der öffentlichen Sphäre gehört werden konnte, was sie immer schwieriger kontrollierbar machte.
Googoosh, das Idol der modernen iranischen Frauen in den 1970ern:
https://youtu.be/UvGeZzns5Rg
Eine Zäsur bedeutete die Islamische Revolution von 1979: Ayatollah Khomeini erklärte in der „Keyhan“, der wichtigsten konservativen Tageszeitung des Landes: „… Musik ist wie eine Droge; wer immer sich ihr hingibt, ist nicht mehr in der Lage, sich wichtigen Aktivitäten zu widmen. Wir müssen sie vollständig eliminieren.“
Die Revolution und das Ende der Schah-Dynastie brachten dramatische Veränderungen mit sich. Die neue politische Machtkonstellation verursachte eine Welle der „Säuberung“ der einheimischen Kulturindustrie von äußeren, insbesondere westlichen Einflüssen. Das neue theokratische Regime war bemüht, die Kontrolle über die iranische Gesellschaft und Kultur immer mehr auf sich zu vereinen und zu zentralisieren.
Zwischen Kontrolle und Selektion
Mit der Politisierung der islamischen Ideologie brachte das Regime die Praxis öffentlicher Musikdarbietungen praktisch zum Erliegen. Systematisch wurde versucht, Musik unter dem Vorwand der Unvereinbarkeit mit der Religion zu unterdrücken. Mit Hilfe von Regierungsstellen und informellen Organisationen wurde eine drakonisch anmutende Kontrolle über die Musikindustrie verhängt. Konzerte wurden verboten. Selbst diejenigen, die noch vor der Revolution Konzerte besucht hatten oder als Musiker auf Festivals aufgetreten waren, wurden verhört. Auch im Rundfunk wurde keine Musik mehr gespielt. Musikschulen wurden geschlossen. Auch das Sinfonieorchester, die Balletttruppe und das Opernensemble wurden aufgelöst. Das Verbot wurde so strikt vollzogen, dass von Revolutionsgarden berichtet wurde, die sogar durch kleine Dörfer zogen, um Musikinstrumente einzusammeln und zu zerstören.
Durch die Etablierung einer offiziellen (wenn auch sehr vagen) Gesetzgebung, mit der die Zulässigkeit von Musik gemäß islamischer Wertvorstellungen geregelt wurde, wich die Frage der Zulässigkeit de facto einer Frage der Regulierbarkeit von Musik.
Von dieser Selektion waren alle Musikgenres betroffen – abgesehen von revolutionärer und religiöser Musik, die nach Lesart der Regierung dazu geeignet schien, „dem wahren Empfinden der iranischen Kultur“ zu entsprechen. Ausgewählte Stücke persischer Musiktradition wurden kurzerhand zu „revolutionärer Musik“ erklärt, um angeblich die „kulturelle Reinheit“ der iranischen Geschichte zu bewahren.
Im Dienste der Propaganda
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