Heilig, steuerfrei und konkurrenzlos – Die Radikalen bemächtigen sich eines Wirtschaftsimperiums
Die „heilige“ Razavi-Stiftung ist das mächtige Unternehmenskonglomerat des Iran. Ihm gehören im und außerhalb des Landes Banken, Fabriken, Firmen, Hotels, Shopping Malls, Museen, Bibliotheken und Universitäten. Vor zwei Wochen übernahm Ibrahim Raisi, einer der radikalsten Wortführer der Hardliner, die Führung dieses Wirtschaftsimperiums. Was das für den Machtkampf zwischen den moderaten Kräften um den Präsidenten und den Erzkonservativen um den Revolutionsführer bedeutet, beschreibt Ali Sadrzadeh.
Der eine gewinnt den Schein, der andere sichert sich das Sein. Oder anders gesagt: Der eine badet in der Menge, der andere ordnet sein Reich. Nichts könnte dies besser verdeutlichen als zwei Szenen, die sich Anfang März fast gleichzeitig, aber in 900 Kilometern Entfernung voneinander abspielten – Szenen, die entscheidend sind für Gegenwart und Zukunft der islamischen Republik.
Die erste der beiden vielsagenden Szenen ereignete sich am Montag, dem 7. März, in der zentraliranischen Stadt Yazd am Rand der Wüste. Staatspräsident Hassan Rouhani war dort zu Besuch, er hatte seit Wochen angekündigt, endlich nach Yazd kommen zu wollen, um sich bei der Bevölkerung für ihre Treue zu bedanken. Nach den jüngsten Parlamentswahlen erst recht, denn auch Yazd hatte für die Reformer gestimmt. Bei seiner Ankunft wird Rouhani von einer großen Menschenmenge begeistert empfangen, manche wollen mehr als hunderttausend Menschen mit Fahnen und Transparenten gezählt haben. Ihn begleitet an diesem Tag Mohammad Reza Aref, Spitzenkandidat der Reformer in Teheran, der in der Hauptstadt spektakulär die meisten Stimmen auf sich vereinigt hat und deshalb möglicherweise Parlamentspräsident wird.
Aref war Vizepräsident unter Mohammad Khatami. Doch heute, zehn Jahre nach dem Ende von dessen Präsidentschaft, dürfen Redner in der Öffentlichkeit nicht einmal Khatamis Namen aussprechen. Medien ist untersagt, sein Bild zu veröffentlichen. Khatami ist aber ein beliebter Sohn seiner Heimatstadt Yazd. Deshalb ist Rouhani an diesem Tag in einer Zwickmühle. Er weiß, dass die Menge genau hinhört, ob und wie der Präsident dieses merkwürdige, wahrscheinlich weltweit einmalige Verbot um Khatamis Person umgeht. Und Rouhani enttäuscht seine Zuhörer nicht. „Ich vergesse keine Persönlichkeiten, die der Islamischen Republik gedient haben“, sagt er an einer Stelle seiner Rede – und die Menschen wissen, wen er meint, sie klatschen und jubeln euphorisch. Als er an einer anderen Stelle Khatami gar beim Namen nennt und ihn gar als Eminenz bezeichnet, geraten die Zuhörer vor Freude außer sich: Ihr Jubel ist so heftig, dass Rouhani seine Rede für mehrere Minuten unterbrechen muss. Im staatlichen Fernsehen sieht man an dieser Stelle zwar die schreiende Menschenmenge, doch Rouhanis Worte hört man nicht. Bei Wiederholungen wird Rouhanis Satz später einfach herausgeschnitten, die restliche Rede ist unproblematisch.
Folgen der Gratwanderung
Doch kaum ist der amtierende Staatspräsident in die Hauptstadt zurückgekehrt, gibt Gholam Hossein Mohsen Ejehei, Sprecher der iranischen Justiz, eine Pressekonferenz. Einziges Thema: Rouhanis Verfehlung, seinen Vorvorgänger öffentlich beim Namen zu nennen. Es gäbe dazu einen Beschluss des nationalen Sicherheitsrats, so der mächtige Ayatollah Ejehei. Sollte der dem Präsidenten unbekannt sein, müsse er wissen, dass die Justiz, namentlich die Staatsanwaltschaft, ein solches Verbot selbst anordnen könne.
Soweit zu der ersten Szene, Rouhanis Bad in der Menge und dessen Folgen.
Eine sonderbare Totenmesse
Die zweite Szene ist keine Jubelveranstaltung, spielt sich aber fast gleichzeitig in Maschhad, der Hauptstadt der Provinz Khorassan im Nordostiran ab. Zwar sind auch hier Hunderttausende Menschen anwesend, doch sie jubeln nicht. Sie weinen und trauern, denn an diesem Tag wird in der heiligen Stadt Ayatollah Abbas Vaez Tabassi zu Grabe getragen. Im Volksmund nannte man den 80-Jährigen „Imperator von Khorassan“. Zu seinem Begräbnis ist der Revolutionsführer Ali Khamenei höchstpersönlich nach Maschad gekommen. Er leitet selbst das Totengebet, eine seltene Ehre.
Mit dieser Beerdigung geht in Khorassan, der religiös und wirtschaftlich herausragenden Provinz des Landes, eine Ära zu Ende. Die Anwesenden in Maschad wissen ebenso wie fast alle Menschen im Land, dass diese Trauerzeremonie zugleich der Machtwechsel an der Spitze eines der wichtigsten Firmenkonglomerate im Nahen Osten ist. Manche sprechen ironisch von einer feindlich/freundlichen Übernahme.
