Irans Regierung fällt Arbeiterschaft in den Rücken
Während die offizielle Inflationsrate im Iran mehr als 46 Prozent erreicht hat, beschließt die Regierung eine 27-prozentige Lohnerhöhung für die Arbeiter*innen. Diese Entscheidung kann zu neuen, größeren Protesten in der Islamischen Republik führen.
Von Mina Tehrani*
Am 20. März hat die Regierung der Islamischen Republik Iran den Mindestlohn der Arbeiter*innen für das neue iranische Jahr, das am 20. März begonnen hat, bewilligt. Demnach werden der Mindestlohn ebenso wie die Gehälter der einfachen Angestellten um 27 Prozent erhöht und auf etwa acht Millionen Toman festgelegt. Die Zustimmung wurde nach der endgültigen Entscheidung des Obersten Arbeitsrates bekannt gegeben, der aus Vertretern der Regierung, Arbeitgeber*innen und regimenahen Arbeitnehmer*innen besteht.
Laut Artikel 41 des iranischen Arbeitsgesetzes sollen die Löhne und Gehälter angepasst an die von der iranischen Zentralbank verkündete Inflation steigen. Da diese jedoch in den vergangenen Jahrzehnten fast monatlich neue Rekorde erreicht hat, ergänzten die Gesetzgeber*innen den Artikel derart, dass „der Lohn den Lebensunterhalt einer Familie mit durchschnittlich 3,3 Personen sichern“ solle. Nach Angaben von Alireza Mahjoob, dem Vorsitzenden der staatlichen Gewerkschaft „Haus der Arbeiter“, beträgt dieser monatlich mindestens 15 Millionen Toman – derzeit etwa 264 Euro. Das bedeutet, dass der Monatslohn der Beschäftigten weit unter dem gesetzlich bestimmten Wert liegt. Einfache Arbeiter*innen bekommen erfahrungsgemäß selten mehr als den staatlichen Mindestlohn.
Die Soziologin und Universitätsdozentin Farideh Fatemi (Name von der Redaktion geändert) erklärte im Gespräch mit dem Iran Journal, der Monatslohn von Arbeiter*innen im Iran decke nur die Hälfte ihrer Mindestausgaben. Manchen Familien kämen Einnahmen durch gelegentliche Jobs der Lebenspartner*innen zur Hilfe, doch „diese Jobs sind Sklavenarbeit und die Einnahmen nicht der Rede wert“, so Fatemi. Für Familienväter mit Kleinkindern werde das „knochenbrechende Folgen“ haben, denn „in der Regel bleiben die Mütter wegen der Kinder zuhause und der Vater ist der alleinige Geldverdiener. Er hat keine andere Wahl, als mindestens zwei Jobs nachzugehen“, so die Soziologin.
Fatemi bestätigt die Vorwürfe der Arbeiteraktivist*innen, die der Regierung vorwerfen, den Arbeiter*innen in den Rücken gefallen zu sein: „Die Islamische Republik erlebt gerade eine beispiellose Krise. Nicht einmal während des Iran-Irak-Krieges (1980 – 1988) ist der Staat so pleite gewesen wie jetzt. Raissis Regierung ist eine der unfähigsten Regierungen in den letzten 44 Jahren.“ Sollte die Regierung die Entscheidung zur 27-prozentigen Lohnerhöhung nicht zurücknehmen, werde es im laufenden iranischen Jahr zu größeren Protesten der Arbeiterschaft kommen, warnt Fatemi.
Auch Eid-Ali Karimi, Sprecher der staatlichen Gewerkschaft „Khaneh Kargar“ in der Stadt Ghazvin, kritisiert die Entscheidung des Obersten Arbeitsrates und die Zustimmung der Regierung dazu. „Leider hat das Arbeitsministerium der Arbeiterklasse einen irreparablen Schlag versetzt, indem es seine gesetzlichen Pflichten ignoriert hat“, so Karimi. Seiner Meinung nach werde diese Entscheidung zu mehr Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Armut und Scheidungen unter den einfachen Arbeiter*innen führen.
Inflation offiziell mehr als 46 Prozent
Am Ende jeden Jahres gibt das iranische Amt für Statistik die Höhe der Inflation im noch laufenden Jahr bekannt. Bisher gibt es am 10. Tag des neuen iranischen Jahres noch keine offiziellen Zahlen für das vergangene iranische Jahr 1401. Das öffnet Tür und Tor für Gerüchte. Manche glauben, die Inflation habe einen Rekord erreicht, den sich die von den islamischen Hardlinern geführte Regierung nicht bekanntzugeben wage. Andere wiederum spekulieren darüber, dass die Regierung noch dabei sei, die Zahlen zu verschönern.
Am 26. März gab die iranische Zentralbank bekannt, dass die durchschnittliche Inflation im iranischen Jahr 1401 bei 46,5 Prozent gelegen habe. (Im Vergleich: Die Inflationsrate in Deutschland im Jahr 2022 lag nach offiziellen Angaben bei 8,7 Prozent – die Redaktion).
Die Teheraner*innen erleben bis zu 300-prozentige Preissteigerungen bei manchen Lebensmitteln. Die Mieten steigen fast monatlich und machen immer mehr Menschen obdachlos. Nach Angaben renommierter iranischer Nachrichtenportale lebten im iranischen Jahr 1401 mehr als 50 Prozent der Iraner*innen unter der Armutsgrenze – die Zeitung Jahanesanat spricht von 60 Prozent.
Die Soziologin Fatemi betont, die Pandemie und der militärische Angriff Russlands auf die Ukraine habe weltweit zum Anstieg der Energiekosten und Lebensmittelpreise geführt. „Doch bei der Wirtschaftskrise im Iran fallen staatlicher Vetternwirtschaft und um sich greifender Korruption eine besondere Rolle zu.“
Die Islamische Republik ist seit Jahren als eines der korruptesten Länder der Welt bekannt. 2022 belegte der Iran in der Rangliste der Organisation Transparency International, die auf dem Korruptionswahrnehmungsindex basiert, Platz 147 unter 180 Staaten.♦
*Mina Tehrani ist das Pseudonym unserer Mitarbeiterin im Iran.
Übertragen aus dem Persischen und überarbeitet von Farhad Payar.
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