Warum musste Soleimani sterben?
Qasem Soleimani, der Chef der Quds-Brigade, der Eliteeinheit der iranischen Revolutionsgarde, wurde durch einen gezielten US-Luftangriff getötet. Die Islamische Republik schwört Rache, Experten befürchten eine Eskalation im Konflikt zwischen dem Iran und den USA. Warum war Soleimani so wichtig für beide Seiten?
Von Habib Husseinifard*
„Qasem Soleimani ist eine sehr fähige, gescheite Person und ein angemessener Feind. Er beherrscht das Spiel, aber dieses Spiel wird lange dauern. Mal sehen, wie die kommenden Ereignisse es vorantreiben.“ Mit diesen Worten beschrieb David Howell Petraeus, der erste Befehlshaber der Multi-National Force Irak Qasem Soleimani nach dem Sturz des Saddam-Regimes.
Der Viersterne-General hatte lange Zeit in Fragen des Nahen und Mittleren Ostens mit dem Befehlshaber der Quds-Brigaden der iranischen Revolutionsgarde gerungen. Laut Petraeus hatte der ehemalige irakische Präsident Jalal Talabani ihm, dem amerikanischen Feind, nach einem Treffen mit Qasem Soleimani einmal eine Nachricht überbracht. „Sie, General Petraeus, müssen wissen, dass ich, Qasem Soleimani, die iranische Politik gegenüber dem Irak, Syrien, Afghanistan und Gaza-Streifen kontrolliere. Vergessen Sie die Diplomaten und andere, Sie müssen sich mit mir einigen.“
Undurchsichtige Politik
Ayatollah Ali Khamenei, geistiges Oberhaupt der Islamischen Republik und Oberbefehlshaber der iranischen Streitkräfte, hat die iranische Regionalpolitik als „Widerstand“ eingestuft – Widerstand gegen „den zionistischen Feind“ und „den großen Satan“ USA. Damit haben er und seine Berater sich in ein Machtspiel begeben, dessen Regeln außer dem harten Kern des iranischen Machtzirkels niemand kennt. Auch die „gewählten“ Entscheidungsgremien wie Regierung oder Parlament dürfen nicht mitentscheiden oder sich auch nur gegen eine von Khamenei gefallene Entscheidung äußern.
Laut Ali Shadmani, einem hohen Kommandeur der Revolutionsgarde (IRGC), hat Khamenei das „Management des Widerstandes“, also der Regionalpolitik des Landes, der IRGC anvertraut. Eine Entscheidung, deren rechtliche Grundlage sowie deren Vor- und Nachteile für das Leben und die Sicherheit der Menschen im Iran niemand in Frage stellen darf. Und die herausragende Figur dieses „Managements“ war Qasem Soleimani.
Er saß mitten in einem 33-tägigen Krieg zwischen Israel und der Hisbollah im Hauptquartier der schiitischen Miliz und führte den Krieg an. Auf der Homepage von Ayatollah Khamenei wurde kürzlich ein ausführliches Interview mit Soleimani veröffentlicht, um „dem zionistischen Feind“ die Rolle des Iran und des Generals in jenem Krieg zu verdeutlichen.
Es war Soleimani, der im Juli 2015 an einem 140-minütigen Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin teilnahm, um ihn zu motivieren, sich am Syrienkrieg zu beteiligen. Sein Plan: Die Islamische Republik und die Hisbollah stellen die Bodentruppen, Russland bietet Luftunterstützung. Einen Monat später trat Russland in den Krieg ein.
Es war Soleimani, der im Krieg gegen den IS in den Kommandozentralen von Mossul und Abu Kamal saß – seine Fotos als Kriegsherr gelangten durch die iranische Propagandamaschine an die Öffentlichkeit.
Es war Soleimani, der Khamenei schriftlich mitteilte: „Der IS ist erledigt.“
Es war Soleimani, der den Entzug der bahrainischen Staatsbürgerschaft eines schiitischen Geistlichen zur Ursache für den bewaffneten Widerstand der Schiiten in Bahrain erklärte. Er veröffentlichte eine Erklärung, in der es hieß: „Die Verletzung der Rechte von Ayatollah Sheikh Isa Qasim ist eine rote Linie, deren Übertretung ein Feuer in Bahrain und der ganzen Region auslösen wird und den Menschen einen bewaffnetem Widerstand aufzwingt.“
Es war Soleimani, der bei der Ernennung der iranischen Botschafter in Syrien, Irak und Libanon das letzte Wort sprach.
Es war Soleimani, der Syriens Präsident Baschar al-Assad auf eine geheime Reise in den Iran mitnahm, ohne dass der Chef des diplomatischen Apparats etwas davon mitbekam – als Reaktion darauf trat Außenminister Javad Zarif für kurze Zeit zurück.
Es war Soleimani, der maßgeblich an der Bildung und Zusammensetzung der irakischen Regierungen beteiligt war und bei der Ernennung der irakischen Ministerpräsidenten Maliki, al-Abadi und Adel Abdul Mahdi eine entscheidende Rolle spielte.
Verpasste Gelegenheit
Die Israelis und US-Amerikaner hatten wenig Zweifel an der Rolle von Qasem Soleimani in der Regionalpolitik der Islamischen Republik. Schon während der Bush-Ära gab es Gerüchte, dass er eliminiert werden sollte, wofür aber nichts unternommen wurde. Während der Obama-Ära versuchten die Israelis verzweifelt, Soleimani zu töten, doch die Obama-Regierung befürwortete Israels Plan und Bemühungen nicht – sowohl angesichts einer Gefährdung der Atomgespräche als auch wegen des gemeinsamen Kampfes gegen den IS.
Ein ungelesener Brief
Fortsetzung auf Seite 2