Iran in der Finanzfalle

Die „Financial Action Task Force“ (FATF) versteht sich als international führendes Gremium zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorfinanzierung. Der Iran ist neben Nordkorea das einzige Land auf der Schwarzliste der FATF. Normale Geschäftsbeziehungen mit der Außenwelt sind nur möglich, wenn das Land von dieser Liste gestrichen wird. Über die Akzeptierung der FATF-Standards wird derzeit im Iran heftig gestritten, denn sie würde die Innen- und Außenpolitik des Landes fundamental verändern. Deshalb muss Revolutionsführer Khamenei selbst entscheiden.
Die neue Lachnummer im Iran ist ein Videoclip von 40 Sekunden Dauer. Seit vergangenem Freitag ist er auf YouTube abrufbar und wird seither in sozialen Netzwerken reproduziert. Zu sehen ist darin, wie der Teheraner Freitagsprediger Ayatollah Jannati vergeblich versucht, die Abkürzung FATF auszusprechen. Wie an jedem Freitag wird auch an diesem Tag das Gebet samt Predigt live vom iranischen Fernsehen übertragen. Der 88-jährige Ayatollah nimmt vier Anläufe. Die Stimme ist piepsig, die Sprachmelodie quengelig, der Zungenschlag dörflich – und dazu diese vier verdammten Buchstaben, die wie Steine auf seiner Zunge lasten: Immer wieder verheddert Jannati sich und verwechselt die Reihenfolgen der Buchstaben, bei jedem Scheitern entschuldigt er sich. Der Gottesmann wird zunehmend unsicherer, die Betenden beginnen zu schmunzeln; dem zierlichen Prediger wird die Situation peinlich, er gibt schließlich auf und schickt seinen Versuchen die Bemerkung hinterher: „Das verdammte Papier mag heißen, wie es will.“
Freitagsprediger und die FATF
Aber das Thema selbst gibt der greise Ayatollah damit keineswegs auf – er kann es nicht. Denn die Themen der Freitagspredigten werden im Iran allwöchentlich vom „Zentralrat der Freitagsprediger“ festgelegt. „Gefahren der FATF“ heißt das Thema dieses Freitags; obligatorisch im ganzen Land und für jeden Prediger. Jannati muss sich unbedingt daran halten, denn er ist der wichtigste und mächtigste Prediger des Landes – und bestimmt die wöchentlichen Predigtthemen selbst mit. Daher hat sich der Ayatollah immerhin inhaltlich gut vorbereitet.
„Die Regierung hat dem Westen heimlich zugesagt, diesem demütigenden Abkommen zuzustimmen. Sie hat sogar eine Unterschrift geleistet. Mit wessen Erlaubnis tut sie so etwas eigentlich? Geschieht das, ist das Ende der Revolution eingeläutet. Mit diesem erniedrigenden Abkommen wollen sie Amerika gnädig stimmen, aber sie vergessen, dass wir uns damit selbst bestrafen. Wir werden alle unsere Bankgeheimnisse preisgeben müssen und gezwungen sein, gegen 87 revolutionäre Institutionen und Personen Sanktionen zu verhängen. Dazu gehören die geliebten Revolutionsgarden, die Quds-Brigaden und die besten Kämpfer, die alles für die Revolution gegeben haben. Das werden wir natürlich nicht zulassen. Auch das Parlament muss und wird die Regierung stoppen und ihr eine Lektion erteilen.“ Als der Ayatollah hier eine Kunstpause macht, erschallt aus den Reihen der Betenden eine antiamerikanische Parole und die Menge wiederholt sie mehrere Male. Die Sätze reimen sich, die Stimmung steigt. Alles läuft wie nach einem Drehbuch. TV-Kameras nehmen die schreiende Menge auf.
Das Teheraner Freitagsgebet findet seit dem ersten Tag der Revolution vor 37 Jahren auf dem Campus der Hauptstadtuniversität statt – ein symbolischer Ort. So wollte man demonstrieren, dass auch der Hort der Modernität in die Islamische Revolution eingebunden ist. Doch die Zeiten, in denen allwöchentlich zigtausende das Gebet an der Universität besuchten, sind längst vorbei.
Lachfigur zum Ernst nehmen
Heute sind es nur noch zwei- bis dreitausend hauptsächlich ältere Menschen, die sich an jedem Freitag hier versammeln, ob freiwillig oder nicht, sei dahingestellt, doch jedenfalls eine zu vernachlässigende Zahl in einer Stadt, die annähernd zwölf Millionen EinwohnerInnen hat. Jannati war von Anfang an als einer der wichtigsten Prediger dabei. Oft sind seine Auftritte spektakulär. Nicht nur wegen seiner Offenheit, seiner Einfalt, sondern auch wegen seiner unverblümten Radikalität. Im Iran schmunzelt man über ihn. Aber man unterschätzt ihn nicht.

