Kolbar: ein lebensgefährlicher Job, um zu überleben

Haben Sie auch andere Waren transportiert?

Nein. Mein Bruder hat bereits vor mir mit dem Lastentragen angefangen. Er arbeitete für jemanden, der ausschließlich Alkohol schmuggelt. Eines Tages hat er meinem Bruder gesagt, dass er zwei weitere vertrauenswürdige Personen brauche, da er sein Geschäft ausbauen wolle. Daraufhin hat mein Bruder ihm mich und einen Freund vorgestellt. Als wir zum ersten Mal aufbrachen, waren wir eine große Gruppe. Auf der anderen Seite der Grenze haben wir – ungefähr 10 Personen und die Vertrauensperson des Auftragsgebers – uns von den anderen getrennt. Wir trugen nur alkoholische Getränke. Da wurde mir klar, dass jeder Auftraggeber, egal, was er einschmuggelt, eine Gruppe von Lastenträgern für sich hat, die seine Waren transportiert. Wir zehn haben für den Auftraggeber gearbeitet, der nur Alkohol einführt.

Das bedeutet aber nicht, dass die Lastenträger ausschließlich für einen einzigen Auftraggeber arbeiten können. Alles hängt letzten Endes von der körperlichen Kondition eines Lastenträgers ab. Wenn er auch schwere und große Lasten tragen kann und es dafür gerade Bedarf gibt, kann er umsteigen.

Welchen Gefahren sind die Lastenträger ausgesetzt?

Sobald ein Lastenträger die Grenze erreicht, gibt es für sein Überleben keine Garantie mehr. Sei es die Grenzpolizei oder schwere Wetterbedingungen – alles kann ihn das Leben kosten oder ihm Schwierigkeiten bereiten. Es gab Fälle, bei denen der Auftraggeber einen schnelleren Transport angeordnet hat mit der Begründung, dass er die Grenzbeamten bestochen habe und die Waren innerhalb eines bestimmten Zeitfensters über die Grenze gebracht werden müssten. Wir haben uns natürlich beeilt, mussten aber an der Grenze feststellen, dass die Geschichte nicht stimmte. Er wollte bloß das eingeschränkte Sichtfeld der Beamten bei nebeligem Wetter ausnutzen. Durch solche falschen Angaben setzt der Auftraggeber jedoch unser Leben aufs Spiel. Bei schlechtem Wetter steigt in den Gebirgen natürlich die Absturzgefahr. Eine weitere Gefahr stellt die Grenzkontrolle der Autonomen Region Kurdistan im Irak dar. Es gab Fälle, in denen nicht nur Waren konfisziert, sondern auch die Lastenträger geschlagen wurden. Einem Lastenträger wurde die Hand gebrochen. Oder die Lastenträger werden dort für eine Weile gefangen gehalten. Aus eigener Erfahrung und der meiner Umgebung kann ich sagen, dass wir beruhigt sind, wenn wir auf der anderen Seite der Grenze den Milizen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) begegnen. Von ihnen werden wir weder beschossen noch verprügelt. Unsere Waren werden uns auch nicht weggenommen.

Wurden Sie oder andere Lastenträger aus Ihrer Umgebung jemals angeschossen?

Mir ist es bislang zum Glück nicht passiert. Ich kann mich jedoch daran erinnern, dass uns einmal die Vertrauensperson des Auftragsgebers im Irak gesagt hat, wir sollten uns beeilen, damit wir vor dem Schichtwechsel der Beamten die Grenze Richtung Iran überqueren konnten. Das bedeutete, dass er die Wachmänner bestochen hatte. Wir machten uns sofort auf den Weg. Als wir den Gipfel erreichten, konnten wir im nebligen Wetter nicht mehr als ein paar Schritte weit sehen. Plötzlich hörten wir Schüsse. Schnell überquerten wir die Grenze. Auf der iranischen Seite sahen wir ein paar Lastenträger, die etwas in einem großen durchsichtigen Plastiksack trugen. Darin war ein 20-jähriger Lastenträger, der angeschossen worden war. Er war am Bein getroffen worden und blutete sehr stark. Den schrecklichen Anblick der großen Blutlache in dem Plastiksack werde ich nie vergessen.

Werden die verletzten Lastenträger im Krankenhaus behandelt?

Ja. Die Behandlungskosten müssen sie jedoch selbst tragen, weil sie nicht krankenversichert sind. Und bei der Entlassung müssen sie für die Kosten der Kugel, die sie getroffen hat, auch aufkommen. Sie müssen sich schriftlich verpflichten, die Grenze nicht mehr illegal zu passieren, da ihnen sonst Geld- beziehungsweise Freiheitsstrafen drohen.

Kennen Sie Lastenträger, die arbeitsunfähig geworden sind?

Ja, einen unserer Dorfbewohner. Er trat vor einigen Jahren beim Lastentragen an der Grenze auf eine Mine und verlor ein Bein. Er heißt Ahmad und ist heute 40 Jahre alt.

Und was macht er jetzt?

Seitdem trägt seine Frau die Lebenskosten, unter anderem als Schneiderin. In der Erntezeit arbeiten die beiden in der Provinz Hamedan. Ich hab gehört, dass ihre Arbeitgeber dort Ahmad zum Vorarbeiter ernannt hat, damit er etwas mehr Geld verdienen kann. Lastenträger, die eine körperliche Behinderung erleiden, erhalten keine soziale Unterstützung oder staatliche Hilfen. Eher umgekehrt: Ihnen droht sogar ein Gerichtsverfahren.

Gibt es wirklich keine Alternative zu diesem Job?

Den Menschen in diesen Gebieten bleibt nichts anderes übrig. Sie besitzen nicht genug Ackerland. Hier gibt es auch keine Industrieanlagen und keine anderen Jobs. Es gibt keine andere Möglichkeit, absolut nichts. Wie kann eine achtköpfige Familie mit einem kleinen Ackerland, die nicht mal genug Geld hat, um dieses effizient zu bewirtschaften, ihren Kindern eine schulische Bildung ermöglichen? Die Kinder wandern auf der Suche nach einem Job ab. Was können sie aber in der Stadt ohne Eigenkapital machen? Wie können sie überleben? Junge Menschen hoffen, dass sie ein paar Jahre als Lastenträger arbeiten und mit dem Geld, das sie verdienen, das Land verlassen. Ich kenne mehr als zwanzig Menschen, die auf diesem Wege ausgewandert sind.

Welchen nachhaltigen Ausweg kann es für Menschen in diesen Regionen geben?

Eine Möglichkeit ist, dass diejenigen, die Geld haben, hier in der Region investieren und kleine Unternehmen gründen, damit junge Menschen dort arbeiten. Eine andere Möglichkeit ist die Aktivierung der regionalen Kapazitäten – beispielsweise durch die Förderung von Tourismus. Was wir aber besonders vermissen, ist letzten Endes die Bereitschaft der einheimischen Investoren zur Lösung der Probleme, weil wir uns bereits seit Jahren nichts mehr von der Regierung erhoffen.♦

Übertragen aus dem Persischen und überarbeitet von Iman Aslani

Das Nachrichtenportal Kolbarnews veröffentlicht die aktuellsten Nachrichten über die Lastenträger.

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