Kolbar: ein lebensgefährlicher Job, um zu überleben

Interview mit einem Mann, der auf dem Rücken Waren aus Irans Nachbarland schmuggelt. Er schilderte dem persischsprachigen Nachrichtenportal „Radio Zamaneh“ die menschenfeindliche Arbeit und die Reaktionen des Staates auf das Leid der Lastenträger an den Grenzregionen.

„Kolbar“ oder „Koolbar“ nennt man im Iran jene, die in Grenzregionen des Landes Güter auf ihren Rücken ins Land schmuggeln. Es sind in der Regel junge Menschen, die keine anderen Verdienstmöglichkeiten haben. Gegen einen geringen Lohn als Lastenträger für Schmuggler zu arbeiten, ist das Einzige, was sie und ihre Familien am Leben hält. Die Lastenträger werden vor allem in den Provinzen Westaserbaidschan, Kurdistan, Kermanshah und Sistan und Belutschistan eingesetzt. Sie transportieren hauptsächlich Gebrauchswaren wie Fernseher und Klimaanlagen, Alkohol, Zigaretten, Autoreifen und Textilien.

Immer wieder werden Kolbars von den Grenzsoldaten erschossen oder stürzen mit ihrer Last in den schwer zugänglichen Bergregionen ab. Die Nachrichtenseite Kurdpa berichtete am 29. Mai, dass innerhalb von 70 Tagen 17 Lastenträger in den westlichen und nordwestlichen Grenzregionen des Iran ums Leben gekommen seien – sechs von ihnen unter 18 Jahre alt. 81 weitere seien verletzt worden. Elf der getöteten Lastenträger sollen durch Schüsse von Soldaten, drei durch Absturz, zwei wegen Unterkühlung und einer durch einen Herzinfarkt während des Tragens ihr Leben verloren haben. Das in den Niederlanden ansässige Nachrichtenportal „Radio Zamaneh“ hat mit einem Kolbar gesprochen. Hier die deutsche Übersetzung des Interviews.

Erzählen Sie von sich selbst; wie alt sind Sie? Welchen Schulabschluss haben Sie? Wie ist Ihre Familie finanziell aufgestellt?

Ich bin 29 Jahre alt und in einem Dorf in der Provinz Westaserbaidschan (im Nordwesten des Iran – d. Redaktion) geboren. Ich habe Abitur, konnte aber aus finanziellen Gründen nicht studieren. Wir waren insgesamt acht Geschwister, und ich musste meine Eltern finanziell unterstützen. Wir haben nur ein kleines Ackerfeld, das wenig einbringt. Deshalb mussten auch meine Geschwister nach und nach die Schule abbrechen und arbeiten. Wir waren so arm, dass ich schon in der 5. Klasse war, als ich zum ersten Mal Fleisch gegessen habe. Bis dahin dachte ich, dass Kartoffeln das beste Essen der Welt seien.

Wieso wurden Sie Lastenträger?

Weder in unserem Dorf noch in der nächstgelegenen Stadt, Sardasht, gab es für uns Jobs. Lastentragen war die einzige Überlebensmöglichkeit. Durch meinen Bruder, der vor mir mit dem Lastentragen angefangen hatte, habe ich im Grenzgebiet jemanden kennengelernt, für den ich Lasten tragen konnte.

Muss man als Lastenträger besondere Voraussetzungen erfüllen?

Der junge "Kolbar" Hazhir Mahmoudpour wurde laut Nachrihtenportal Hengaw Anfang Juni wurde von Grenzsoldaten erschossen
Der junge „Kolbar“ Hazhir Mahmoudpour wurde laut Nachrichtenportal Hengaw Anfang Juni 2024 von iranischen Grenzsoldaten erschossen

Die wichtigste Voraussetzung ist die körperliche Kraft. Das heißt, ein Lastenträger muss in der Lage sein, die Warenmenge zu tragen, die der Besitzer der Ware verlangt.

Ich kann mich noch an einen Tag erinnern, als wir alkoholische Getränke tragen sollten. Ein Junge, der zum ersten Mal Lasten tragen wollte, konnte körperlich keinen zweiten Karton tragen. Der Warenbesitzer hat ihn gefeuert. Der Händler hat sogar mit dem Vermittler geschimpft, weil er dadurch in Verzug geraten sei und nicht schnell genug einen anderen Lastenträger organisieren konnte.

Wie lang muss ein Lastenträger jedes Mal laufen, und wie viel verdient er dabei?

Ich hab auf drei verschiedenen Routen Lasten getragen. Keine Route war kürzer als 20 Kilometer und die Strecken führen durch unwegsames Gebirge. Der Lohn ist ganz unterschiedlich und hängt von der Last und der Ware ab. Ich trage normalerweise alkoholische Getränke. Für jede Tour bekomme ich 2,5 Millionen Toman (ca. 39 Euro). Für Haushaltsgeräte oder andere Waren werden andere Preise gezahlt.

Werden über alle Grenzen unterschiedliche Waren eingeschmuggelt oder haben sich die Schmuggler in jedem Grenzgebiet auf eine Ware spezialisiert?

Letzten Endes entscheidet die Nachfrage im jeweiligen Gebiet, was am meisten über welchen Grenzübergang transportiert wird. Ich habe beispielsweise nur einmal im Grenzgebiet von Baneh (im Nordwesten der iranischen Provinz Kurdistan – d. Redaktion) gearbeitet. Dort werden mehrheitlich Haushalts- und Elektrogeräte ins Land geschmuggelt. Sonst bin ich im Grenzgebiet Sardasht unterwegs, weil dort in der Regel Alkohol ins Land geschmuggelt wird.

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