Der 89jährige Ayatollah Ahmad Jannati wurde zum Vorsitzenden des Expertenrates gewählt, obwohl er in seinem Wahlkreis Teheran am wenigsten Stimmen bekommen hatte
Ahmad Jannati

Denn Jannati stand immer an der Spitze der wichtigen Institutionen der höchst ungewöhnlichen Islamischen Republik Iran. Heute ist er nicht nur Chef der Expertenversammlung, die Khameneis Nachfolger wählt. Er ist auch Vorsitzender des Wächterrats, jenes mächtigen Gremiums, das die Vereinbarkeit aller iranischen Gesetze mit den Grundsätzen des Islam überprüft. Mehr noch: Dieser Rat entscheidet bei allen Wahlen über die ideologische und religiöse Zuverlässigkeit der KandidatInnen.
Angesichts dieser Machtfülle ist es auch für Außenstehende immer interessant, worüber der mächtige Prediger spricht. Was Jannati in seiner einfachen Art predigt, bewegt mit Sicherheit die Machtspitze des Iran. Der Ayatollah mag Schwierigkeiten haben, die vier Buchstaben FATF auszusprechen, doch er weiß genau, dass diese unaussprechliche Abkürzung die Islamische Republik vor eine Grundsatzentscheidung stellt – eine Entscheidung, die die iranische Innen- und Außenpolitik fundamental verändern könnte.
Zaghafter Ausbruch aus der Sackgasse?
Die „Financial Action Task Force“ (FATF) ist eine multilaterale Organisation, die sich den Kampf gegen Geldwäsche und Terrorfinanzierung vorgenommen hat. Ihren Sitz hat sie bei der OECD in Paris. Ihre Empfehlungen sind für westliche Finanzinstitute quasi bindend. Der Iran steht neben Nordkorea als einziges Land auf der so genannten Black List der FATF. Will er halbwegs normale weltweite Geschäftsbeziehungen mit Banken haben, muss er alles daran setzen, von dieser Liste gestrichen zu werden.
Und die Regierung von Präsident Hassan Rouhani tut dafür, was sie nur kann. Wirtschaftsminister Ali Tayabnia hat am 24. Juni durch einen Vertrag mit der FATF eine kurze Atempause erreicht. Darin wurde vereinbart, dass die Beschränkungen gegen iranische Banken für zwölf Monate provisorisch aufgehoben werden, wenn diese sich verpflichten, den in den Sanktionslisten der Vereinten Nationen und der Europäischen Union aufgeführten Personen und Unternehmen keine Dienstleistungen zu gewähren.
Die iranische Zusage überzeugt die europäischen Finanzinstitute indes nicht. Die deutsche Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin mahnt in einem Rundschreiben alle Banken und Finanzinstitute, der Iran erfülle bei Geldwäsche und Terrorfinanzierung die Standards der FATF nicht.
Harter Kern der Macht betroffen
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