Schon in der Woche, in der der Ayatollah im Koma lag, spekulierten Medien im In- und Ausland über die mögliche Machtverschiebung, die nach seinem Tod eintreten könnte. Für BBC Farsi war das Ableben Tabassis sogar eine Breaking News, in Sonder- und Nachrichtensendungen beschäftigte man sich mit der Zeit danach.
Die Trauerfeier fand im Mausoleum von Imam Reza statt, dem einzigen Imam der Schiiten, der im Iran begraben ist. Die Totenmesse war minutiös geplant, genau war festgelegt, wer in der ersten Reihe der Betenden direkt hinter Khamenei zu stehen hatte und welcher Geistliche keineswegs erscheinen dürfe, so nah er dem Hingeschiedenen gewesen sein mochte: etwa Expräsident Ayatollah Haschemi Rafsandjani, dessen legendäre Freundschaft mit dem Verstorbenen immer für allerlei Geschichten und Spekulationen sorgte.
Heilig und unantastbar
Der Ort des Begräbnisses ist neben dem Gotteshaus im saudischen Mekka die größte und ausgedehnteste Kultstätte des Islam. Jährlich pilgern 30 Millionen Schiiten nach Maschad, zu Deutsch „Ort des Martyriums“. Doch es ist nicht allein die enorme Zahl der Pilger und Touristen, die Maschad von allen anderen Städten des Landes abhebt. Vielmehr ist es die religiöse Stiftung von Imam Reza, die „Astane Qodse Razavi“ („Die hochheilige Ruhestätte des Imam Reza“), die als eine der mächtigsten Institutionen des Landes agiert, wirtschaftlich ebenso wie politisch, und das seit Jahrhunderten. Man vergleicht die Razavi-Stiftung mit einer Krake, die sich über alle Wirtschaftsbereiche ausgebreitet hat – nicht nur über die Provinz Khorassan , sondern über das gesamte Land und sogar den Irak, Syrien und den Libanon.
An der Spitze dieser Stiftung, die allein in ihrer Verwaltungszentrale 40.000 Angestellte beschäftigt, stand bis Montag vor zwei Wochen als uneingeschränkter Herrscher der verstorbene Ayatollah Tabassi – und das seit 37 Jahren. Die Revolution war gerade zwei Tage alt, als Ayatollah Khomeini sein erstes Dekret verkündete und darin Tabassi zum Leiter der Stiftung bestimmte. „Sie sind überdies auch mein Vertreter in der Provinz Khorassan und niemand, kein örtlicher Regierungsvertreter, kein Minister, kurzum niemand darf sich in Ihre Arbeit einmischen“; schrieb Khomeini auf Tabassis Ernennungsurkunde. Das war ein Blankoscheck, eine Vollmacht für immer und für uneingeschränkte Expansion und Alleinherrschaft.
Befreit von jeglicher Steuerzahlung
Mit dem Jenseits und der Religion hat die Stiftung heute nur noch am Rande zu tun; vollkommen diesseitig und kapitalistisch hat sie sich inzwischen zu einem konkurrenzlosen Wirtschaftskonzern entwickelt, heilig und unantastbar, denn qua Gesetz ist die Stiftung von jeglicher Steuerzahlung befreit. Das Geld fließt in umgekehrte Richtung. Rouhanis Regierung musste im vergangenen Jahr umgerechnet 80 Millionen Euro Miete für die Nutzung verschiedener Gebäuden der Stiftung zahlen. Sie ist auch Vermieterin von 800.000 EinwohnerInnen der Stadt Maschad. „Oft tritt sie Mietern gegenüber so erbarmungslos und berechnend auf, dass sich viele einen privaten Vermieter wünschen“, sagt Mohammad Djawad Haghshenas, einer der bekanntesten Journalisten des Landes, der selbst aus Maschad stammt.
Die Hälfte der Grundstücke der Stadt gehört der heiligen Stiftung, sie ist die größte Grundbesitzerin im ganzen Iran. Doch das Immobiliengeschäft bildet nur einen Bruchteil ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten. Ihr gehören Banken, Fabriken, Minen, Handelsfirmen, Hotels, Shopping Malls, Museen, Bibliotheken und Universitäten. Sie tritt an der Teheraner Börse als Broker auf, ist auf dem Markt der Telekommunikation ein wichtiger Player, baut Straßen, Autos und U-Bahnen. Die Marke Razavi stellt über 100 verschiedene Produkte in eigenen Fabriken her.
Eine regionale Wirtschaftsmacht
Mit Sarakhs, der Grenzstadt im Norden der Provinz Khorassan, besitzt die Stiftung eine eigene Freihandelszone. Das ist ihr Tor zu Zentralasien. In Syrien baut sie Brücken, im Irak investiert sie in die Lebensmittelindustrie und verwaltet zahlreiche schiitische Mausoleen, in den Vereinigten Arabischen Emiraten verfügt sie über Banken und Finanzinstitute. Doch nirgendwo im Ausland ist die Razavi-Stiftung so aktiv wie im Libanon, vor allem im Herrschaftsbereich der Hisbollah. Hier ist sie überall tätig, beim Bau von Schulen und Krankenhäusern, bei Rüstungsfirmen, Infrastruktur– und Telekommunikationsunternehmen sowie bei Handel mit allerlei Waren. Nach dem letzten Krieg zwischen Israel und der Hisbollah im Jahre 2006 investierte sie 400 Millionen Euro in den Wohnungsbau, berichteten israelische Zeitungen.
„Von Hühnermilch bis Menschenleben“
Fortsetzung auf Seite 2: